# taz.de -- Rastafaries in Äthiopien: Reggae unter Sternen | |
> Sie kommen aus der Karibik, England und den USA zu ihrem Sehnsuchtsort. | |
> Und die Äthiopier? Die mögen Reggae so gern wie Michael Jackson. | |
Bild: Ras Jony im Rastaclub Jams. | |
Almaz ist eine Rastafari, wenn auch keine aus dem Bilderbuch. Sie trägt | |
weder Dreadlocks noch steckt ein Joint in der Brusttasche ihrer Bluse. Die | |
stämmige Frau mit tiefer Stimme lebt seit den 90er-Jahren in Shashamane, | |
einer 100.000-Einwohner-Stadt südlich der Hauptstadt Addis Abeba. Sie kam | |
zusammen mit ihrem Mann nach Äthiopien und hat dafür einiges | |
zurückgelassen: ihre Familie, Freunde, einen Bioladen in Harlem. Das Haus | |
in ihrem Geburtsland Trinidad und Tobago haben die beiden verkauft, um von | |
dem Geld in Shash ein Hotel zu bauen. Shash, so nennen die Rastafari ihren | |
Sehnsuchtsort zärtlich. | |
Die Zwölf Stämme, eine der religiösen Untergruppen, in die sich die | |
Rastafaris aufteilen, hatten Sister Almaz und Mann für den Schritt über den | |
Ozean angeworben. Die „Twelve Tribes“ nennen das Repatriierung: | |
Dunkelhäutige Menschen, häufig aus der Karibik, oft Nachfahren von Sklaven, | |
sollen zurückkehren auf den Kontinent ihrer Ahnen. Sie bilden, so stellen | |
es sich die Rastafaris vor, ein vereinigtes Afrika und helfen, den | |
Kontinent zu entwickeln. Ziel ist meist Äthiopien, das einzige Land, das | |
niemals als Kolonie für europäische Expansionsgelüste herhalten musste. | |
Smog zum Ersticken, verstopfte Straßen und Esel, die ständig vor die weißen | |
Jeeps der Hilfsorganisationen laufen, das ist der Alltag in der Hauptstadt | |
Addis Abeba. Im Zentrum wachsen die glitzernden Hochhäuser, | |
Burgerrestaurants und die Flagship-Stores der Technikmarken fast so schnell | |
wie die Bevölkerung der Großstadt im Hochland von Afrika. Junge Frauen | |
laufen mit Handy am Ohr durch das Zentrum, auf ihren T-Shirts prangt der | |
angebissene Apfel von Steve Jobs. Über vier Millionen Menschen leben in der | |
Stadt, die meisten orthodoxe Christen, eine Mixtur aus Lebensstilen, | |
Religionen und Musikrichtungen. Und der Reggae? | |
## Reggae hat großen Einfluss auf die Musikszene | |
Nach Bob Marley ist ein Platz benannt. „Die Leute sind stolz, dass Marley | |
ihr Land so berühmt gemacht hat“, sagt Abyola Wilson, eine Engländerin mit | |
nigerianischem Vater, die vor 23 Jahren nach Addis Abeba ausgewandert ist. | |
„Marley hat die Farben ihrer Landesfahne – grün, gelb, rot – in die Welt | |
getragen. Reggae hatte einen großen Einfluss auf die Musikszene“, glaubt | |
Wilson. Jonny Ragga, Teddy Afro – sie zählt einige Bands auf, die in den | |
äthiopischen Charts jammen. Die häufig mit Reggae verknüpften Werte – | |
Kiffen, Dreadlocks, free Africa – sind nicht unbedingt äthiopisch. | |
Kenny Allen, ein Musiker und Produzent aus Washington, lebt seit acht | |
Jahren in Addis Abeba. „Reggae und Äthiopier? Eine widersprüchliche | |
Beziehung“, sagt er. „Sie interpretieren den Reggae hier nicht in der | |
politischen Dimension, nicht als die Revolution, aus der er entstanden ist. | |
Revolution liegt ihnen fern“, sagt Allen. Gut klingt es trotzdem, und die | |
Texte der Marley-Songs kann fast jeder mitsingen. | |
Ras Jony kann das auch. Der 38-Jährige Äthiopier parkt sein kleines Auto | |
auf dem Rasen vor dem Jams, einem stylischen Club im Herzen der Hauptstadt. | |
Aus dem heruntergekurbelten Fenster tönt Bob Marley: „Exodus, movement of | |
Jah people!“ Jony heißt eigentlich Johannes Womdim und bezeichnet sich als | |
Rastafari. Orthodoxer Christ ist er trotzdem. Einen Widerspruch sieht er | |
darin nicht, sogar die Witwe von Bob Marley habe sich zum äthiopischen | |
Christentum bekannt. Tags arbeitet Jony als technischer Bauplaner und | |
überwacht für seinen Chef, ob die zahlreichen Neubauten in Addis korrekt | |
ausgeführt wurden. Seine Abende gehören der Musik. | |
Das Jams könnte auch in Berlin stehen. Grob verputzte Wände, die Bar ein | |
beleuchteter Tresen aus Plexiglas, über dem kubische Stelen aus Kunststoff | |
hängen. Auf dem Klo kleben Flyer mit dem Wochenprogramm an den gefliesten | |
Wänden: Samstags und Dienstags Reggae, Mittwochs Salsa, Walk-in-Classes. | |
Als Jony eintritt, grüßt er links und rechts. Er kennt hier fast alle. Er | |
kauft ein Bier, setzt sich an einen Tisch und schreibt die wichtigsten | |
Reggaebands der Hauptstadt auf: Die Black Lions, die Rastafaris, die | |
Imperiour Majesty, die Bogeda Band. Hinter die Imperiour Majesty Band malt | |
er ein Kreuzchen – das sind die besten. | |
Heute Abend treten sie auf. Elias, ein Freund, der mit am Tisch sitzt, | |
guckt etwas gequält. Reggae ist nicht sein Ding, er hört lieber Michael | |
Jackson. Den findet Ras Jony auch ganz gut. Auf der Bühne sind bereits die | |
Instrumente für Sydney Solomon und seine Imperiour Majesty Band aufgebaut. | |
Vorerst klickt ein DJ mit Karohemd und dickrandiger Brille, der hinter | |
seinem Laptop steht, auf Reggaelieder. Die Gäste tanzen nicht, sie lehnen | |
an der Wand und wippen mit dem Fuß. Als die Band um kurz vor elf die Bühne | |
betritt, hat sich der Club gefüllt, allerdings immer noch nicht mit wild | |
tanzenden Massen. Die Äthiopier sitzen ordentlich aufgereiht am Rand. | |
## Ein Land, das niemals erobert wurde | |
Dann betritt Sydney Solomon die Bühne: „Hier sind wir in dem Land, das | |
niemals erobert wurde, nie unterjocht – dank unseres Herrschers Haile | |
Selassie – Grüße aus Shashamane!“ tönt er ins Mikro. Das gefällt den ju… | |
Hauptstädtern. Zu den Lobpreisungen ihres Landes beginnen sie zu tanzen. | |
In Shashamane sitzt Abyola Wilson, die Engländerin, die vor 23 Jahren nach | |
Addis auswanderte, in ihrem Garten und freut sich, hier zu sein. Vor rund | |
zehn Jahren zog sie aus der Hauptstadt nach Shash. Hinter ihr plantschen | |
Vögel in einer Wanne, Insekten tummeln sich an den bunten Blüten, die in | |
ihrem kleinen Paradies gedeihen. Ein grasgrünes Häuschen steht in der Mitte | |
des gepflegten Rasens, ihr Mann schneidet die Blumen. | |
„Ich glaube an die Zukunft Afrikas, ich glaube nicht mehr an den Westen“, | |
sagt sie. Sister Aby, so wird sie hier genannt, stammt aus Manchester und | |
hat einen britischen Pass. „Wenn man mir den äthiopischen anböte, würde ich | |
ihn nehmen“, sagt die hagere Frau mit den dunklen Locken. Die drahtige | |
52-Jährige arbeitet manchmal als Sängerin, sonst kümmert sie sich um ihren | |
Enkel, wenn ihr Sohn als Musiker in Addis Abeba arbeitet. Ihr Ehemann | |
verwaltet einige Häuser, außerdem befindet sich eine Ökolodge in Hawassa in | |
Vorbereitung. | |
Aby weiß viel über Musik. Auch mit Sydney Solomon und seiner Band ist sie | |
als Tänzerin schon aufgetreten. Mit der oft erstaunlich konservativen | |
Religion der Rastafari, die gerade für Frauen einiges an Einschränkungen | |
vorsieht, hat sie ihren ganz eigenen Frieden geschlossen: Sie trägt Hosen | |
und sagt, was sie denkt, was den Ältesten der Gemeinde nicht immer gefällt. | |
Dass Haile Selassie der wiedergeborene Messias war, glaubt sie nicht. Sie | |
meint jedoch, dass er ein guter Mensch war und die Hungerkatastrophen, die | |
unter seiner Herrschaft in Äthiopien auftraten, nicht ihm anzulasten seien. | |
Die Verehrung des Kaisers teilt die Engländerin mit ihren Brüdern und | |
Schwestern. Selassie war es, der den Rastafaris das Land in Shashamane gab | |
und sie einlud, alle zu kommen. „Wir hatten den Traum, als Afrikaner nach | |
Hause zu kommen“, sagt Wilson. Das hat nicht geklappt. Heute sei sie auf | |
den Straßen noch immer die Ferenji, die Ausländerin. Auswandern in eines | |
der ärmsten Länder der Welt, das ließ auch im Fall von Sister Almaz einige | |
Menschen ratlos zurück, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. | |
In Äthiopien wurde sie gefragt: „Warum hast du dein schönes Land verlassen? | |
Dort gibt es Strände, dort habt ihr alles!“. Und in Amerika? „Wir haben bei | |
uns ein Sprichwort: Wenn man nach Amerika geht, sagt man es allen. Wenn man | |
nach Afrika geht, schleicht man sich davon.“ Als „Hass und Liebe | |
gleichzeitig“ beschreibt die Amerikanerin das Verhältnis zu ihrer neuen | |
Heimat. „Wenn ich wütend werde, gehe ich in mein Zimmer und rauche einen | |
Joint“, sagt sie. | |
Der Kulturschock war groß – trotzdem, stünde sie erneut vor der | |
Entscheidung, würde sie es wieder tun. Afrika habe sie Geduld gelehrt, es | |
habe sie verlangsamt und tief verändert. Außerdem sei Harlem kommerzieller | |
geworden. Ob sie sich ihren Laden dort heute noch hätte leisten können, | |
wisse sie nicht. „Wir kamen mit der Mission, dieses Land zu entwickeln. | |
Darum kamen wir“, betont Almaz. | |
## Kiffen mit dem deutschen Reggaestar Gentleman | |
Zurück in der Hauptstadt steht ein besonderes Ereignis an: Auftritt des | |
deutschen Reggaestars Gentleman. Vor zwei Tagen hat er in Shashamane in | |
Sister Almaz’ Hotel residiert, nun soll er in Addis Abeba ein | |
Open-Air-Konzert geben. | |
Das lockt die Jugendlichen in Scharen an, auch wenn 100 Birr Eintritt, | |
umgerechnet rund 4,50 Euro, für die meisten viel Geld sind. „Solche | |
Ereignisse sind hier selten, das darf man sich nicht entgehen lassen!“, | |
sagt Adam Abate, ein junger IT-Unternehmer aus Addis, der zusammen mit | |
seiner Frau auf den Auftritt wartet. | |
„Viele Äthiopier hören Reggae, wir können uns als Afrikaner damit | |
verbinden“, bestätigt er. Auf Gentleman sind er und seine Frau gestoßen, | |
als Freunde ihnen ein paar Lieder des deutschen Sängers aufnahmen. Zuerst | |
spielen die Vorbands. „Alle Ganja-Raucher aus Addis, bitte Hand hoch!“, | |
ruft der Moderator. Erfreutes Gekreische. Als Gentleman auftritt, blinken | |
am Nachthimmel schon lange die Sterne. | |
Die Fans kreischen, manche mit bunten Reggaemützen, die meisten ohne. Sie | |
singen, sie tanzen und reißen ihre Hände in die Höhe, als der Deutsche um 1 | |
Uhr nachts die Bühne betritt und unter lautem Schrillen der übersteuerten | |
Anlage zum Mikro greift. Smartphones schnellen nach oben, alle singen mit. | |
Bunte Reggaemützen hüpfen auf und ab – grün, gelb und rot – die Farben d… | |
Rastafari und die Farben des Landes schwingen in seltener Übereinstimmung. | |
25 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Silke Beckedorf | |
## TAGS | |
Äthiopien | |
Addis Abeba | |
Reggae | |
Äthiopien | |
Hanf | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Don Letts über den Einfluss von Dub: „Reggae war jamaikanischer Punk“ | |
Reggae war in England mehr als nur ein musikalischer Einfluss. Für | |
jamaikanische Musiker bedeutete er auch Identitätsfindung, erzählt DJ Don | |
Letts. | |
Human Rights Watch: 75 Tote bei Protesten in Äthiopien | |
Um Addis Abeba protestieren BürgerInnen gegen die Erweiterung der Stadt und | |
drohende Enteignungen. Dutzende Menschen sollen getötet worden sein. | |
Hanf-Legalisierung in der Karibik: Freies Kiffen unter Palmen | |
Viele karibische Staaten stehen der Freigabe der Marihuana-Pflanze positiv | |
gegenüber. Für Touristen gibt es schon Ausflüge zu den Ganja-Feldern. | |
Debatte Homophobie im Reggae: Rache der Erniedrigten | |
Der Schwulenhass jamaikanischer Reggae-Stars ist keine Folklore. Mit | |
Einreise- und Auftrittsverboten wird man dem Problem aber nicht gerecht. | |
No-go-Area für Schwule und Lesben: Homophobie gilt als ansteckend | |
In Jamaica und anderen Teilen der englischsprachigen Karibik ist | |
Schwulenhass sehr verbreitet. Das hat komplexe Ursachen. |