# taz.de -- Korruption im Gesundheitswesen: Endlich durchleuchtbar | |
> Jahrzehntelang kamen bestechliche Ärzte straffrei davon – wenn sie eine | |
> eigene Praxis hatten. Ein neues Gesetz soll das nun ändern. | |
Bild: Finger weg! Künftig machen sich korrupte Ärzte strafbar. | |
KARLSRUHE taz | Die Korruption im Gesundheitswesen soll strafbar werden. | |
Das sieht ein Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) vor, den | |
das Bundeskabinett am Mittwochmorgen billigte. Künftig soll die Bestechung, | |
insbesondere von Ärzten, mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei | |
Jahren bedroht werden. | |
Jahrzehntelang hatte die Justiz stillschweigend akzeptiert, dass im | |
Gesundheitswesen viel geschmiert wird, um die eigenen Geschäfte zu | |
befördern. Erst nach der Jahrtausendwende begannen Staatsanwälte mit | |
Ermittlungen. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei die Ärzte, da sie | |
Medikamente verschreiben, Geräte bestellen oder Patienten weiterverweisen. | |
Große Enttäuschung herrschte daher, als der Bundesgerichtshof 2012 | |
feststellte, dass die Bestechung von frei praktizierenden Medizinern | |
derzeit gar nicht strafbar ist. Es liege keine Bestechung von Amtsträgern | |
(§ 334 Strafgesetzbuch) und auch keine Bestechung im geschäftlichen Verkehr | |
(§ 299) vor. Die niedergelassenen Ärzte seien weder Funktionäre noch | |
Beauftragte der Krankenkassen. Sie würden vielmehr von den Patienten | |
ausgewählt und in deren Interesse tätig. | |
Schnell war klar, dass diese Lücke geschlossen werden soll. Schon im Juni | |
2013 beschloss der Bundestag auf Vorschlag des damaligen | |
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ein entsprechendes Gesetz, das der | |
rot-grün dominierte Bundesrat jedoch kurz vor der Bundestagswahl im Herbst | |
2013 blockierte. Damals wurde kritisiert, dass die Strafvorschrift im | |
Sozialgesetzbuch angesiedelt sein sollte, wo sie nur Kassenärzte betroffen | |
hätte. Privatpatienten blieben dagegen „Freiwild“, bemängelte die SPD. | |
## Auch immaterielle Vorteile betroffen | |
Zwei Jahre später ist die große Koalition nun konsequenter. Die neue | |
Vorschrift soll im Strafgesetzbuch (§ 299a) verankert werden und damit | |
sowohl die Behandlung von Kassen- als auch von Privatpatienten betreffen. | |
Künftig wird es strafbar sein, einem Arzt Vorteile dafür zu gewähren, dass | |
er bestimmte Medikamente verschreibt, bestimmte medizinische Apparate | |
verordnet oder einer bestimmten Klinik Patienten übermittelt. | |
Der verbotene Vorteil muss nicht in Geldzahlungen bestehen, auch Reisen | |
oder Rabatte bei der Anschaffung von Praxisgeräten kommen in Betracht, | |
ebenso die kostenlose Einladung zu teuren Fachkongressen oder | |
Fortbildungsveranstaltungen. Ein unerlaubter Vorteil kann alles sein, | |
worauf der Arzt keinen Anspruch hat und was ihn besserstellt. | |
Selbst immaterielle Vorteile wie Ehrungen und Ehrenämter kommen laut | |
Gesetzentwurf in Frage. Bei Geschenken gibt es auch keinen ausdrücklichen | |
Mindestwert. Allerdings sollen bloße Werbegeschenke wie Kugelschreiber noch | |
„sozialadäquat“, also straflos sein, da sie nicht geeignet seien, das | |
Handeln von Ärzten ernstlich zu beeinflussen. | |
Entscheidend ist aber jeweils, dass zwischen Geber und Nehmer eine | |
sogenannte Unrechtsvereinbarung besteht. Das heißt: Der Vorteil ist nur | |
strafbar, wenn er gewährt wird, damit der Arzt ein bestimmtes Produkt | |
gegenüber anderen Produkten bevorzugt. Diese Vereinbarung muss nicht | |
schriftlich geschlossen werden, für die Strafbarkeit genügt es, dass Geber | |
und Nehmer sich über den unlauteren Deal einig sind. Ob die | |
Unrechtsvereinbarung dann im Einzelfall zu beweisen ist, steht auf einem | |
anderen Blatt. | |
## Beide Seiten machen sich strafbar | |
Ein Beispiel: Auch künftig kann ein Arzt im Auftrag einer Pharma-Firma bei | |
der „Anwendungsbeobachtung“ für ein neues Medikament mitwirken, indem er | |
systematisch auf Wirkungen und Nebenwirkungen achtet. Diesen Mehraufwand | |
darf er sich auch vergüten lassen. Solche Verträge dürfen aber kein | |
versteckter Anreiz zur Verschreibung des Präparats sein, denn das wäre eine | |
Unrechtsvereinbarung. In der Praxis wird es darauf ankommen, dass Vergütung | |
und Aufwand in einem angemessenen Verhältnis stehen. | |
Strafbar machen sich dann jeweils beide Seiten: der Arzt, der den | |
unlauteren Vorteil empfängt, und die Mitarbeiter des Unternehmens, die ihn | |
bestechen. Verfolgt wird die Tat in der Regel aber nur auf Antrag. Dabei | |
können jedoch viele Betroffene einen Antrag stellen: konkurrierende | |
Unternehmen, Krankenkassen, die Ärztekammer und die Patienten des | |
bestochenen Arztes. Zuständig für ein Urteil sollen die | |
Wirtschafts-Strafkammern des örtlichen Landgerichts sein. | |
Patienten, die ihrem Arzt nach gelungener Operation eine Kiste Wein | |
schenken, machen sich auch künftig nicht strafbar. Schon bisher war es für | |
Ärzte berufsrechtlich verboten, sich bestechen zu lassen. Weil aber die | |
Ärztekammer kaum Ermittlungsbefugnisse hat – sie kann zum Beispiel keine | |
Praxis durchsuchen –, lief das Verbot praktisch leer. | |
Betroffen von der neuen Strafvorschrift sind neben Ärzten und Zahnärzten | |
auch Apotheker, Psycho- und Physiotherapeuten sowie Logopäden und | |
Krankenpfleger. Justizminister Maas geht davon aus, dass das neue | |
Strafgesetz nicht nur das Vertrauen der Patienten in ihre Ärzte stärkt, | |
sondern auch den redlichen Ärzten und Pharma-Unternehmen nutzt. | |
Falls der Bundestag zustimmt, womit zu rechnen ist, kann das Gesetz Anfang | |
2016 in Kraft treten. | |
29 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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