# taz.de -- Nachruf auf Regisseur Wes Craven: Horror ganz nah am Hier und Jetzt | |
> Wes Craven war einer der großen Modernisierer des Horrorkinos. Das Kino | |
> der Gewalt verstand er als gesellschaftlichen Echoraum. | |
Bild: Wes Craven 2010 bei den Scream Awards in Los Angeles. | |
„Um nicht in Ohnmacht zu fallen, wiederholen Sie stets: Es ist bloß ein | |
Film!“ Ein Film allerdings, der sich gewaschen hat und auf grobkörnigem | |
16-mm-Material alle Register zieht, um dem Horrorkino die Gemütlichkeit | |
künstlicher Dekors gründlich auszutreiben. Wohl auch deshalb musste „Das | |
letzte Haus links“ (1972), ein bis heute beherzt an den Nervenenden des | |
Publikums zerrendes Stück Kino, mit solchen Werbesprüchen auf Distanz | |
gebracht werden. Viel geholfen hat es zumindest hierzulande nicht: Seit | |
Jahren befindet sich der Film im Giftschrank der Amtsgerichte. Wo der | |
Schrecken zu real wird, zücken Staatsanwälte gerne den | |
Beschlagnahmebeschluss. | |
Der Regisseur dieses von der deutschen Zensur geadelten Meisterwerks heißt | |
Wes Craven. In seiner offiziellen Filmografie steht es an erster Stelle. | |
Die zuvor unter Pseudonym gedrehten Pornos zählen nicht zum Werkskanon, | |
bilden aber die Lehrjahre dieses stets betont kultiviert auftretenden Elder | |
Statesman of Horror: Ohne den grob-materiellen Realismus des Pornos, ohne | |
dessen strategischen Distanzverlust wäre „Das letzte Haus links“, ein loses | |
Remake von Ingmar Bergmans „Jungfrauenquelle“, kaum denkbar. | |
Mehr als George Romero zuvor mit „Night of the Living Dead“ verortete | |
Craven den Horror ganz nah am Hier und Jetzt und holte das angestaubte | |
Genre damit wieder an den Puls der Zeit: Der Vietnamkrieg, die Attentate | |
auf Kennedy und Martin Luther King, die blutige Niederschlagung der sich | |
ihrerseits radikalisierenden Bürgerrechts- und Studentenbewegungen bilden | |
das soziohistorische Hintergrundrauschen, das sich allabendlich via 16 mm, | |
dem gängigen Material der TV-Nachrichten, auf den heimischen Bildschirmen | |
konkretisierte und es den jungen Leuten dämmern ließ, dass an der Sache mit | |
dem Menschen, der dem Mensch ein Wolf ist, akut was dran ist. Dieser | |
profunden Verstörung seiner Generation verlieh Craven adäquaten Ausdruck: | |
Das Kino der Gewalt verstand er nicht als burleske Jahrmarktsattraktion, | |
sondern als gesellschaftlichen Echoraum. | |
Mit Romero und David Cronenberg bildet Craven so etwas wie das | |
intellektuelle, linksliberale Triumvirat des nordamerikanischen | |
Horrorfilms. Gemeinsam modernisierten und entrümpelten sie das Horrorkino, | |
luden es neu auf und machten es damit wieder brauchbar als Echolot. Von | |
ihrer Pionierarbeit zehrt das Genre bis heute. | |
## Intellektueller Splatter | |
Pornofilme, Splatterfilme – intellektuell? Was in Old Europe als | |
unwahrscheinlich gilt, wird bei Craven zum Ausweis einer großartig | |
amerikanischen Biografie: Aufgewachsen in einer religiösen Familie, schlug | |
der 1939 in Ohio geborene, junge Mann zunächst den klassisch humanistischen | |
Bildungsweg ein und arbeitete nach einem Philosophiestudium als Dozent, | |
bevor er die Universität verließ und sich über den Umweg des Bahnhofskinos | |
gen Hollywood aufmachte. Der akademische Betrieb hat ihm längst verziehen: | |
Die seit den 90er Jahren entstehenden „Horror Studies“ widmen sich dem | |
verlorenen Sohn mit besonderer Vorliebe. | |
Was daran liegt, dass Craven es mit der Modernisierung des Horrorfilms in | |
den 70er Jahren nicht auf sich bewenden ließ. Als nach „Halloween“ alle | |
Welt Slasherfilme mit maskierten Häschern drehte, schenkte er dem | |
Horrorkino 1984 mit dem Klingenhandschuh-Serienkiller Freddy Krueger aus | |
„Nightmare“ einen seiner populärsten Mythen und lud das gerade realistisch | |
gewordene Genre wieder phantasmatisch auf: Anders als seine diesseitigen | |
Kollegen ging der von Brandmalen entstellte Krueger seinen jugendlichen | |
Opfern in deren Träumen nach. Aus handfesten Gründen: Krueger ist das | |
dunkle Geheimnis der schweigenden Elterngeneration, die den einstigen | |
Schulhausmeister einst eigenhändig in den Ofen geschoben hatte. | |
Die Ahnung, dass Krueger sich an Schulkindern vergangen hat und seine | |
Dämonie sich somit auch als Konkretion kindlicher Traumatisierungen deuten | |
lässt, buchstabierte das missratene Remake von Samuel Bayer (2010) | |
kleinteilig aus. Craven vertraute noch auf die Intelligenz des Publikums, | |
das den Film auch als Allegorie auf die weltvergessen hedonistischen 80er | |
deuten konnte, die sich der Schrecken der 70er Jahre bewusst werden. Anders | |
als das reaktionäre Segment des Horrorfilms wühlte Craven immer auch auf | |
der eigenen Seite nach den Wurzeln des Schreckens. | |
## Notorisch unaustreibbares Gespenst | |
Krueger ging derweil zu Cravens Missfallen als notorisch unaustreibbares | |
Gespenst in Serie – unter der Regie anderer. Cravens Rückkehr zum Franchise | |
im Jahr 1994 ist deshalb auch als zornige Negation zu verstehen: nicht als | |
immanente Fortsetzung angelegt, sondern als fiktive Meditation darüber, wie | |
Freddy Cast und Crew des ersten Teils heimsucht. „Freddy’s New Nightmare“ | |
(1994) aktualisiert die romantische Fantasie, dass fiktionale Geschöpfe | |
ihren Schöpfern tatsächlich entgegentreten. | |
Zugleich dient der Film als Vorstudie zur „Scream“-Reihe, Cravens | |
vielleicht wichtigster Hinterlassenschaft, einer wütende Abrechnung mit dem | |
Slasherfilm, die das Genre zugleich auf die Ebene postmoderner Reflexion | |
hebt: Die Regeln und Mythen des Genres selbst sind es, die hier in | |
konkreter Aussprache der Figuren bewusst gemacht und in | |
selbstkannibalistischer Manier verhandelt werden: Wiederholung und | |
Differenz, die Welt als Wiederkehr des Immergleichen – nur eben als Zitat | |
eines Zitats. | |
Große Kunst entsteht dort, wo sich Künstler reflexiv zu ihrem Feld | |
verhalten, darin eine eigene Position finden und behaupten. In seinen | |
besten Filmen trieb Craven das Genre der Angst stets voran, dachte es neu, | |
stülpte es verblüffend um. Am Sonntag erlag der intellektuelle | |
Horror-Hexenmeister einem Hirntumor. Im Kino könnte man auf eine Rückkehr | |
hoffen. Am Ende ist es eben doch nicht bloß ein Film. | |
31 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
## TAGS | |
Horror | |
Regisseur | |
Hollywood | |
Halloween | |
Humor | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Halloween: Ein Fest zum Gruseln | |
Halloween ist Kommerz pur und nur cool, weil das Fest aus „Amerika“ kommt. | |
Ist es kindgerecht, 4-Jährige als Zombie zu verkleiden? | |
Horrorfilm „Ich seh, ich seh“: Das Genre ist kein Witz | |
Veronika Franz und Severin Fiala zeigen mit „Ich seh, ich seh“, was ein | |
Genrefilm, der sich ernstnimmt, alles möglich macht. | |
Interview mit Asia Argento: „Kinder lieben es, Angst zu haben“ | |
Kinder sehen überall Magie. Asia Argento über ihren neuen Film | |
„Missverstanden“, schwarzen Humor und die Abwehrkräfte des Punk. | |
Neuverfilmung „Godzilla“: Go, Godzilla, go! | |
Inspirierte Besetzung und familiäre Werte: Regisseur Edwards versucht, das | |
lädierte Ansehen des Prinzips Blockbuster zu restaurieren. | |
Regisseurin über Horrorfilme: "Das Innere stülpt sich nach außen" | |
Was geschieht, wenn wir Horrorfilme sehen? Ein Gespräch mit der Berliner | |
Regisseurin Katharina Klewinghaus über ihr Filmdebüt "Science of Horror", | |
"Final Girls" und "Chucky"-Puppen. |