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# taz.de -- Debatte Konflikt im Jemen: Das Erbe früherer Kriege
> Das Land ist gespalten, die Gewalt dauert an. Die Hälfte der Bevölkerung
> hungert, und beide Kriegsparteien verüben Verbrechen.
Bild: Ein Panzer der saudi-arabisch geführten Kriegskoalition in Aden.
Vor etwas mehr als einer Woche ist es dem südlichen Widerstand mit Hilfe
der Koalition um Saudi-Arabien gelungen, die Hafenstadt Aden aus den Händen
der Rebellengruppe der Huthis und den Milizen ihres Verbündeten Ali
Abdallah Salih zu entreißen. Sollte es gelingen, Aden nachhaltig zu
sichern, wird die derzeitige Zusammenarbeit zwischen südlichem Widerstand,
der Exilregierung in Riad und der Koalition um Saudi-Arabien gegen die
Huthi-/Salih-Milizen jedoch schnell Risse bekommen.
Indes dauert der Konflikt an und die humanitäre Lage im Lande verschärft
sich weiter. Nach letzten Berichten von Oxfam hungert inzwischen die Hälfte
der Bevölkerung. Gleichzeit machen sich beide Kriegsparteien zahlreicher
Verbrechen an Zivilisten schuldig.
Allein am Freitag vor einer Woche kamen mindestens 65 Zivilisten, darunter
zehn Kinder, ums Leben, als die von Saudi-Arabien geführten
Koalitionskräfte die Wohnanlage der Mitarbeiter eines Kraftwerks in
al-Mokha bombardierten. Human Rights Watch bezeichnet dies als mögliches
Kriegsverbrechen. Es ist nicht das erste Mal, dass internationale
Beobachter auf mögliche Kriegsverbrechen durch die von Saudi-Arabien
geführte Koalition verweisen: Hierzu zählen unter anderem das Bombardement
von Flüchtlingslagern und Krankenhäusern und der Abwurf international
geächteter Streubomben.
Auch die Gegenseite der Huthi-/Salih-Milizen hat sich in den vergangenen
Monaten vor allem in den Städten von Aden und Taizz zahlreicher
Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Hier beschossen Panzer Wohnblocks und
Scharfschützen von den Dächern Zivilisten, die sich auf der Suche nach
Nahrung, Wasser oder Medikamenten auf die Straße gewagt hatten.
## Entmenschlichte Jemeniter
In Aden, der ehemaligen Hauptstadt des Südjemen, der sich 1990 mit dem
Norden vereinte, hat dies zu einer weiteren Radikalisierung der schon seit
einigen Jahren die Unabhängigkeit vom Norden fordernden Stimmen geführt. In
deren Diskurs werden heute Nordjemeniten egal welchen Alters und
Geschlechts entmenschlicht. Bis zum Eindringen der Huthi-/Salih-Milizen in
den Süden war die sogenannte Südliche Bewegung dem friedlichen Protest
jedoch treu geblieben.
Die Forderungen im Süden nach Unabhängigkeit vom Norden sind die Folgen des
Bürgerkriegs von 1994, welchen das nordjemenitische Militär unter dem
damaligen Präsidenten Salih gegen den Süden gewonnen hatte. In der Folge
wurden große Teile der südlichen Sicherheitskräfte sowie Mitarbeiter der
Verwaltung ohne Entschädigungen oder Pensionen zwangsentlassen. Die
südjemenitische Geschichte wurde aus dem nationalen Gedächtnis gelöscht,
und Nordjemeniten erhielten bevorzugt Positionen in Militär und Verwaltung
im Süden.
Seit 2007 protestieren große Teile der Bevölkerung des ehemaligen Südjemens
gegen dessen „Besatzung“ durch den Norden. Dass nun erneut nordjemenitische
Kräfte in den Süden eindrangen, hat dazu geführt, dass die Südliche
Bewegung ihre pazifistische Grundhaltung aufgegeben und sich den
Huthi-/Salih-Milizen mit militärischen Mitteln entgegengestellt hat.
## Der gemeinsame Feind
Der südliche Widerstand ist jedoch größtenteils nicht dem im März nach
Saudi-Arabien geflohenen Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi gegenüber loyal.
Hadi stammt zwar aus dem Süden, floh jedoch bereits 1986 nach einem
Bürgerkrieg im Süden in den Norden und unterstützte 1994 die
nordjemenitischen Kräfte gegen den Süden. Zwar haben südlicher Widerstand
und die Exilregierung unter Hadi in Riad in den vergangenen Monaten mit
Hilfe der saudischen Koalition einen gemeinsamen Feind bekämpft, jedoch
befürchtet die Südliche Bewegung, dass Hadi versuchen wird, die Gründung
eines unabhängigen Südjemen zu verhindern.
Die Befürchtungen sind nicht unbegründet. Die in den Tagen nach der
„Befreiung“ Adens von den Huthi-/Salih-Milizen zu kleinen Teilen in den
Jemen zurückgekehrte Exilregierung scheint ihre Macht über den gesamten
Jemen nun mit Hilfe der saudischen Koalition von Aden aus konsolidieren zu
wollen.
Auch international gibt es bislang kaum Unterstützung für einen
unabhängigen Südjemen. Zum einen ist es dem Süden nicht gelungen, sich eine
geeinte Führung zu geben, die den Jemen in die Unabhängigkeit führen
könnte. Darüber hinaus hat die internationale Gemeinschaft kein Interesse
daran, durch die Unterstützung südjemenitischer Forderungen den
Unabhängigkeitsbemühungen anderer politischer oder ethnischer Minderheiten
weltweit Nahrung zu geben.
Und letztlich läge bei einer Teilung zwischen Nord- und Südjemen der größte
Teil der Öl- und Gasvorkommen im geringer bevölkerten Süden, während der
dichter bevölkerte Norden weiter verarmen würde. Daher wird eine föderale
Lösung für den Jemen favorisiert.
## Die Ängste des Südens
Die Bevölkerung des Südens von einem Abrücken von ihren Forderungen zu
überzeugen ist jedoch nach den Ereignissen der vergangenen Wochen fast ein
Ding der Unmöglichkeit. Will man es dennoch versuchen, muss man die Ängste
des Südens vor einer erneuten ökonomischen und politischen Marginalisierung
in einem geeinten Jemen ernst nehmen.
Vertrauensbildende Maßnahmen zählen dazu. So muss zeitnah, sobald die Stadt
endgültig gesichert ist, mit dem Wiederaufbau Adens begonnen und es müssen
möglichst viele Südjemeniten in „cash for work“-Programmen eingebunden
werden.
Darüber hinaus müssen die 2013 eingesetzten Kommissionen für die Regelung
von Disputen bezüglich Landbesitz im Süden sowie die Kommission zur
Entschädigung zwangsentlassenen Personals im Süden ihre Arbeit
baldmöglichst wieder aufnehmen können. Hier steht auch die internationale
Gemeinschaft in der Pflicht, denn die eingerichteten Töpfe für die
notwendigen Kompensationszahlungen sind bislang nicht ausreichend gefüllt.
Will die internationale Gemeinschaft die Einheit des Jemen bewahren, dann
muss sie sich stärker als bisher für ein Entgegenkommen gegenüber den
Forderungen der Südlichen Bewegung engagieren.
8 Aug 2015
## AUTOREN
Marie-Christine Heinze
## TAGS
Jemen
Saudi-Arabien
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