# taz.de -- Immer meer Plastik: Dem Minimüll auf der Spur | |
> Forscher wollen Plastikabfall aus Nord- und Ostsee untersuchen und | |
> herausfinden, wie bedrohlich er für Menschen und Muscheln werden kann | |
Bild: Früher Bernstein, heute Kunstharze: Am Ostseestrand ist fast alles wie i… | |
Muscheln können Geschwüre bekommen, und zwar durch Polyethylen. Kleinste | |
Körnchen dieses Kunststoffes reichen dafür aus, hätten neuere Forschungen | |
ergeben, sagt Frank Schweikert vom Hamburger Umweltbüro Aldebaran Marine | |
Research. Und deshalb wollen WissenschaftlerInnen jetzt erstmals | |
großflächig in Nord- und Ostsee Plastikmüll sammeln und analysieren. „Wir | |
wollen die konkreten Auswirkungen auf den Menschen ermitteln“, sagt Gesine | |
Witt, wissenschaftliche Leiterin der Expedition und Professorin für | |
Umweltchemie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in | |
Hamburg. | |
Am gestrigen Dienstag startete deshalb das Forschungsschiff „Aldebaran“ zu | |
einer dreiwöchigen Fahrt. In den Mündungen von Elbe, Weser und Trave sowie | |
auf Nord- und Ostsee werden 40 Probensammler, die dort vor drei Monaten | |
ausgelegt wurden, wieder eingesammelt. Und dann wird die Ernte ausgewertet | |
und analysiert, und die wird „aus einem wahren Giftcocktail bestehen“, sagt | |
Witt voraus. | |
Die Sammler, trinkbechergroße Kupfergehäuse mit mikroskopisch kleinen | |
Silikonfasern, ziehen Schadstoffe an. „Die sind wie Magneten“, sagt Witt, | |
und das macht sie so gefährlich. Wenn dieses Mikroplastik durch das Wasser | |
treibt, bindet es hochgiftige Stoffe wie Polychlorierte Biphenyle (PCB) | |
oder das Insektizid DDT. Es sinkt zu Boden, wird von Würmern, Muscheln oder | |
Krebsen aufgenommen – und landet direkt auf der Paella oder auf dem Umweg | |
über Fische auf dem Teller des Menschen. „Wir wissen, dass das bei Muscheln | |
Zellveränderungen hervorrufen kann“, sagt Witt: „Warum nicht auch bei | |
Menschen?“ | |
Mikroplastik sind fast unsichtbare Teilchen von weniger als fünf | |
Millimetern Größe vor allem aus Polyethylen, Polypropylen, Polyester und | |
Polyamid. Viele dieser winzigen Partikel stammen direkt aus Duschgels, | |
Zahnpasta oder sonstigen Artikeln mit Peeling-Effekt. „Können solche | |
Partikel in Kosmetika über die Haut auch in menschliche Zellen | |
eindringen?“, fragt Witt. Auch Bruchstücke von Plastiktüten sowie Fasern, | |
die durch Abrieb und Zersetzung von Plastikgegenständen oder Fleecekleidung | |
entstehen (siehe Kasten), zählen zur Mikroplastik. | |
Nach Angaben der Umweltorganisation BUND wurde Mikroplastik in Flüssen und | |
im Meer in Kleinstorganismen, Muscheln, Fischen und Seehunden nachgewiesen. | |
Das sei „besorgniserregend und in den Auswirkungen kaum abzuschätzen“, sagt | |
der BUND. Er fordert ein Verbot von Mikroplastik in Hygiene- und | |
Kosmetikartikeln sowie von Plastiktüten. Ein Einkaufsführer, der über alle | |
Produkte mit Mikroplastik informiert, ist auf der Homepage des BUND zu | |
finden. | |
Mikroplastik lässt sich meist nicht herausfiltern, wie eine Untersuchung | |
des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) im | |
vorigen Jahr ergab. Nur eine teure Schlussfiltration könne die Belastung | |
deutlich reduzieren, und die gibt es in Norddeutschland einzig in | |
Oldenburg. Diese reduziere die Gesamtfracht von Mikroplastikpartikeln und | |
-fasern um 97 Prozent, sagte der AWI-Mikrobiologe Gunnar Gerdts bei der | |
Präsentation der Untersuchung. | |
Witt und ihr Team wollen nun „hier vor unserer Haustür“ dem Minimüll auf | |
die Spur kommen. Um dessen Giftwirkung zu ermitteln, wird es anschließend | |
in biologischen Testsystemen untersucht. Falls Bakterien, Algen oder | |
Fischeier auf den Giftcocktail in den Silikonfasern reagieren, | |
beispielsweise durch ein gehemmtes Wachstum oder Fehlbildungen, „dann ist | |
eine reale Bedrohung der marinen Umwelt und auch für den Menschen | |
nachgewiesen“, sagt Witt. | |
Bis aber konkrete Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorliegen, werde es | |
allerdings noch dauern. Bis dahin sollte man alle Arten von Plastik aus | |
seinem Haushalt verbannen, sagt Witt, „und auch auf Zahnpasta mit | |
Polyethylen verzichten“. Es gebe auch Pasten mit Schlämmkreide, und die | |
seien für Menschen und Umwelt gesünder. | |
9 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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