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# taz.de -- Sozialrecht: Kein Job, keine Rente
> Harald Braun kämpft gegen die Diskriminierung arbeitsloser Rentner. Was
> für Ver.di „aussichtlos“ ist, ist für ihn der Kampf gegen einen
> Verfassungsbruch.
Bild: Herr Braun ist bereit, für seine Sache bis vors Verfassungsgericht zu ge…
BREMEN taz | Herr Braun hat gut 1.000 Euro im Monat zum Leben. Seiner
Rentenversicherung gilt er damit als „überversorgt“. Nun soll er ihr fast
4.200 Euro zurückzahlen. Weil er nicht nur Rentner, sondern auch arbeitslos
ist. Hätte er einen Job, bekäme er, klare Sache, auch die Rente.
Harald Braun will das nicht verstehen, vor allem, aber: nicht akzeptieren.
Also klagt er vor dem Landessozialgericht Bremen-Niedersachsen (LSG). Es
ist ein „Musterprozess“, wie er sagt, eine „Grundsatzfrage“. Vor dem
Sozialgericht hat er schon verloren und auch die Gewerkschaft Ver.di - für
die er sich 25 Jahre engagiert hat - will ihn nicht mehr vor Gericht
vertreten. Weil ihr sein Fall als „aussichtslos“ gilt.
Er hat das in einem Brief an den Ver.di-Bundesvorstand heftig kritisiert.
Die Gewerkschaft, so sein Vorwurf, „beugt sich der Ungerechtigkeit“. Also
kommt er ohne Anwalt zum Gericht, nur ein paar FreundInnen und
MitstreiterInnen aus der Bremer Montagsdemo begleiten ihn solidarisch.
Rein juristisch ist die Sache recht klar, da hat die Rentenversicherung
wohl recht. Doch ganz so einfach ist der Fall dann auch wieder nicht.
## An der Wirklichkeit vorbei
Braun, gelernter Drucker, bekommt wegen eines Bandscheibenvorfalls seit ein
paar Jahren eine Rente wegen Erwerbsminderung – doch das sind nicht mal 300
Euro im Monat. Dazu hat er 740 Euro an Arbeitslosengeld. Anspruch auf
Altersrente hat er noch nicht.
Das Problem: Die „Bemessungsgrundlage“ für seine kleine Rente ist nicht das
Arbeitslosengeld, das ihm überwiesen wird. Sondern der Bruttolohn, den er
früher hatte. Das waren etwa 1.800 Euro. Die Rente stünde ihm nur zu, wenn
er maximal 1.350 Euro verdient hätte. „Das hat mit der Wirklichkeit nichts
zu tun“, sagt Braun.
„Hier werden alle Arbeitslosen benachteiligt, die eine
Erwerbsminderungsrente bekommen“, klagt Braun. Hätte er einen Job, der ihm
740 Euro bringt, bekäme er die Rente. Weil er arbeitslos ist, bekommt er
sie nicht.
## Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
Aus seiner Sicht ist diese Regelung ein klarer Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz und das Antidiskriminierungsgesetz. Mit anderen
Worten: Jener Passus im Sozialgesetzbuch (SGB), der Braun die Rente
vorenthält, ist seiner Meinung nach verfassungswidrig.
Und weil Braun angeblich zu spät Bescheid gesagt hat, dass er arbeitslos
wurde, soll er nun 4.200 Euro Rente – die er schon verbraucht hat –
zurückzahlen. Dass sie ihm die Rente im Nachhinein streichen, findet Braun
„ungerecht und diskriminierend“.
Bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sieht man das natürlich anders.
Er habe „Respekt vor dem Engagement und dem Ziel von Herrn Braun“, sagt der
Vertreter der DRV vor Gericht. Aber sein Anliegen könne nun mal schlecht in
diesem Rechtsstreit „verarbeitet“ werden. „Weder das Landessozialgericht
noch wir werden hier Sozialpolitik betreiben können.“
## „Nicht mehr zeitgemäß“
Es sei denn, das Gericht befindet den fraglichen §96a SGB VI für
verfassungswidrig. Dann könnte das Gericht ihn verfassungskonform auslegen
oder das Bundesverfassungsgericht anrufen. Wesentlich Gleiches muss gleich
behandelt werden, sagen die Verfassungsrichter.
Anders gesagt: Es muss gute Gründe für eine Ungleichbehandlung geben. Ob
das Landessozialgericht die sieht, blieb bei der Erörterung am Freitag
offen. Die Regelung ist „nicht mehr zeitgemäß und bedarf aus
sozialpolitischen Gründen einer Veränderung“, sagt Braun.
Das Sozialgericht wies ihn trotzdem ab - mit Hinweis auf ein Urteil des
Bundessozialgerichts von 2008. Darin gehen die Richter davon aus, dass mit
der umstrittenen Regelung eine „Überversorgung“ vermieden werden soll: Ein
Rentner könnte durch die Arbeitslosigkeit bessergestellt sein als mit einem
Job. Es gäbe dann einen Anreiz, arbeitslos zu werden.
Deshalb gilt Herr Braun mit seinen rund 1.000 Euro im Monat als
„überversorgt“. Obwohl er weniger hat als noch vor drei Jahren, als er
Drucker war. Er hält sich nun mit einem 450 Euro-Job über Wasser.
Der Gewerkschaft schrieb er: „Ich wäre bereit, bis zum
Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof zu gehen.“ Doch
Ver.di wollte nicht. Nun kämpft er alleine. Das LSG indes wird frühestens
2016 entscheiden.
2 Aug 2015
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Rente
Sozialgericht
Verfassungsgericht
Wohngeld
Altersarmut
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