# taz.de -- Debatte Homophobie im Reggae: Rache der Erniedrigten | |
> Der Schwulenhass jamaikanischer Reggae-Stars ist keine Folklore. Mit | |
> Einreise- und Auftrittsverboten wird man dem Problem aber nicht gerecht. | |
Bild: Flipflop-Paradies mit Pferdefuß: Anti-Imperialismus und Homophobie stehe… | |
Gibt es den dritten Weg? Einen Kompromiss zwischen dem Relativismus des | |
Reggae-Sängers [1][Gentleman], derzeit Nummer Eins der deutschen Charts, | |
der Homophobie als zwar unappetitlichen, aber elementaren Bestandteil der | |
jamaikanischen Kultur bezeichnet - und dem autoritären Universalismus von | |
[2][Volker Beck], der homophobe Reggaestars mit Einreise- und | |
Auftrittsverboten mundtot machen will? | |
Vielleicht helfen Binsenweisheiten weiter: Dass Homophobie kein Privileg | |
von Rasta-Fundamentalisten ist. Daran erinnerte jüngst der | |
Kardinalssekretär des Vatikans, Tarcisio Bertone, als er Pädophilie auf | |
Homosexualität zurück führte. Auch weiße Rocker hassen Schwule: | |
Guns'N'Roses-Sänger Axl Rose sang einst von "Immigrants and Faggots", die | |
angeblich Seuchen verbreiten würden. Niemand forderte Einreiseverbote für | |
Bertone oder Axl Rose, denn beide sprechen für mächtige | |
Glaubensgemeinschaften: Katholiken und Rocker. | |
Beim Konflikt Gentleman versus Volker Beck geht es nicht nur um Fragen von | |
Hautfarbe, Religion und Geschlecht, sondern auch um Klassenfragen. | |
Gentleman hat Recht, wenn er den Schwulenhass in Jamaika als Produkt einer | |
religiösen Kultur bezeichnet. Die Bibel gibt's her: "Wenn zwei Männer sich | |
lieben muß man sie töten." (Levitica) Allerdings braucht religiöser Wahn | |
immer einen gesellschaftlichen Nährboden. | |
Die jamaikanische Soziologin Carolyn Cooper sieht die Ursache des | |
übersteigerten Machismo und der Homophobie in einer "diminished | |
masculinity", einer "erniedrigten Männlichkeit". Sie entspringt einer | |
Gesellschaft, die Männern aus den unteren Klassen das Gefühl der | |
Minderwertigkeit und Nutzlosigkeit vermittelt: Sie haben keine Arbeit, sind | |
überflüssig - was ihnen bleibt ist ihr Körper, ihr Schwanz. Sexuelle Potenz | |
kompensiert ökonomische Schwäche. Sichtbarer Potenz-Nachweis sind Kinder - | |
möglichst viele Kinder mit möglichst vielen Frauen, der heilige Bob Marley | |
hat es ja vorgemacht. | |
20-jährige Mütter mit vier Kindern von vier verschiedenen Vätern sind auch | |
in Deutschland keine Seltenheit. Und in den Hartz-IV-Distrikten dieser | |
Republik gedeiht neben vaterlosen Kindern auch die sozialdarwinistische | |
Variante von HipHop, getrieben von Machismo und Schwulenhass: Meine | |
Herkunft, meine Religion. Meine Bibel, mein Koran. Auch hier wird gern die | |
kulturalistische Karte gespielt, wenn Diskriminierungserfahrungen zum Alibi | |
gewendet werden: wir lassen uns von den arroganten Germanen doch nicht | |
unsere Kultur nehmen! Also passen Brüder auf Schwestern auf, werden Ehen | |
arrangiert, Mädchen eingesperrt, Schwule gehasst. Wie, verschärft, in | |
Jamaika der Fall, wo die Sklaverei die Mutter allen Elends ist. Um ihr | |
Humankapital zu mehren, animierten weiße Sklavenhalter einst ihre schwarzen | |
Sklaven dazu, immer mehr Kinder zu zeugen. Ein Mann, der keinen Nachwuchs | |
produziert, gilt dort bis heute als Schwächling. Oder, noch schlimmer, als | |
Schwuchtel. | |
"Einen Reggae-Text eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen, das | |
funktioniert nicht", da hat Gentleman recht. Klar, die orale Kultur kreiert | |
stündlich neue Bedeutungen und Metaphern. Manche Texte aber sind eindeutig. | |
"Faggots have to run or get a bullet in the head"; Schwule müssen rennen, | |
sonst kriegen sie eine Kugel in den Kopf - diese Zeile stammt aus einem der | |
größten Hits der Reggae-Geschichte. "Boom Bye Bye" dröhnte im Frühjahr 1992 | |
aus allen Boxen der Freiluft-Dancehalls von Kingston. Ein unwiderstehliches | |
Stück Musik, Nacht für Nacht von hysterischer Begeisterung und gerne auch | |
Salutschüssen in den Sternenhimmel begleitet. Ich war dabei und kaufte mir | |
"Boom Bye Bye", nicht ahnend, worum es da ging. Denn Buju Bantons Jamaican | |
English verstehen nur Deutsche mit Reggaediplom. | |
Durch Zufall kam ich damals zu einem Interview mit Buju Banton, einem | |
spindeldürrem Kerlchen mit der Stimme eines Grizzly Bärs, damals gerade | |
achtzehn Jahre alt. Was ich damals zu verstehen glaubte: er kommt von ganz | |
unten, kein Kommunikationstraining und kein Diplomatiekurs, aus ihm spricht | |
der common sense seines Milieus. "Boom Bye Bye" wurde zum Präzendenzfall: | |
Erstmals erfuhr die Welt von homophoben Motiven in der jamaikanischen | |
Musik. Die Debatte von damals liefert die historische Blaupause für den | |
Streit zwischen Gentleman und Volker Beck. | |
Damals interpretierte The Source, das Zentralorgan des HipHop - also einer | |
Kultur, die massgeblich von Nachfahren afrikanischer Sklaven geprägt ist - | |
den Banton-Konflikt mit antirassistischem Furor als Kampf der Kulturen. | |
Nach dieser Lesart versuchte eine "mächtige Gay Lobby" (ein Echo der ewigen | |
"jüdischen Lobby"?), den jahrhundertelang versklavten Jamaikanern ihr | |
moralischen Maßstäbe zu diktieren. "In den Augen der Dancehall-Gemeinde | |
wäre eine Entschuldigung Bujus bei der Gay-Lobby ein Akt des Verrats | |
gewesen, eine Kapitulation vor der imperialistischen Macht, die dem | |
grimmig-stolzen jamaikanischen Volk einen unwillkommenen Lebensstil | |
aufzuzwingen versucht." Da haben wir den Salat: Homophobie als Ausdruck | |
stolzen Anti-Imperialismus. Als ob sich die Dritte Welt gegen die erneute | |
Unterjochung durch die Erste Welt durch metaphorisches Schwulenschlachten | |
wehren würde. | |
Gut möglich, dass sich die Geschichte wiederholt und Volker Beck mit seinen | |
Forderungen nach Einreise- und Auftrittsverboten genau das erreicht: auf | |
der einen Seite erntet er Applaus aus der eigenen Klasse, auf der anderen | |
Seite antiautoritären Trotz und Anti-Political-Correctness-Reflexe von | |
unten. Auch die Dritte Welt in Neukölln und Marzahn will sich von der | |
Ersten Welt in der rot-grünen Mitte das bisschen Schwulenbashing nicht | |
verbieten lassen. Das gehört doch zu unserer Kultur! | |
Die Sache wird nicht leichter dadurch, dass Volker Beck einer Partei | |
angehört, die für die Verarmung und Stigmatisierung ganzer | |
gesellschaftlichen Schichten verantwortlich ist. Sie hat - nicht nur auf | |
der symbolischen Ebene - zu einer unteren Randgruppe geführt, vor deren | |
unappetitlicher Rache sich die gebildeten Stände nun zu fürchten beginnen. | |
27 Apr 2010 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
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Äthiopien | |
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