# taz.de -- Shitstorm in Poetry-Slamszene: „Sexismus ist nicht normal“ | |
> Mit ihrem Text „Was ich habe“ prangert Bente Varlemann Sexismus | |
> öffentlich an. Wegen der heftigen Reaktionen kritisiert sie nun auch die | |
> Poetry-Slam Szene | |
Bild: Sexistischer Kackscheiß weckt Bente Varlemanns lyrischen Kampfgeist. | |
taz: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen? | |
Bente Varlemann: Ich finde, solche Bezeichnungen schränken eher ein. Es | |
gibt so viele unterschiedliche Perspektiven auf Feminismus. Meine | |
Sichtweise verändert sich immer wieder. Ich bin feministisch eingestellt, | |
würde mich aber selbst nicht als Feministin bezeichnen. Nicht, weil der | |
Begriff oft negativ verwendet wird, sondern weil es Leute gibt, die sich so | |
bezeichnen, deren Meinung ich nicht komplett teile. | |
Warum setzen Sie sich gegen Sexismus ein? | |
Sexismus ist nicht normal und sollte nicht alltäglich sein. Du wirst aber | |
dahingehend sozialisiert, dass bestimmte Verhaltensweisen, die Stimme, | |
Gestik, Mimik männlich oder weiblich konnotiert sind. Mir geht es nicht | |
darum, das eine oder andere schlechter zu machen, sondern zu | |
dekonstruieren. Und ich weiß, dass das unter den Gegebenheiten eigentlich | |
unmöglich ist. Aber es geht darum, das in den Kleinigkeiten zu machen und | |
vielleicht sind das auch manchmal Großigkeiten. Viele Leute fühlen sich | |
[1][durch dieses Publikmachen] nicht mehr so allein damit, auch ich. | |
Wie ist es zu dem Text „Was ich alles habe“ gekommen? | |
Mich hat das Thema Sexismus beschäftigt. Ich habe ziemlich viel darüber | |
gelesen und mich mit Queer-Feminismus auseinandergesetzt. Ich hatte gerade | |
die Zeit, sozusagen ein kleines Selbststudium zu betreiben. Ich hatte einen | |
kleinen Lesezirkel mit einer Freundin. Wir haben uns über unsere | |
Erfahrungen unterhalten. Irgendwann hat es mir gereicht und ich habe diesen | |
Text geschrieben. | |
Was für Reaktionen gab es dazu? | |
Meistens fühlen sich die Leute persönlich angegriffen, die vom Sexismus | |
nicht betroffen sind. Da gibt es welche, die sehr offensiv und aggressiv | |
sind und so mit mir diskutieren wollen. Aber es gibt auch Leute, die es | |
verstehen, obwohl sie nicht selbst von Sexismus betroffen sind. Ich habe | |
durch den Text auch Menschen bei Auftritten kennen gelernt, die mir sehr | |
viel Zuspruch gegeben haben. Das war total gut, weil ich doch ziemlich | |
daran gezweifelt habe, ob ich das aushalten kann. Es ist ein persönlicher | |
Text und sonst stehe ich oft auf der Bühne und spiele eine Art Rolle. Bei | |
diesem Text vermischt sich die Rolle so stark mit mir, dass ich bei Kritik | |
auch an mir selbst zweifle. | |
Was hat das Ganze für Sie persönlich verändert? | |
Es hat mir eine andere Haltung zu dem Thema gegeben. Ich gucke jetzt mehr, | |
wie ich behandelt werden will und wo meine Grenzen sind, aber auch, wo bei | |
anderen Leuten die Grenzen sind und ob ich helfen kann. Außerdem trete ich | |
auch gerne wieder auf. | |
Das war eine Zeit lang nicht so? | |
Nein. Ich habe mich gefragt, was ich auf einer Bühne soll, mit Texten, die | |
vielleicht ganz lustig sind und ein bisschen nachdenklich, aber bei denen | |
mir die Aussage fehlt. Das ist jetzt anders und ich traue mich mehr. Ich | |
hatte Angst davor, dass mir das nicht abgenommen wird, sich darüber lustig | |
gemacht wird, oder es niemanden interessiert. Das gab es teilweise, aber | |
ein großer Teil ist anders verlaufen. | |
Was hat sich an Ihren Auftritten und Texten verändert? | |
Ich schaue jetzt, welche Themen nicht typisch weiblich konnotiert sind und | |
schreibe dazu auch lustige und unpolitische [2][Texte]. Das ist aber | |
schwierig, denn sobald ich aus dem weiblich Konnotierten rausgehe, bin ich | |
ja wieder in dem männlich Konnotierten, weil diese Welt beschissenerweise | |
so aufgeteilt ist. Trotzdem habe ich immer wieder versucht, Grenzen von | |
denen ich dachte, sie wären gesetzt, zu durchbrechen. Das hat auch mit der | |
Orientierung an männlich konnotierter Schreibweise zu tun oder einfach | |
damit, mal auf der Bühne sehr laut zu sein. | |
Sind Ihnen Probleme mit Sexismus auch innerhalb der Poetry-Slam Szene | |
aufgefallen? | |
In erster Linie habe ich es außerhalb des Poetry-Slams gesehen. Dann habe | |
ich mir auch über Poetry-Slam und wie das dort läuft, Gedanken gemacht. Das | |
ist schließlich kein gesellschaftlich abgekoppelter Raum. Dann sind mir | |
auch dort Dinge aufgefallen und je mehr ich darüber nachgedacht und | |
aufgeschrieben habe, desto mehr ist mir klar geworden, wie genau die | |
gleichen Strukturen, die gesellschaftlich laufen, auch dort passieren. Es | |
gibt überall reflektierte Leute und es gibt überall Leute, die es nicht | |
schnallen und keine Lust haben, sich mit Diskriminierungsstrukturen | |
auseinanderzusetzen – unabhängig davon, ob sie selbst betroffen sind oder | |
nicht. | |
Warum gibt es so wenig Frauen im Poetry-Slam? | |
Das werde ich häufig gefragt. Lange Zeit habe ich immer darauf geantwortet, | |
dass es nicht um diese Frage geht, weil alle ja irgendwie Poesie – oder was | |
man darunter versteht – machen und darum sollte es doch gehen. Für mich | |
habe ich das also ausgeklammert, mittlerweile antworte ich auf diese Frage | |
anders: Es gibt Schwierigkeiten für Frauen im Poetry-Slam. | |
Welche sind das? | |
Machst du als Frau Lyrik, wird es Mädchenlyrik genannt. Für mich impliziert | |
allein die Benennung eine Abwertung, weil es keine Jungslyrik ist, wenn ein | |
Typ Lyrik macht. Außerdem finde ich es unangenehm, wenn ich die einzige | |
Frau im Line-up bin. Oder sexistische Beleidigungen in anderen Texten | |
vorkommen und ich muss mir das anhören, weil ich dabei auf der Bühne sitze. | |
Es gibt auch Probleme bei den Ankündigungen der Moderatoren. Sie betonen, | |
dass man die einzige Frau am Abend ist, oder dass man so schön aussieht | |
oder so ein süßes Kleid anhat. Bei Männern wird aber nicht gesagt: „Oh, er | |
hat aber heute ein niedliches Hemd an.“ Genau so beziehen sich die | |
Moderatoren manchmal auf den Körper und sagen: „Oh, du hast zugenommen.“ | |
Das sind alles vermeintliche Kleinigkeiten, aber je mehr sie sich häufen, | |
desto anstrengender empfinde ich das Ganze. | |
Warum treten Sie trotzdem noch auf? | |
Es ist ja nicht alles komplett scheiße. Das ist mir wichtig zu sagen. Ich | |
mag die Poetry-Slam-Szene und lerne dort viele nette Leute kennen. Aber es | |
gibt durchaus Momente, in denen ich überlege, wie lang und unter welchen | |
Voraussetzungen ich das noch machen kann. Deshalb gucke ich jetzt danach, | |
wo ich hinfahre und wer noch da ist. Das kann ich mir mittlerweile | |
aussuchen; bei Leuten, die damit gerade anfangen, ist das anders. | |
21 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kotzendes-einhorn.de/blog/2013-10/was-ich-habe-poetry-slam-gegen… | |
[2] http://www.rowohlt.de/autor/Bente_Varlemann.3002750.html | |
## AUTOREN | |
Jelena Malkowski | |
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