# taz.de -- Anschläge in Israel: Zwei religiöse Lager | |
> Die Brandstifter im Westjordanland und der Messerstecher der Gay-Parade | |
> sind fromme Juden. Doch die Wurzeln ihres Hasses sind andere. | |
Bild: Trauerfeier für Shira Banki, die ermordete Demonstrantin, in Tel Aviv. | |
Die deutlichste Schnittstelle zwischen den Brandstiftern, die in der Nacht | |
zum Freitag ein palästinensisches Kleinkind ermordeten, und dem | |
Messerstecher bei der Schwulen- und Lesbenparade in Jerusalem ist das | |
gegnerische Lager. Bei den Demonstrationen am Wochenende blieb völlig | |
offen, wer gegen den Messerstecher und wer gegen die Brandstifter | |
protestierte. Für die meisten spielte es ohnehin keine Rolle. | |
Das weltliche linksliberale Lager ist Antithese zu den Nationalreligiösen | |
wie auch zu den Ultraorthoxen. Erst diese Woche outete sich der | |
sozialdemokratische Parlamentarier Itzik Schmulik. Er ist der dritte offen | |
schwul lebende Abgeordnete nach zwei Fraktionsmitgliedern der linken | |
Meretz. | |
Hinter beiden Gewaltverbrechen stehen fromme jüdische Fanatiker. Trotzdem | |
verfolgten sie unterschiedliche Ideologien oder wenigstens unterschiedliche | |
Gewichtungen. Zwar wohnt auch der homophobe Messerstecher Ischai Schlissel | |
in einer israelischen Siedlung im Westjordanland, dorthin trieben ihn | |
jedoch keine ideologischen Motive. | |
## Dem einen geht es um Land, dem anderen um Gebote | |
Mode’in Illit ist eine von mehreren Siedlungen, die speziell errichtet | |
wurden, um billigen Wohnraum für ultraorthodoxe Juden zu schaffen, die dort | |
ganz unter sich ihren Glauben ausleben können. Schlissel ging es bei dem | |
Angriff auf die Lesben und Schwulen in Jerusalem um die religiösen Gebote, | |
die Homosexualität bis heute verbieten. Dem entgegen stammen die Angreifer | |
in Duma aus dem nationalreligiösen Siedlerlager, die in erster Linie für | |
„Eretz-Israel“ kämpfen, also das ganze Land vom Mittelmeer bis zum Jordan. | |
Die Einstaatenlösung unter jüdischer Kontrolle ist zwar noch nicht | |
offizielle Regierungspolitik in Jerusalem, wohl aber der Ausbau der | |
Siedlungen im besetzten Westjordanland. Die Lobby der Siedler im | |
israelischen Parlament, der Knesset, wächst, während offene Homophobie | |
unter den Parlamentariern eher abnimmt. | |
Federführend bei der Hetze war bis zum Ende seiner politischen Laufbahn im | |
März der frühere Gesundheitsminister Eli Ischai von der | |
orientalisch-orthodoxen Schass-Partei, der Schwule und Lesben als „kranke | |
Menschen“ bezeichnete und plante, das Budget aufzustocken, um medizinische | |
Behandlung zu ermöglichen. | |
Dagegen wirkt der nationalreligiöse Abgeordnete Bezalel Smotrich von der | |
Siedlerpartei „Das jüdische Haus“ beinahe harmlos, wenn er in diesen Tagen | |
gegen die gleichgeschlechtliche Ehe eintritt. Das „Nein“ zur Hochzeit unter | |
zwei Männern oder zwei Frauen ist Parteipolitik, wenngleich Naftali | |
Bennett, Chef vom „Jüdischen Haus“, am Wochenende einräumte, „die vollen | |
Rechte der Gay-Community“ zu unterstützen. | |
## Love-Parade in Tel Aviv | |
Israel liegt weit vorn, wenn es um die Rechte von Schwulen und Lesben geht. | |
Nicht umsonst feierten fast 200.000 Leute vor wenigen Wochen die | |
homosexuelle Love-Parade in Tel Aviv. Schon vor Jahren räumte sogar die | |
Armee den gleichgeschlechtlichen Partnern gefallener Soldaten | |
Rentenansprüche ein. Adoptionen sind kein Problem und auch die formale | |
Anerkennung von Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, nicht. Lesben | |
stehen Samenbanken zur Verfügung, Leihmütter sind in der Diskussion. | |
Das Messerattentat kam dennoch nicht unerwartet. Die Polizei hätte wissen | |
müssen, dass Schlissel, der erst vor wenigen Wochen aus der Haft entlassen | |
wurde, die er für einen ähnlichen Messerüberfall während der Jerusalemer | |
„Pride-Parade“ vor zehn Jahren absaß, erneut zuschlagen würde. Schlissel | |
hat seine Tat nie bedauert und hetzte nach seiner Entlassung weiter gegen | |
Homosexuelle. | |
In Jerusalem wie im palästinensischen Dorf Duma sind die Mordanschläge auch | |
auf das Versagen des Sicherheitsapparats zurückzuführen, der die Gefahr der | |
frommen Fanatiker unterschätzte. Unter jüdischen Extremisten kursieren seit | |
Langem schriftliche Anleitungen zur Brandstiftung, in denen offen steht, | |
dass „Sachschaden manchmal einfach nicht reicht“. | |
4 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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