# taz.de -- Essbares aus der Natur: „Ernten ist cooler als kaufen“ | |
> Dominik Weis plant einen essbaren Wald in Oldenburg. Der Physikstudent | |
> über die Suche nach Nachhaltigkeit, kompliziertes Pflanzen und Früchte am | |
> Wegesrand. | |
taz: Herr Weis, was ist ein essbarer Wald? | |
Dominik Weis: Man sagt dazu auch Waldgarten. Das Konzept gibt es schon seit | |
mehreren tausend Jahren und es ist ein gepflanzter Wald aus hauptsächlich | |
essbaren Pflanzen. Wald deswegen, weil es ein dreidimensionales System aus | |
mehreren Schichten mit Bäumen, Sträuchern und Bodenpflanzen ist. Das ist | |
sehr artenreich und die Pflanzen begünstigen sich gegenseitig. | |
Also nur pflanzen, wachsen lassen, fertig? | |
Die Idee ist, das System so zu entwerfen, dass es im Idealfall allein | |
funktioniert und der Mensch hauptsächlich erntet. Es geht darum, die | |
Zusammenhänge der Natur zu beobachten und zu nutzen. Wobei gerade das | |
Pflanzen ein komplizierter Prozess ist. Schließlich muss der Aufbau geplant | |
werden. Zum Beispiel muss man sich Gedanken machen, welche Pflanze wohin | |
gehört, damit alles gut wächst und auch kein Unkraut durchkommt. Für mich | |
ist das neu, weil ich so etwas noch nicht selbst angelegt habe. | |
Aber Sie haben schon ähnliche Projekte kennengelernt? | |
Ich habe im Februar ein Auslandssemester in Chile gemacht und bin dort | |
herumgereist. Ich habe eine Woche bei Menschen gelebt und gearbeitet, ihnen | |
zum Beispiel bei der Bohnenernte geholfen und beim Bau einer Lehmhütte. Sie | |
haben dort auch einen essbaren Wald. Er heißt „Bosques Disfrutables“, | |
übersetzt „Genießbare Wälder“. Das Konzept hat mich begeistert. Zurück … | |
Oldenburg beschloss ich, auch so etwas zu machen. | |
Was hat Sie daran begeistert? | |
Es ist nachhaltig, weil der Wald nichts kaputt macht und keine Rohstoffe | |
oder Dünger von außen braucht. Damit die eine Pflanze gut wachsen kann, | |
gibt es eine andere, die Stickstoff im Boden speichert. Auch wässern muss | |
man nicht unbedingt, weil die Pflanzung den Sonneneinfall reguliert. Und | |
die Wurzeln halten die Feuchtigkeit. Anders als die Landwirtschaft ist ein | |
essbarer Wald außerdem unabhängig vom Öl. Man braucht kein schweres Gerät, | |
um den Boden zu pflügen, was ihn gleichzeitig schont. | |
Wahrscheinlich muss auch nicht gespritzt werden? | |
So stellen wir uns das vor. Wir lassen die Natur arbeiten. Unerwünschte | |
Pflanzen sollen unter anderem dadurch abgehalten werden, dass der Boden mit | |
Pflanzen bedeckt ist, die uns nicht stören. Zum Beispiel mit Klee und | |
Ringelblumen. Beide sind auch wichtige Nahrungspflanzen für Bienen und | |
gleichzeitig gut für den Boden. Außerdem sollen Nützlinge Schädlinge | |
bekämpfen. | |
Wie locken Sie Nützlinge an? | |
Etwa mit Weißdorn. Der trägt essbare Beeren und seine Blüten ziehen | |
Schwirrfliegen an, deren Larven Blattläuse vertilgen. | |
Was für einen Wert hat Essen für Sie? | |
Ich beschäftige mich mit Essen und interessiere mich dafür, wie die | |
Gesellschaft funktioniert oder funktionieren sollte. Durch Spezialisierung | |
und Entfremdung geht uns viel Bewusstsein verloren. Zum Beispiel, dass | |
vieles essbar ist, das einfach so überall wächst. Mit einem Freund habe ich | |
neulich Brennnesseln gesammelt und daraus Pesto gemacht, Smoothies gehen | |
auch. Auch die Früchte der Felsenbirne, die überall wächst, kann man so | |
essen oder Marmelade daraus machen. Oder Holunder – der Gelee ist so | |
lecker. | |
Und ein essbarer Wald bringt dieses Bewusstsein zurück? | |
Ernten ist cooler als kaufen. Durch einen essbaren Wald können keine | |
Erntemaschinen durchfahren, so dass der Mensch per Hand ernten muss. | |
Dadurch bekommt man wieder einen Zugang zur Natur. | |
Das nehmen auch Urban-Gardening-Projekte für sich in Anspruch. | |
Der Unterschied liegt im Ansatz. In einem Garten muss der Boden bearbeitet | |
und gewässert werden. Außerdem wird jedes Jahr neu gepflanzt. Das ist in | |
einem essbaren Wald anders. Wir brauchen mehrjährige Pflanzen, es werden | |
wohl Obstbäume dabei sein. Wir möchten aber auch Sachen anbauen, die satt | |
machen. Deshalb haben wir zum Beispiel Nussbäume im Auge. Denkbar wäre auch | |
Buchweizen. Aber wir stehen noch ganz am Anfang. Außerdem brauchen wir erst | |
einmal eine Fläche. | |
Was für eine wäre geeignet? | |
Am besten eine, die brach liegt und nicht versiegelt ist. Und sie muss frei | |
von Altlasten sein. Wir wollen ja sorglos essen können, was da wächst. Ich | |
stelle mir 500 bis 10.000 Quadratmeter vor. Wir haben uns schon Gedanken | |
gemacht, wo es in Oldenburg solche Flächen gibt. Als nächstes wollen wir | |
mit der Stadt und dem Botanischen Garten in Verbindung treten. Außerdem | |
sind wir offen für Wissen und Menschen, die mitmachen wollen. | |
20 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Manuela Sies | |
## TAGS | |
Bremen | |
Urban Gardening | |
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