# taz.de -- Die Wahrheit: Sechs Taschentücher für ein Mädchen | |
> Die bekannte irische Whiskey-Destillerie Jameson tut gut daran, den Enkel | |
> des Gründers in der Firmengeschichte zu unterschlagen. | |
Seine Vorfahren kann man sich nicht aussuchen. Das ist manchmal misslich, | |
vor allem, wenn man ein Konzern ist und möglichst keine peinlichen Flecken | |
in der Biografie haben möchte. Nicht alle haben so viel Glück wie die | |
Hersteller des dunklen irischen Bieres. Zwar gehörte Firmengründer Arthur | |
Guinness der anglo-irischen Aristokratie an und trat im 18. Jahrhundert | |
gegen die irische Unabhängigkeit ein, doch seinen Erben ist es gelungen, | |
die Marke Guinness als irischstes aller Produkte zu vermarkten, auch wenn | |
das Unternehmen seinen Sitz längst in London hat. | |
Jameson hingegen, die erfolgreichste Whiskey-Brennerei Irlands, hat einen | |
Ahnen, der in der Firmengeschichte nicht auftaucht. James Sligo Jameson war | |
der Enkel des Firmengründers, dessen Unterschrift noch heute auf die | |
Flaschenetiketten gedruckt wird. Zunächst schien es, als ob James eine | |
respektable Laufbahn einschlagen würde. Er war der einzige irische | |
Offizier, der 1887 an einer Expedition von Henry Morton Stanley, eines | |
walisischen Journalisten, ins Innere Afrikas teilnahm. Die Gruppe zog am | |
Kongo entlang, dem mit stellenweise 220 Metern tiefsten Fluss der Welt. | |
Doch schon bald ging einiges schief. Stanley war ein brutaler | |
Expeditionsleiter, der „die Neger abknallte, als ob es Affen wären“, wie | |
sein Zeitgenosse, der Forscher Richard Francis Burton, bemerkte. | |
„Die vergangenen sechs Monate waren die schlimmsten und nutzlosesten meines | |
Lebens“, schrieb Jameson an seine Frau. „Seit meiner Kindheit habe ich | |
davon geträumt, etwas Gutes in dieser Welt zu tun und mir einen Namen zu | |
machen, der nicht nur mit Müßiggang zu tun hat.“ Was von seinem Ruf übrig | |
war, ruinierte er bald selbst. | |
Bei einer Rast unterhielt sich Jameson mit einem Stammeshäuptling über | |
Kannibalismus. Er bot ihm sechs weiße Taschentücher, damit er zusehen | |
könne, wie die Kannibalen jemanden zubereiteten und verspeisten. Er wollte | |
die Szene zeichnen. Kurz darauf kam der Häuptling mit einem zehnjährigen | |
Mädchen. „Dann sah ich das Schrecklichste, das ich jemals in meinem Leben | |
sehen werde“, schrieb Jameson in einem weiteren Brief. „Er stach ihr mit | |
einem Messer zwei Mal in die Brust, sie fiel vornüber aufs Gesicht. Drei | |
Männer kamen angerannt und zerteilten ihren Körper. Schließlich wurde ihr | |
der Kopf abgeschnitten, und nichts blieb von ihr übrig. Die Männer brachten | |
die Körperteile zum Fluss und wuschen sie. Außergewöhnlich war, dass das | |
Mädchen keinen Laut von sich gegeben hatte, bis sie zu Boden fiel.“ | |
Jameson behauptete zwar, dass er sein Taschentuch-Angebot als Scherz | |
gemeint hatte. Da es aber nun mal geschehen war, nahm er seinen Stift aus | |
der Tasche und begann zu zeichnen. Leider bekam die Times in London Wind | |
von der Sache und druckte die Geschichte. Jameson konnte seine Version | |
nicht mehr anbringen, weil er kurz darauf an Tropenfieber starb. | |
Guinness? Jameson? Dann doch lieber ein Glas Wasser, solange es kostenlos | |
ist, weil die Hälfte der Nation die Wassergebühren boykottiert. | |
30 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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