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# taz.de -- Varoufakis‘ Buch über Wirtschaft: Selbst simple Fakten stimmen n…
> Der Ex-Finanzminister Griechenlands, Gianis Varoufakis, hat eine
> Einführung in die Welt der Wirtschaft geschrieben. Leider keine gute.
Bild: Ausschnitt der Covers von „Time for Change“.
Gianis Varoufakis hätte „Time for Change“ besser nicht geschrieben, das
jetzt auf Deutsch erschienen ist. Dabei ist die Grundidee gut. Varoufakis
wollte die Wirtschaft so einfach erklären, dass selbst seine kleine Tochter
Xenia sie versteht. Doch stattdessen wird deutlich, dass Varoufakis selbst
oft keine Ahnung hat.
Der schmale Band ist in Griechenland bereits 2014 erschienen, stammt also
aus einer Zeit, als Varoufakis noch nicht griechischer Finanzminister war,
sondern an der Universität Athen und in Austin, Texas lehrte. Varoufakis
beansprucht, die „Wahrheit“ zu verkünden. Diese Idee ist vermessen, wirkt
aber besonders befremdlich, wenn selbst simple Fakten nicht stimmen.
Unfreiwillig komisch sind die Ausflüge in die Wirtschaftsgeschichte, die
fast die Hälfte des Textes ausmachen.
Ein paar Beispiele: Es gehört zu den Rätseln der Wirtschaftsgeschichte,
warum die Industrialisierung in England ab etwa 1760 begann. Inzwischen
gibt es über zwanzig Theorien – aber Varoufakis hat eine ganz eigene Idee.
„Im Gegensatz zu anderen europäischen oder chinesischen Feudalherren, die
über große eigene Heere befehligten, stand (den englischen) Grundbesitzern
keine bedeutende Macht zur Verfügung. Deswegen mussten sie andere Wege zur
Vermehrung des Reichtums finden, die nicht von der Anwendung roher Gewalt
abhingen.“
Bei Varoufakis erscheint England also als friedliches Land, das friedlich
investiert hat. Absurder geht es kaum. Das Vereinigte Königreich war ein
militärisch-kommerzieller Komplex und hat permanent Kriege geführt, um die
Weltmeere zu erobern und den Weltmarkt zu monopolisieren. Selbst die Bank
of England wurde 1694 nicht etwa gegründet, weil man schon gewusst hätte,
wie nützlich Zentralbanken sind – sondern um einen weiteren Krieg gegen
Frankreich zu finanzieren.
## Nicht an kratziger Wolle interessiert
Lustig ist auch, wie sich Varoufakis den englischen Handel im 18.
Jahrhundert vorstellt: Schiffsherrn hätten von englischen Grundbesitzern
Wolle gekauft, um sie dann „unter Lebensgefahr“ nach Indien zu
transportieren und dort gegen Seide einzutauschen. Auch dies ist einfach
falsch, obwohl „Lebensgefahr“ so suggestiv klingt.
Zum Leidwesen der Briten waren die Asiaten nämlich nicht an kratziger Wolle
interessiert, stattdessen lief der Handel gänzlich einseitig. Die Europäer
gierten nach Seide, Baumwolle, Tee, Gewürzen und Porzellan, doch umgekehrt
akzeptierten Inder und Chinesen nur ein einziges Gut: Silber. Auch dieses
Problem wurde nicht durch Handel, sondern durch Gewalt gelöst. Indien und
faktisch auch China wurden zu englischen Kolonien.
Varoufakis weiß über die Wirtschaftsgeschichte derart wenig, dass er
unbesehen ein antisemitisches Stereotyp reproduziert. So schreibt er, dass
es „kein Zufall“ gewesen sei, dass im 16. Jahrhundert „die neu gegründet…
Banken Juden gehörten – da im Gegensatz zum Christentum und Islam die
jüdische Religion die einzige war, die die Verzinsung von Geld nicht
verbot“.
## Noch nie von den Medici gehört
Offenbar hat Varoufakis noch nie von den Medici in Florenz gehört. Diese
guten Katholiken hatten schon ab dem 14. Jahrhundert ein europaweites
Bankimperium aufgebaut und nahmen selbstverständlich Zinsen – was einige
Sprösslinge nicht daran hinderte, sogar zu Päpsten aufzusteigen. Das
christliche Zinsverbot existierte nur auf dem Papier, denn die Kirche hatte
früh erkannt, dass die Wirtschaft ohne Zinsen nicht funktioniert – weswegen
selbst Klöster Zinsgeschäfte tätigten.
Auch die restlichen Textteile sind nicht wirklich erhellend, weil
Varoufakis viel Platz damit verschwendet, den Plot des Kinofilms „Matrix“
zu referieren oder die beiden Faust-Versionen von Marlowe und Goethe zu
zitieren. So bleiben nur etwa 40 Seiten, die den Kern der Wirtschaft
erklären, wie also Investitionen, Kredite und Arbeitsmärkte funktionieren,
oder warum Fiskalpolitik nötig ist, wenn es zum Crash kommt. Diese
Ausführungen sind zwar richtig, aber zu kompakt, als dass ein Kind sie
verstehen könnte – und auch viele Erwachsene dürften überfordert sein.
Im Nachwort stilisiert sich Varoufakis zum Märtyrer. An seine Tochter Xenia
gerichtet, schreibt er: „Viele werden dir erzählen, dein Vater wüsste
nicht, was er sagt.“ So ist es gekommen, aber das liegt am Vater.
Allerdings sollte man den Text nicht überbewerten. Als griechischer
Finanzminister war Varoufakis wichtig und hat die deutsche Politik sehr
zutreffend kritisiert. Diese Zeit verarbeitet er gerade in einem neuen Buch
– und man kann nur hoffen, dass er diesmal präziser ist.
2 Aug 2015
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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Schwerpunkt Krise in Griechenland
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