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# taz.de -- Liberalisierung von Cannabis: Kiffen in Kanada
> Chuck Varabioff verkauft Cannabisware von guter Qualität. Vancouver
> erkennt die Realität und liberalisiert den Umgang mit dem Genussmittel.
Bild: Gras aus dem Automaten: Das Gramm „Purple Voodoo“ kostet sechs Dollar.
Es ist ein sonniger Sommermorgen in Vancouver, und am Commercial Drive geht
es geschäftig zu. Vor dem Klinkergebäude mit der Nummer 2908 haben sich
Dutzende Menschen versammelt. Ein Rechtsanwalt im feinen Anzug ist
darunter, eine Radfahrerin, ein Baustellenarbeiter im Blaumann, eine
amerikanische Touristin. Sie alle warten, bis Chuck Varabioff seinen Laden
öffnet.
Um kurz vor zehn schließt Varabioff die Gittertüren auf und die Kunden
strömen nach innen. Zwei Überwachungskameras surren, ein Scheinwerfer sorgt
für grelles Licht. Drinnen sieht es aus wie in einem Selbstbedienungscafé.
Es hat Tische, Stühle und Barhocker. An der Wand stehen Münzautomaten. Zwei
Mitarbeiterinnen warten hinter einem gläsernen Tresen und bieten Waren
aller Art an, darunter auch Backwaren. Doch im Laden von Chuck Varabioff
gibt es keine normalen Kuchen oder Kekse. In dem Shop im East End wird
Cannabis verkauft – und zwar in allen erdenklichen Formen. Als getrocknetes
Gras, als Öl, als Salbe, als Süßigkeit oder eben auch als Keks.
„Wir haben die beste Auswahl in der ganzen Stadt“, verspricht Varabioff.
Über 40 verschiedene Sorten Cannabis gibt es im Laden der British Columbia
Pain Society zu kaufen. Das Gramm Gras von der Sorte „Purple Voodoo“ etwa
kostet 6 Dollar. „Cotton Candy“ ist schon für 4 Dollar zu haben. Dabei
dürfte es Varabioffs Etablissement eigentlich gar nicht geben. Denn
offiziell ist Haschisch in Kanada verboten und gilt als illegale Droge. Der
kommerzielle Handel ist untersagt. Doch in Vancouver sieht man das nicht so
eng. Cannabis-Shops sprießen dort seit einigen Monaten wie Pilze aus dem
Boden – schneller noch als neue Starbucks-Filialen.
Knapp 100 Kiffer-Shops gibt es mittlerweile in der Metropole am Pazifik,
die in Kanada wegen ihrer laxen Handhabe in Sachen Drogen auch „Lotusland“
genannt wird. Tatsächlich gilt die Stadt, in der einst Greenpeace gegründet
wurde, traditionell als Ziel für Aussteiger, Hippies und Marihuana-Fans.
Jedes Frühjahr feiern in Vancouver 20.000 Kiffer ein riesiges Rausch-Fest.
Die Ordnungshüter schreiten nicht ein – und lassen auch die Cannabis-Shops
weitgehend gewähren. „Mein Shop ist in dieser Form nur in Vancouver
möglich. In vielen anderen Gegenden in Kanada hätte man mich schon längst
verhaftet“, erklärt Geschäftsführer Varabioff, während er seine gepanzerte
Bürotür aufschließt. Nur einmal habe er bislang Besuch von der Polizei
bekommen. Aber nicht etwa, um seinen Shop zu schließen. „Die wollten nur
sichergehen, dass meine Überwachungskameras funktionieren“, sagt er und
lacht.
## 15 lizensierte Händler für Cannabis
Betreiber wie Varabioff profitieren von einer rechtlichen Grauzone. Nach
einer Serie von Gerichtsurteilen dürfen in Kanada Schmerzpatienten die
Droge legal als Medizin verwenden. Laut Vorschriften müssen sie sich das
Cannabis dazu von einem Mediziner verschreiben lassen, sich beim
Gesundheitsamt registrieren und das Gras per Versand bei einem von 15 von
der Regierung lizensierten Händlern bestellen. Im „Lotusland“ aber dehnt
man diese Vorschriften großzügig aus – und verkauft die Droge unter Duldung
der Behörden allerorten auch über den Tresen. Dabei sind die Kiffer-Clubs
strikt genommen gemeinnützige Hanf-Apotheken und sind eigentlich nur für
bedürftige Kranke gedacht. Doch die Realität ist eine andere.
Geschäftsführer Varabioff bemüht sich auch nicht besonders, das zu
verbergen: „Wir können die medizinischen Beweggründe unserer Kunden nicht
überprüfen.“ Wer bei ihm Cannabis kaufen will, muss mindestens 19 Jahre alt
sein und braucht eine Bescheinigung vom Arzt oder Heilpraktiker. Falls es
die nicht gibt, genügt auch eine Urkunde vom Notar. Dann gibt es eine
Mitgliedskarte für den unbegrenzten Einkauf. Fast 9.000 Karten hat
Varabioffs bereits ausgegeben. Sie sind leicht zu bekommen. Beim Notar
müssen die Kunden nur versichern, dass sie bei einem Arzt waren. Eine
Untersuchung findet nicht statt.
Im Falle der British Columbia Pain Society hat die nächste Notarin ihr Büro
nur einen Straßenblock weiter – ganz zufällig natürlich. 50 Dollar kostet
die Urkunde. Auch Touristenbusse sollen dort schon gesichtet worden sein.
## „Ich rauche Hasch, weil es mir guttut“
Toni jedenfalls hatte keine Schwierigkeiten, eine Mitgliedskarte zu
erhalten. Die 36-jährige Kanadierin aus dem Vorort Langley sitzt auf einem
der Barstühle und raucht gerade einen Joint von der Sorte „Blueberry
Crush“. Eine ernste medizinische Indikation kann sie nicht vorweisen, außer
gelegentlichen Kopfschmerzen, wie sie sagt. „Ich rauche Hasch, weil es mir
guttut“, gibt sie unumwunden zu.
Toni kommt einmal in der Woche in den Laden, um sich mit dem Stoff zu
versorgen. Meist zieht sie sich das Gras aus einem der Münzautomaten, in
denen Dutzende Sorten angeboten werden wie sonst Süßigkeiten oder
Colaflaschen. Die Päckchen sind fein säuberlich verpackt und versiegelt –
ein Gramm, fünf Gramm oder mehr. „Die Qualität der Ware ist wirklich
hervorragend“, sagt sie und zieht an ihrem Halm. „Auch die Atmosphäre im
Laden stimmt. Man trifft immer Gleichgesinnte.“ Bevor sie heute nach Hause
geht, will sie noch eine Cannabis-Salbe für ihren Freund kaufen, „weil der
manchmal Muskelprobleme hat“. Ihre Mutter bekommt Hanföl, weil das
angeblich gegen ihre Arthritis hilft. Auch eine neue Glaspfeife wäre wieder
mal nötig.
Experten sind sich über die medizinischen Wirkungen von Cannabis uneins –
Toni aber glaubt fest daran. Sie fordert die Freigabe und spricht aus, was
in Vancouver ohnehin jeder weiß: „Das Verbot ist nur noch eine Farce.“ Die
Bevölkerung hat sie auf ihrer Seite. Laut Umfragen sind zwei Drittel der
Kanadier für die Legalisierung von Cannabis, wie zuletzt in den
US-Bundesstaaten Colorado und Washington geschehen. Die konservative
kanadische Regierung aber hält dagegen.
In Kanada ist die Bundesregierung in Ottawa für die strafrechtliche
Einordnung der Droge zuständig, und Gesundheitsministerin Rona Ambrose hält
Cannabis für gefährlich. Entsprechend sauer ist sie über die laxe Haltung
der Polizei und Stadtverordneten in Vancouver. „Die Cannabis-Läden sind
allesamt illegal und müssen sofort geschlossen werden“, forderte Ambrose
unlängst bei einem Besuch der Stadt. Doch die Stadtregierung in Vancouver
denkt nicht daran. Im Gegenteil. Vor wenigen Wochen haben die Verordneten
erstmals eine Satzung für die Shops beschlossen – eigentlich undenkbar für
ein illegales Gewerbe.
„Wir behandeln Cannabis-Läden wie jedes andere Geschäft in der Stadt“,
erklärte der Abgeordnete Kerry Jang. So sollen Betreiber wie Varabioff
künftig einen Gewerbeschein erhalten, wenn sie eine Gebühr von 30.000
Dollar zahlen und bestimmte Auflagen erfüllen. Neue Läden sollen laut
Satzung nicht in der Nähe von Schulen oder Stadtteilzentren betrieben
werden. Leicht konsumierbare Produkte wie Kekse sollen auslaufen. Die Stadt
will damit Jugendliche vor Missbrauch schützen und die Explosion der Shops
eindämmen. Nicht alle Betreiber sind über die Auflagen glücklich und manche
müssen womöglich ihre Pforten schließen. Für die große Mehrheit der Shops
aber bedeutet die neue Satzung eine ganz neue Legitimität. Denn tatsächlich
ist der Handel mit Cannabis längst ein Riesengeschäft. Allein rund um
Vancouver gibt es Dutzende Anbauer.
## Toni Reid bringt neue Ware
Tom Reid ist einer von ihnen. Reid besitzt eine Cannabis-Farm im Tal des
Fraser River etwa eine Stunde außerhalb und ist einer von 15 Lieferanten
für die British Columbia Pain Society. An diesem Morgen bringt er Variaboff
ein paar Pappboxen mit neuer Ware „made in Vancouver“ vorbei. Dafür gibt es
5.000 Dollar in bar. Während Reid auf sein Geld wartet, erzählt er, dass er
früher einmal als Fischer gearbeitet hat. Doch seit er sich vor ein paar
Jahren bei einem Arbeitsunfall einen Bandscheibenschaden zugezogen hat,
baut er Cannabis an – mit Lizenz und ganz legal. Heute besitzt er rund 500
Pflanzen. Acht bis neun Mitarbeiter arbeiten regelmäßig für ihn. Rund
20.000 Dollar verdient er damit im Monat, wie er sagt. „Als Invalide müsste
ich Sozialhilfe beziehen und würde den Steuerzahlern auf der Tasche
liegen“, sagt Reid, während er die Kisten mit dem getrockneten Gras
auspackt. „Als Cannabis-Unternehmer schaffe ich Jobs und bezahle Steuern.“
Auch Reid will, dass die Droge nicht nur de facto, sondern auch tatsächlich
freigegeben wird. Dazu könnte es schon bald kommen. Der oberste Gerichtshof
von Kanada hat die Regeln für die medizinische Anwendung von Cannabis
zuletzt immer weiter gelockert und zum Beispiel auch die Herstellung von
Riegeln erlaubt. Im Oktober finden in Kanada zudem Parlamentswahlen statt
und die beiden größten Oppositionsparteien haben sich die Freigabe auf die
Fahnen geschrieben.
Für Chuck Varabioff ist das nur noch eine Frage der Zeit. In seiner
Schublade im Büro am Commercial Drive hat er schon die Business-Pläne für
eine ganze Discounter-Kette liegen. Mindestens 15 Filialen im ganzen Land
will er eröffnen, sobald das Kiffen in Kanada auch offiziell erlaubt ist.
Stolz zeigt er auf seine frisch polierten Münzautomaten und sagt:
„Irgendwann wird Cannabis in Kanada einmal ganz normal sein. So normal wie
Kaugummis, Schokoladenriegel oder Cola.“
20 Aug 2015
## AUTOREN
Jörg Michel
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