# taz.de -- Kritisches serbisches Radio B92: Vom Kultsender zum Dudelfunk | |
> Der Sender B92 galt seit 1989 als eine der wenigen objektiven | |
> Nachrichtenquellen Serbiens. Nun hat er neue Besitzer und spielt nur noch | |
> Musik. | |
Bild: Hier geht es weniger politisch zu: Sendergebäude von B92 in Belgrad. | |
BELGRAD taz | Noch ein Radiosender, der für sein Anderssein bekannt war, | |
und nun verkauft, kommerzialisiert und von neuen Eigentümern dem Mainstream | |
angepasst wurde? So what, könnte man sagen, passiert andauernd. | |
Doch der Belgrader Radiosender B92 ist mehr als das. Er ist ein Symbol für | |
den Kampf gegen Krieg und für Demokratie, für den Widerstand vieler | |
Generationen gegen den Wahnsinn, das Morden, das Plündern und die | |
Informationsfinsternis im Serbien der 1990er Jahren. Schüler und Rentner | |
hörten B92, jeder, den die Wahrheit interessierte, jeder, der der | |
herrschenden, aufgedrängten, kriegerischen Kultur entfliehen wollte. Für | |
jene Serben, die kein Internet hatten, war B92 eine der wenigen objektiven | |
Informationsquellen. Zwei Jahrzehnte lang hörte man um 9 Uhr die | |
Nachrichten auf Radio B92. Für viele war es ein tägliches Ritual, wie Toast | |
zum Morgenkaffee. | |
Der 1989 als Studentenradio gegründete Sender war dem ständigen Druck des | |
Regimes ausgesetzt, wurde nach Berichten über den Wahlbetrug 1996 | |
vorübergehend gewaltsam übernommen. Im Oktober 2000 kam es zur | |
demokratischen Wende in Serbien, zu der der Sender maßgeblich beigetragen | |
hatte. TV b92 wurde gegründet und übertrug von 2002 bis 2006 den kompletten | |
Prozess gegen Milošević vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. | |
Unausweichlich begann aber auch die Kommerzialisierung. Ende 2010 kaufte | |
die griechische Firma Astonko Radio und TV b92. | |
„Radio B92 is no more“, lauteten viele Tweets in den vergangenen Tagen. Vor | |
zwei Wochen wurde das Informationsprogramm aufgelöst, Journalisten, | |
Musikredakteure und Mitarbeiter gefeuert. Auf derselben Frequenz hört man | |
nun nur noch Musik, aber nicht einmal die ist vergleichbar mit dem, was man | |
früher auf Radio B92 hören konnte. | |
Natürlich können die neuen Eigentümer mit ihrem Eigentum machen, was sie | |
wollen. Vorgeworfen wird „den Griechen“ aber, dass sie so wenig Feingefühl | |
und Verständnis für den Kultsender gezeigt haben. Man appellierte | |
vergebens, wenigstens den Namen „B92“ zu ändern. Denn der Radiosender B92 | |
gehört ins Museum der serbischen Zeitgeschichte. Was auf der Frequenz | |
derzeit passiert, ist des Namens unwürdig. | |
## Überlebensmodell B92 | |
„Das war nicht nur ein Radio, auf dem man nichtzensierte Informationen und | |
Meinungen gegen das Regime hören konnte: Es handelte sich um eine breitere, | |
alles umfassende Alternative, B92 war ein Unterschlupf für ein anderes | |
Weltgefühl, was auch durch musiksubkulturelle Inhalte jeder Art, eine | |
andere verbale Kommunikationsweise vermittelt wurde“, schreibt der | |
serbische Kolumnist Teofil Pančić. | |
Für ihn ist das Ende von Radio B92 ein „trauriges, absurdes, armseliges, | |
zynisches, brutales Ende“ von etwas, das ein unentbehrlicher Teil des | |
Alltags war. Denn B92 sei schlicht mehr gewesen als ein Radiosender: Es war | |
ein Lebens- und Überlebensmodell. | |
Pančić fragt sich, in welchem entscheidenden Moment man hätte verhindern | |
können, was B92 passiert ist, und schreibt: „Wenn ein Yuppie-Klugscheißer | |
in deine Redaktion kommt, um irgendetwas zu meinen und anzuordnen, und du | |
die Gelegenheit versäumst, „raus mit dir“ zu brüllen und mit dem | |
Aschenbecher nach ihm zu schmeißen – wenn du das nicht tust, kommt früher | |
oder später ein „Grieche“. Und wenn dieser kommt, tötet er früher oder | |
später alles, was ihm ohnehin nichts bedeutet. Und warum sollte er es nicht | |
töten? Es gehört ihm! Entschuldigt mich jetzt, ich gehe die Frequenz 92,5 | |
aus dem Speicher meines Tuners löschen.“ | |
21 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Andrej Ivanji | |
## TAGS | |
Serbien | |
Radio | |
Serbien | |
Investor | |
Belgrad | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Serbien und Verschwörungstheorien: Mordsstimmung in Belgrad | |
Auf Premier Aleksandar Vucic sollte angeblich ein Attentat verübt werden. | |
In den Medien wird spekuliert, ob die CIA dahinter steckt. | |
Senioren gegen Kommerzialisierung: Pflege auf dem Markt | |
Bewohnervertretung kritisiert den Verkauf von Pflegeheimen der „Residenz | |
Gruppe“ an einen internationalen Investor. | |
Unterwegs in der serbischen Hauptstadt: Schlaflos in Belgrad | |
Flanieren im Zentrum, Techno, gemeinsames Singen im Park Vojvode Vuka, viel | |
Bier - Impressionen aus der serbischen Hauptstadt. | |
Serbien weist WAZ aus: "Wir lassen uns nicht ausrauben" | |
Der serbische Wirtschaftsminister will den WAZ-Verlag aus dem Land treiben. | |
Doch der fordert erst mal Geld. Es geht um eine Investition von 120 | |
Millionen Euro. | |
Folklore-Pop: Pirat der Karpaten | |
DJ Shantel hat den Balkan-Sound populär gemacht. Mit seiner Band "Bucovina | |
Club Orkestar" und dem neuen Album "Disko Partizani" will er endgültig raus | |
aus der Nische und rein in den Pop-Mainstream. |