# taz.de -- Regisseurin über Horrorfilme: "Das Innere stülpt sich nach außen" | |
> Was geschieht, wenn wir Horrorfilme sehen? Ein Gespräch mit der Berliner | |
> Regisseurin Katharina Klewinghaus über ihr Filmdebüt "Science of Horror", | |
> "Final Girls" und "Chucky"-Puppen. | |
Bild: "Faszination und Abneigung bestehen gleichermaßen", meint Klewinghaus zu… | |
taz: Frau Klewinghaus, für mich ist jeder Horrorfilm eine Mutprobe. Ich | |
genieße es, ihn zu schauen, habe zugleich aber wirklich Angst. Können Sie | |
das nachvollziehen? | |
Katharina Klewinghaus: Absolut. Der Horrorfilm ist ja das, was Linda | |
Williams "body genre" genannt hat, also ein Genre, das körperliche | |
Reaktionen hervorruft. Beim Melodrama sind das Tränen, bei der Pornografie | |
die Ejakulation, beim Horror sind es die Gänsehaut und der Angstschweiß. | |
Und wenn Sie Angst haben, dann ist es genau das, was der Horrorfilm | |
erreichen will. Ich hatte anfangs auch Probleme, weil es eine heftige | |
Konfrontation mit Ängsten bedeutete, Horrorfilme zu gucken. Aber durch mein | |
Filmprojekt und die feministische Filmtheorie habe ich gemerkt, wie viel | |
Faszinierendes in dem Genre steckt. | |
Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis, einen bestimmten Film, der diese Wende | |
hervorrief? | |
Für mich geht es zunächst einher mit den feministischen Filmtheorien. Carol | |
Clover erzählt ja in meinem Film, wie sie "The Texas Chainsaw Massacre" | |
geguckt hat. Als Frau im Zuschauerraum mit einem fast ausschließlich | |
männlichen Publikum verspürt sie erst große Abwehr. Plötzlich aber merkt | |
sie: Hier passiert etwas ganz anderes, als sie immer gedacht hat. In diesem | |
speziellen Fall ist es die Identifikation des männlichen Zuschauers mit der | |
weiblichen Figur, dem scheinbaren Opfer auf der Leinwand, was die | |
Vorstellungen von masochistischem und sadistischem Genuss | |
durcheinanderbringt. Für mich war es allerdings nicht so, dass ich einen | |
bestimmten Film gesehen und gedacht hätte: Wow. | |
Für Sie kam erst die Theorie, dann die Praxis? | |
Ja. Zeitgleich habe ich ein starkes Interesse an all dem entwickelt, was | |
als low culture gilt. Denn daran kann man gesellschaftlich sehr viel | |
ablesen. Man kann zum Beispiel annehmen, dass Tarantinos Frauenfiguren in | |
"Death Proof" und "Kill Bill" auf die Frauenfigur des Horrorfilms | |
zurückgehen, auf das final girl, das am Ende die Kettensäge in die Luft | |
hält. | |
Am Anfang von "Science of Horror" umschreibt einer der Regisseure, die Sie | |
interviewen, wie Horrorfilme funktionieren. Man öffnet eine Luke und wirft | |
den Alligatoren, die darunter hausen, Fleischbrocken zu. Täte mans nicht, | |
würden die Tiere irgendwann hervorkriechen. Trifft diese Metapher das Wesen | |
vom Horrorfilm? | |
Ich finde das schwierig. Wes Craven meint etwas Ähnliches, wenn er vom | |
Bootcamp, vom Trainingslager für die Psyche spricht. Und John Carpenter | |
sagt, es geht um Katharsis. Wir konfrontieren uns mit dem Schrecklichen, | |
und dadurch lassen wir aggressive Impulse los, erfahren eine Form der | |
Erleichterung. Ich finde das ein bisschen problematisch. Im Film selbst | |
kommt es durch die Montage irgendwann zu dem Punkt, an dem sich die | |
verschiedenen Meinungen gegenüberstehen. Judith Halberstam sagt am Ende: Es | |
gibt im Horror keine Katharsis, weil es nie zu einer Auflösung kommt, weil | |
das Monster immer zurückkommt. | |
Im Film ist die Rede von einer Verwandtschaft von Pornografie und Horror. | |
Sie sagten ja eben schon, dass es bei beiden Genres unter anderem um die | |
Produktion von Körperflüssigkeiten geht. Trotzdem hat die Verwandtschaft | |
auch Grenzen. Können Sie das erläutern? | |
Der Horrorfilm wird interessant, wenn man mehr als die Symbolik anguckt, | |
sich also nicht nur fragt: Was könnte das bedeuten?, sondern auch: Was | |
passiert körperlich? Was passiert zwischen Zuschauer und Film? Da passiert | |
nämlich etwas Unglaubliches. Wir gehen eine Verbindung mit dem Horrorfilm | |
ein, er wird zur Erfahrung und lebt, wie jeder Film auf seine Art, in uns | |
weiter. Davon abgesehen ist wichtig, dass Sexualität immer viel härter | |
zensiert wurde als Gewalt. Und deshalb hat der Horrorfilm sich so | |
entwickelt, dass er über die Gewalt versucht, Aspekte von Sexualität zu | |
erklären. Mittlerweile gibt es den torture porn film, der die | |
Sexualisierung von Gewalt auf die Spitze treibt. | |
Beide Genres haben ein großes Interesse am Körperinneren, sie folgen dem | |
Wunsch, Körperbarrieren zu überwinden und zu wissen, wie es in einem drin | |
ausschaut. | |
Der Filmkritiker Robin Wood hat gesagt, Horror sei "the return of the | |
repressed". Das Verdrängte, das Unterdrückte kommt wieder hervor. Und zwar | |
nicht nur psychoanalytisch betrachtet, sondern auch konkret körperlich. Das | |
Innere stülpt sich nach außen, und wir gucken uns das an. Das ist die | |
Ambivalenz, mit der Horror spielt, denn Faszination und Abneigung bestehen | |
gleichermaßen. | |
Hatten Sie, als Sie die Regisseure interviewten, den Eindruck, sie seien | |
mit der feministischen Rezeption von Horrorfilmen vertraut? | |
Es gibt schon ein Bewusstsein über die Thematik von Sexualität und Gender. | |
Nur: Wie das halt so ist, besteht zwischen Theorie und Praxis auch eine | |
Kluft. Gerade die Macher wollen sich von der Theorie distanzieren. | |
Einerseits ist das wichtig. Wenn man etwas umsetzt, muss man das tun. | |
Andererseits ist es schade, dass diese Kluft besteht. Es sind zwei | |
verschiedene Disziplinen, aber sie befruchten sich gegenseitig. Wes Craven | |
ist recht aufgeklärt in Sachen feministischer Theorie. Ich würde sogar so | |
weit gehen zu behaupten, dass er Carol Clovers Buch gelesen hat. | |
"Men, Women, and Chainsaws. Gender in the Modern Horror Film" heißt es. | |
Warum glauben Sie, dass Craven es gelesen hat? | |
Weil der amerikanische Regisseur in seinem Film "Scream" so | |
selbstreflektiert mit den Formeln umgeht, die Clover herausgearbeitet hat. | |
In diesen Formeln geht es immer wieder um das final girl, also um die junge | |
Frau, die am Ende über das Monster triumphiert. Steckt darin nicht | |
vielleicht eine etwas zu simple Repräsentationspolitik, nach dem Motto: | |
Sobald es eine starke Frauenfigur gibt, ist mans zufrieden? | |
Es ist auf jeden Fall komplexer. Judith Halberstam zum Beispiel beschreibt, | |
wie die Existenz des final girl dazu beigetragen hat, den Horrorfilm aus | |
einer queeren Perspektive zu betrachten. | |
Worin besteht das Queere? | |
Das final girl ist ein Mädchen, das jungenhaft ist, oft hat es einen | |
Unisexnamen. Diese Figur ist so konstruiert, dass der männliche Zuschauer | |
die Möglichkeit hat, sich mit ihr zu identifizieren. Sie durchlebt nun all | |
diese schrecklichen Dinge, zugleich findet die Identifikation des Mannes | |
mit ihr statt, das heißt, er kann masochistische Gefühle erfahren, nicht | |
sadistische. Ich will natürlich überhaupt nicht verneinen, dass es den | |
sadistischen Zuschauer gibt. Aber es ist komplexer, denn es kommt zu | |
verschiedenen Formen der Identifikation. Pauschal gesagt, ist das final | |
girl eine Art zeitgenössische Feministin. | |
Judith Halberstam sagt auch einiges über die "Chucky"-Serie. | |
Ja, denn daran zeigt sich, wie austauschbar Gender und wie künstlich | |
Sexualität ist. Chucky, die Puppe, ist wie ein animierter Dildo. | |
Jenseits von den feministischen Lesarten gibt es auch die, dass die | |
Horrorfilmproduktion viel zu tun hat mit Kriegserfahrungen. Die Horrorfilme | |
der 70er-Jahre wären dann eine Reaktion auf Vietnam, der aktuelle torture | |
porn à la "Hostel" vielleicht auf Guantanamo Bay und Abu Ghraib. Diese | |
These kommt in "Science of Horror" nicht vor. | |
Ich finde diese Zusammenhänge zwar spannend, aber ich konnte sie nicht | |
behandeln. Damit hätte ich noch einmal eine ganz andere Tür geöffnet. Das | |
wollte ich nicht, zumal es schon einen Film namens "The American Nightmare" | |
gibt, eine Dokumentation speziell über den Horrorfilm der 60er- und | |
70er-Jahre und dessen Verhältnis zum Vietnamkrieg. | |
INTERVIEW CRISTINA NORD | |
4 Aug 2008 | |
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Horror | |
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