| # taz.de -- Radrennelite auf Spanienrundkurs: Klassefeld und Dilettantismus | |
| > Die Veranstalter der Spanienrundfahrt Vuelta wollten dem Publikum ein | |
| > großes Spektakel bieten. Nun müssen sie den Spott ertragen. | |
| Bild: Das Hauptfeld der Radrennfahrer auf der Vuelta-Etappe zwischen Alhaurin d… | |
| Wer Spektakelsport organisiert, tanzt auf einem dünnen Seil. Das erfahren | |
| in diesem Jahr die Macher der Vuelta. Sie haben zwar ein Klassefeld mit | |
| Doppeltoursieger Chris Froome, dem doppelten Zweiten Nairo Quintana und | |
| Ex-Toursieger Vincenzo Nibali verpflichtet. Sie plagen die Fahrer aber auch | |
| mit solchen Schikanen, dass sie schon an Streik dachten. Weil sich Nibali | |
| auf der 2. Etappe nach einem Sturz beim Ziehen durch ein Begleitfahrzeug | |
| erwischen ließ und deshalb disqualifiziert wurde, ist das sportliche Menü | |
| gleich am ersten Wochenende wieder ein wenig ärmer geworden. Die Vuelta | |
| droht zu einem Slapstick-Rennen zu werden. | |
| Wer zu viel auf einmal will, landet häufig mit der Nase auf dem Boden. | |
| Diese Erfahrung machen derzeit die stolzen Besitzer der Spanienrundfahrt. | |
| Die sind zugleich Veranstalter der Tour de France – und wollten in diesem | |
| Jahr die Vuelta vom Aschenputteldasein befreien. Sie brachten unter anderem | |
| die vier Besten der Tour zu einem Start auch beim Nebenrennen. Toursieger | |
| Froome tritt hier an, die beiden Podiumsfahrer von Movistar Nairo Quintana | |
| und Alejandro Valverde sowie der Viertplatzierte Nibali. Es fehlt von den | |
| Spitzenfahrern eigentlich nur Alberto Contador. | |
| Ausgerechnet Contador. Dessen Teamchef Oleg Tinkov wollte in dieser Saison | |
| die Spitzenfahrer mit einer Million Dollar Siegprämie zur sogenannten | |
| „Grand Tour Challenge“ überreden, also zur Teilnahme an allen drei großen | |
| Landesrundfahrten. Das ging schief. Tinkov-Mann Contador versuchte immerhin | |
| das Double aus Giro und Tour. Er gewann Teil 1 der Prüfung und erreichte in | |
| Frankreich Rang 5. | |
| Für Tinkov ist Contador damit noch immer „der stärkste Rundfahrer der | |
| Gegenwart“. So jedenfalls tönte der Russe. Er prophezeite maliziös den | |
| aktuellen Doppelstartern: „Sie werden jetzt in Spanien so leiden wie | |
| Alberto in Frankreich.“ Und noch eine Gemeinheit hatte der Russe gegenüber | |
| Froome & Co. parat: „Nach einer Woche Vuelta möchte ich sie gern fragen: | |
| ‚Und, wie fühlt ihr euch jetzt?‘“ | |
| Nibali muss er das nicht mehr fragen. Der Italiener musste schon am zweiten | |
| Tag vom Rad. In einen Sturz 35 Kilometer vor dem Ziel verwickelt | |
| beschleunigte er seine rasante Aufholjagd mit dem Festhalten an einer aus | |
| dem Auto gereichten Trinkflasche. Er wurde von der Jury disqualifiziert. | |
| ## Im Sand versunken | |
| Das war bereits die zweite Posse. Die erste ereignete sich rings um das | |
| Mannschaftszeitfahren zum Auftakt. Seit Januar war der Parcours bekannt, | |
| auch die 7,4 Kilometer lange Strecke des Zeitfahrens am Strand von | |
| Marbella. Drei Tage vor Start hagelte es aber plötzlich Kritik an der | |
| Strecke. Sky-Kapitän Chris Froome veröffentlichte Fotos von Reifen, die im | |
| Sand versanken. Andere Fahrer schlossen sich an. Sie befanden die Strecke | |
| plötzlich für zu gefährlich für ein Teamzeitfahren. Sie sind klassische | |
| Spätmerker. | |
| Die Vuelta-Planer schwenkten mit ihrem kritisierten Parcours auf die Linie | |
| des Giro d’Italia ein. Auf der Suche nach größerer Attraktivität ließen d… | |
| Giro-Macher das Peloton in den vergangenen Jahren immer wieder über Lehm- | |
| und Schotterpisten fahren. Die Tour zog nach und integrierte | |
| Kopfsteinpflasterabschnitte von Paris nach Roubaix. Weil Spanien viele | |
| Strände hat, suchte sich Vuelta-Chef Javier Guillen Sand als | |
| Alleinstellungsmerkmal aus. | |
| Das ging gründlich schief. Zwar schlossen sich nicht alle Fahrer dem | |
| Protest an. „Das war gar nicht so gefährlich. Mir rutschte nur an einer | |
| Ecke das Rad weg“, meinte gelassen der Schweizer Fabian Cancellara. Ein | |
| wenig staunte der Oldie aber doch: „Nachdem alle Fahrer und auch alle | |
| Teamfahrzeuge hier über die Piste gefahren sind, sieht es eher nach einem | |
| Slalomparcours im Tiefschnee aus.“ | |
| ## Zeitfahren geht nicht in die Wertung ein | |
| Wegen dieser weiten Definition von Straßenradsport legte die UCI fest, dass | |
| das Zeitfahren zwar ausgetragen wird, die Ergebnisse aber keinen Eingang in | |
| die Gesamtwertung finden. Oberprotestierer Froome ging den Abschnitt mit | |
| seinen Sky-Mannen gemächlich an und kam mit mehr als einer Minute Rückstand | |
| auf den siegreichen BMC-Express mit Marcus Burghardt an. Der Wettkampf | |
| wurde zur Satire. Die gewünschte Aufmerksamkeit war nur in ihrer | |
| Schrumpfform als Spott zu haben. Der Nibali-Ausschluss verstärkt diese | |
| Tendenz noch. | |
| Sportlich ist das Rennen allerdings hochspannend. Gleich am Sonntag setzte | |
| sich Quintana von den Mitfavoriten ab. Er brach am Schlussanstieg von | |
| Caminito del Rey aber ein und musste den Sieg seinem Landsmann Esteban | |
| Chavez überlassen. „Ich hatte einfach keine Kraft mehr“, gestand der | |
| Kolumbianer. Ein paar Sekunden Vorsprung auf Froome rettete er dennoch ins | |
| Ziel. | |
| Alles Sportliche wird durch das Orga-Chaos aber in den Hintergrund | |
| gedrückt. Neues Ungemach droht in der zweiten Woche. Da steht die | |
| Königsetappe durch Andorra an, mit gleich sechs Bergen, dem ersten davon | |
| bereits nach neun Kilometern, und insgesamt knapp 5.000 Höhenmetern. Sogar | |
| Kletterkönig Quintana bezeichnete das als „mächtig übertrieben“. Im | |
| Spektakelwettbewerb der dreiwöchigen Rundfahrten setzt die Vuelta auf | |
| „Überholen ohne einzuholen“. Das klappte schon bei Walter Ulbricht nicht | |
| ganz. | |
| 24 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
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