# taz.de -- Nachruf Bert Neumann: Der letzte Vorhang | |
> Bert Neumann, Bühnenbildner an der Volksbühne in Berlin, ist gestorben. | |
> Er hat das Gesicht, den Raum und den Geist der Volksbühne in Berlin | |
> geprägt. | |
Bild: Frank Castorf, René Pollesch und Bert Neumann bei einer gemeinsamen Pres… | |
Das hat so schön gekracht. Wenn wieder einer der weißen | |
Billig-Stapel-Gartenstühle vorhersehbar zusammenbrach, weil sich einer der | |
Volksbühnen-Schauspieler nicht nur mit dem Gewicht seines ganzen Körpers, | |
sondern auch mit der Last des ganzen Leidens, das er nach Dostojewski und | |
Frank Castorf grade über die Bühnen schleppte, hineinfallen ließ. Süchtig | |
konnte man Ende der 1990er Jahre werden nach diesen Momenten des | |
Zusammenbruchs, die in jede große Tragik den Slapstick mischten. | |
Bert Neumann war der Bühnenbildner, der Castorf diese Exzesse des | |
Zusammenbrechens ermöglichte. War, es ist so traurig, dass man das jetzt | |
sagen muss, denn er ist letzten Donnerstag mit nur 54 Jahren gestorben. | |
Bert Neumann hat das Gesicht, den Körper und den Raum der Volksbühne in | |
Berlin mitgeprägt: den Glamour aus dem Baumarkt mit Glimmer und Glitzer; | |
die Intimität der vielen verschachtelten Räume, aus denen nur Videokameras | |
das Gesicht der Schauspieler transportieren konnten; die vielen Zitate des | |
öffentlichen Raumes, wo der wie eine Resterampe verscherbelt und beworben | |
wird. | |
## Bloß nicht zu schön | |
1960 in Magdeburg geboren, hatte Neumann Bühnenbild an der Kunsthochschule | |
in Weißensee studiert. Er war noch keine dreißig Jahre alt, als er mit | |
Frank Castorf zusammenzuarbeiten begann, das Grafikbüro LSD mit begründete | |
und bald auch die Öffentlichkeitsarbeit des Theaters mitgestaltete. Bis in | |
das Papier der Programmzettel war seine Arbeit geprägt von einer Suche nach | |
Subversion durch Unterlaufen der Standards. Dafür hat Neumann viele Preise | |
erhalten, zuletzt noch in diesem April den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis. | |
Bloß nicht zu schön durfte etwas sein. Das Ramponierte eines | |
untergegangenen Staates, mit dem kein Staat mehr zu machen war, das stellte | |
die Volksbühne von Castorf und Neumann und bald auch von René Pollesch mit | |
Stolz aus. Die Spuren der Marginalisierung, des wirtschaftlichen Abbaus und | |
der Verführung zu einem Konsum, der stets nur schlechte Imitate dessen | |
lieferte, was er eigentlich zu geben versprach, durchlaufen Bert Neumanns | |
Bühnenbilder. | |
Sie zeigten Haltung und sie zeigten Sympathie für alle Versuche, sich das | |
Leben im Falschen mit kleinen Tricks und kleinen Lügen aushaltbar zu | |
gestalten. | |
## Ungewohnte Betriebstemperaturen | |
Bert Neumann war mehr als ein Bühnenbildner. Zeitweise Co-Chef der | |
Volksbühne, entwickelte er auch Konzepte mit, wie den Prater für eine | |
Spielzeit in ein Globe-Theatre zu verwandeln, in dem Shakespeares | |
Königsdramen durchgeheizt und Textmonster in kurzen Probenzeit auf | |
ungewohnte Betriebstemperaturen gebracht wurden. | |
Mit der Dramaturgin Hannah Hurtzig ließ er die „Rollende Roadshow“ vom | |
Stapel, ein Theater in Wohnwagen, das sieben Jahre lang in den | |
Theaterferien Vororte von Großstädten bespielte – auch ein programmatischer | |
Versuch, den Grenzen der Institution Stadttheater zu entkommen. | |
## Das Vergängliche mögen | |
Dass Neumann das Kino liebte, sah man seinen Bühnenbildern nicht nur durch | |
die vielen Zitate von Westernstädten an, sondern auch durch die Integration | |
der Leinwände, die immer wieder den Gesichtern der Schauspieler in | |
Großaufnahme Raum gaben. Das war ein ephemeres Kino, in jeder Aufführung | |
neu hergestellt, aber darüber hinaus nicht reproduzierbar. So wie auch | |
seine Kulissenstädte, wenn die Inszenierung einmal abgespielt ist, | |
demontiert, recycelt und entsorgt wurden. Das hat er nicht bedauert. Er war | |
ein Künstler, der das Vergängliche mochte, auch das Vergehen des eigenen | |
Werks. | |
Ästhetisch lieferte Neumann auch eine Klammer, die so unterschiedliche | |
Regieansätze wie die von Frank Castorf und René Pollesch miteinander | |
verknüpfte. Baute er für den ersten die detailverliebten, kleinteiligen, | |
undurchsichtig verschachtelten Raumgefüge, so schuf er für den zweiten | |
großzügige visuelle Chiffren. | |
Behauptungen mit Ausrufezeichen: „No fear“ stand so auf der aufblasbaren | |
Hülle eines Spielzeugbären, ebenso infantil wie monumental, in seiner | |
letzten Zusammenarbeit mit René Pollesch, „Keiner findet sich schön“. Es | |
ist unfassbar, dass der Vorhang aus breiten und dunklen Lamettastreifen, | |
der fast das ganze Bühnenrund umschloss, sein letzter gewesen sein soll. | |
3 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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