# taz.de -- Kurze Hosen: Der Mann rüstet ab | |
> Seit Ende der 60er-Jahre lockern sich die bürgerlichen Hüllen im | |
> Beruflichen. Männer verstecken ihre Beine kaum noch in langen Hosen. | |
Bild: Nicht mehr erörtert wird, dass Männerbeine ja grässlich aussähen. | |
In den Dörfern der Hipster ist seit jeher angezeigt, was modisch wird, | |
angesagt ist und nachzuahmen. Etwa in Kreuzkölln, dem Teil Berlins, in dem | |
bis vor kurzer Zeit gern gesehen wurde, was migrationspolitisch | |
schiefläuft. Die Kolonisierung der Lebensstile zwischen muslimischen und | |
dort neu siedelnden Student*innen nimmt in diesem Sommer indes an | |
Intensität zu. Vor allem bei Männern. Mann trägt kurze Hose. Und zeigt | |
Bein. | |
Nicht erst in den letzten fünf Wochen,seitdem auch Kreuzkölln von einer | |
quasitropischen Dauerwitterung erhitzt wird. Schon im April, fast noch bei | |
fröstelnder Luft, war es zu sehen. Der Mann als Träger langer Hosen | |
verweigert sich. Er bevorzugt Kurzes, das Bein Ausstellendes. Das ist | |
luftig, das lässt nicht weniger schwitzen, aber es fühlt sich an, als | |
umwehe die Beine ein Hauch von Kühlung. Zuerst war es bei den Bürgern | |
migrantischer Prägung zu sehen. Die Sonnenallee ist ohnehin ein Catwalk wie | |
ein Wohnzimmer – weshalb also nicht gleich familiär werden und weniger | |
förmlich? | |
Und die Hipster zogen mit. Inzwischen – jeder, der in diesem Sommer in | |
Europa unterwegs war oder etwa im Silicon Valley, in Brooklyn oder | |
Portland, konnte das notieren – ist es ein globaler Trend. Der Mann rüstet | |
ab. Und zwar gründlich. In Start-up-Büros, öfter auch schon in klassischen | |
Bürofluchten: Der Mann verschafft sich Lüftung. Es sind ja keine Hotpants, | |
meist eher Exemplare, die knapp oberhalb der Knie enden. | |
Und zwar ohne Prüfung des ästhetischen Werts. Man sieht sehr schöne Beine, | |
mit sichtbarem oder spärlichem Haarbewuchs, Beine als teigiges Modell oder | |
stramm, schmal, kräftig. Über die Schuhe ließe sich streiten: Passen Camper | |
an die Füße oder sollte es ein Paar von Converse sein? Sind Jesuslatschen | |
okay? Birkenstocks oder Nikes? Strümpfe – ja oder nein? Socketten? Am | |
besten immer. | |
Die konservative Kulturkritik an diesen Bildern des entlanghosten Mannes | |
ließ nicht lange auf sich warten. Alexander Grau, Experte beim | |
Debattenmagazin Cicero, schrieb jüngst ein Traktat unter dem Titel | |
„Allgemeine deutsche Geschmacksverweigerung“, illustriert mit sechs | |
Männerteilkörpern vom Nabel bis zur Sohle. Viel ist in diesem Text zu lesen | |
vom Üblichen. So von wegen: Die Deutschen haben keinen Geschmack und so | |
weiter. | |
## Männer machen, was Frauen schon immer recht war | |
Aber die Zeilen sind doch ein Fortschritt, denn nicht erörtert wird, dass | |
Männerbeine ja grässlich aussähen. Das war früher in Glossen der Zeit zu | |
vernehmen: Mit viel Gehüstel und indigniertem Getue wurden entblößte | |
Männerbeine als ästhetisch abwegig, Frauenbeine hingegen als eye candy | |
verstanden. Und das auch noch von Autorinnen, nie von Autoren, als ob sie | |
den Blick des männlichen Geschlechts sich unterwerfen wollten. | |
Offenbar ist der Stand der Geschlechterfrage weiter. Männer machen, was | |
Frauen schon immer recht war, haben Lust am Zeigen der Beine. Der | |
Unterschied ist – es möge so bleiben –, dass Frauen eher selten auf die | |
Idee kommen, ihre Beine pur zu zeigen. Was man sieht, so sie keine langen | |
Hosen tragen, sind behandelte Stellen, entwachste oder rasierte. Männer | |
bestehen auf Natur, wie sie sie hervorbrachte, oder auf dem, was sie dafür | |
halten. | |
Zu erklären ist das neue Körperlichkeitsphänomen sehr wohl: Seit Ende der | |
sechziger Jahre sind westliche Gesellschaften dabei, die bürgerlichen | |
Hüllen im Beruflichen zu lockern. Nichts soll mehr steif und fest sein. Die | |
Uniform des Angestellten – der Anzug – wird als solche getragen, nicht als | |
natürliches Habit. Seit 50 Jahren gibt es auf dem Markt sogenannte | |
Freizeitkleidung – und das mag man bemeckern, ästhetisch an ihr | |
verzweifeln: Wer lebt, hat es gern bequem. Und auf Sneakern läuft es sich | |
weniger eingeschnürt – und in T-Shirt, krawattenlos und in weiteren Hosen | |
fühlt sich ein Arbeitstag weniger korsettiert an. Nun sind die Beine dran, | |
hergezeigt zu werden. | |
Man sieht nun eben Haare und Adern, Muskeltraktionen und überhaupt | |
Bewegungen wie auf dem Spielplatz (des Lebens). Man flaniert in heutigen | |
Zeiten weniger, als dass man läuft. Kulturkritiker mögen sagen: als ob eine | |
To-do-Liste abgehakt werden müsste. Mag sein, doch es fühlt sich weniger | |
eingezwängt an – und nur das zählt. | |
Ob das gut ist oder schlecht? Urteile einE jedeR selbst. Die einen sagen | |
so, die anderen so. Die Augen jedenfalls haben mehr zu tun. | |
25 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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