# taz.de -- Debatte Homophobie im Reggae: One Love | |
> Jamaikanische Reggae-Stars wie Sizzla rufen zur Gewalt gegen Schwule auf. | |
> Darum muss man es verhindern, dass sie in Europa auftreten. | |
Bild: Hat noch andere Sorgen als die One-Love-Armbinde: Manuel Neuer beim WM-Sp… | |
Andere Länder, andere Sitten - so könnte man die Haltung des deutschen | |
Reggae-Sängers Gentleman zusammenfassen, der sich in der taz (am 8. 4.) zu | |
seinen homophoben Kollegen aus der Karibik geäußert hat. Gentleman meint, | |
wir müssten es respektieren, wenn in anderen Kulturen Minderheiten | |
unterdrückt werden. | |
Doch die Welt wird nicht besser, nur weil sie sich dreht. Schon sein | |
Vergleich des Kopftuchzwangs im Iran und der Haltung des Vatikans zu | |
Kondomen mit Aufrufen zu Gewalt und Mord durch Reggae-Großverdiener wie | |
Sizzla zeigt deutlich, dass Gentleman eines nicht verstanden hat: | |
Menschenrechte, und dabei vor allem das Recht auf Leben und auf die freie | |
Entfaltung der Persönlichkeit, sind universell und auch nicht verhandelbar. | |
Wir akzeptieren es ja auch nicht, wenn Rassisten, Antisemiten, | |
islamistische Hassprediger oder Holocaustleugner eine öffentliche Bühne in | |
Deutschland dafür nutzen, zu Hass, Gewalt und Mord aufzurufen. Darum ist es | |
nur konsequent, dass wir dort, wo wir die Möglichkeit dazu haben, auch | |
gegen Reggae-Musiker wie Miguel Collins alias "Sizzla" vorgehen. In seinem | |
Song "Nah Apologize" singt er etwa: "Rastaman dont apologize to no | |
batty-boy / if yuh diss King Selassie mi gun shot yuh bwoy" - zu Deutsch: | |
"ein Rastaman entschuldigt sich nicht bei Schwuchteln, wenn du King | |
Selassie beleidigst, erschieße ich dich". | |
Zwar hat auch Sizzla 2007 den "Reggae Compassionate Act" unterzeichnet, in | |
dem sich jamaikanische Künstler verpflichteten, in ihren Songs auf | |
schwulenfeindliche Aussagen zu verzichten. Das Problem ist nur: Er hält | |
sich nicht daran. Und in einem Interview in Simbabwe distanzierte er sich | |
im Februar 2010 offen von diesem Abkommen, das auf Druck der Kampagne "Stop | |
Murder Music" zustande gekommen war. Seine Begründung: Er könne nicht | |
aufhören, diese Lieder zu spielen, "da die Botschaft darin von den Menschen | |
gehört werden müsse". | |
Dank einer aktiven Zivilgesellschaft schaffen wir es immer wieder, Aufrufe | |
zu Hass und Gewalt zu unterbinden. Wie bei den Protesten gegen Neonazis, | |
die Moscheegegner von "Pro Köln" oder den islamistischen Al-Quds-Tag | |
schöpfen wir dafür alle juristischen Möglichkeiten aus. Der Protest auf den | |
Straßen und im Internet zeigt, dass wir gewaltfrei und erfolgreich gegen | |
Sizzla demonstrieren können. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, die | |
Einstellung von Musikern wie ihm zu ändern. Wohl aber können wir | |
verhindern, dass sie mit ihrem Hass auch noch Geld verdienen. | |
Letztlich ist es aber die Aufgabe des Rechtsstaats, hier abzuwägen. Dass | |
Volksverhetzung in der Bundesrepublik strafbar ist, hat auch historische | |
Gründe. Wer in der Bundesrepublik zum Mord an Schwarzen, Juden oder | |
Homosexuellen aufruft, muss sich wegen Volksverhetzung vor Gericht dafür | |
verantworten. Und Hasspredigern aus dem Ausland, die bei uns zu Mord und | |
Gewalt aufrufen wollen, kann die Einreise verweigert werden. Das gilt für | |
Sizzla und Co genauso wie für religiöse Eiferer jedweder Couleur. | |
Die Einreisesperre für den Schengenraum, die das deutsche Innenministerium | |
auf Initiative des LSVD und von mir für das Jahr 2008 gegen Sizzla | |
veranlassen ließ, wurde von der Bundesregierung inzwischen wieder | |
aufgehoben. Doch für jemanden wie ihn, der offen für die Erschießung von | |
Schwulen eintritt, hätte sie meiner Meinung nach jede Berechtigung. | |
Unser Engagement zeigt jedenfalls Wirkung: In Jamaika distanzieren sich | |
namhafte Reggae-Künstler von homophoben Hasssängern; auf Konferenzen zur | |
Zukunft des Reggaes wird öffentlich der Imageschäden beklagt, den einige | |
wenige Künstler angerichtet haben. Der internationale Druck führt dazu, | |
dass in Jamaika ein Umdenken beginnt. Zeitungen berichten über die | |
Situation von Schwulen und Lesben, am vergangenen Mittwoch fand in Jamaika | |
der erste Pride-Marsch statt, kurz: ein Tabu wird gebrochen. | |
Doch noch immer leben Homosexuelle auf Jamaika in ständiger Angst vor | |
Übergriffen. Amnesty International berichtet regelmäßig von Hetzjagden auf | |
Schwule und Menschen, die für schwul gehalten werden. Das liegt auch an | |
einer Gesellschaft, die durch einen Rastafari-Glauben geprägt wird, der das | |
Gebot der Nächstenliebe nicht für Schwule, Lesben und Transgender gelten | |
lässt. Es lässt sich kaum bestreiten, dass Musiker wie Sizzla mit ihren | |
Tiraden diese homophoben Stimmungen noch anheizen. Darum ist es vor allem | |
ein Akt der Solidarität mit unseren Freundinnen und Freunden in Jamaika, | |
wenn wir die Sänger, die zum Mord an Schwulen aufrufen, in Europa nicht | |
dulden. | |
Natürlich darf man nicht alles auf die Goldwaage legen, was so in Reimform | |
über die Mikrofone in die Kopfhörer anderer Menschen geht. Oft handelt es | |
sich nur um großkotzige Angeberei und verbalen Schwanzvergleich, um sich | |
selbst gegenüber anderen aufzuwerten. Das mag im Reggae oder Rap als | |
"Competition" gelten. Nüchtern betrachtet ist es aber oft nichts anderes, | |
als den vermeintlichen Gegner einer unterlegenen Minderheit zuzuschreiben | |
und diese abzuwerten: so funktioniert gruppenbezogene | |
Menschenfeindlichkeit. | |
Im Dancehall-Reggae und im HipHop sind es meist Frauen und Schwule, die im | |
Namen der Kunst an monstergroßen Rappergeschlechtsorganen lutschen oder | |
besonders hart anal penetriert werden. Das muss einem nicht gefallen, aber | |
die Freiheit der Kunst wiegt im Zweifel schwerer als Fragen von Geschmack | |
und Stil. | |
Naiv aber ist die Behauptung, die Hassgesänge von Reggae-Größen wie Sizzla | |
seien lediglich metaphorisch zu verstehen. Leider zeigen die Morde an | |
Schwulen in Jamaika immer wieder, dass diesen Worten auch ganz reale Taten | |
gegenüberstehen. | |
HipHop und Reggae müssen nicht zwangsläufig so sein. Gerade von jenem Teil | |
der HipHop- und Reggae-Szene, der sich so engagiert gegen Rassismus wehrt, | |
kann man auch gegenüber anderen Formen von Menschenfeindlichkeit praktische | |
Solidarität erwarten. Wer sich dem Kampf gegen Ausgrenzung und Hass | |
verschrieben hat, der muss gegen all dessen Formen vorgehen. Immer im Ohr: | |
"One Love!" | |
14 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Volker Beck | |
## TAGS | |
Kolumne Der rote Faden | |
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