| # taz.de -- Folklore-Pop: Pirat der Karpaten | |
| > DJ Shantel hat den Balkan-Sound populär gemacht. Mit seiner Band | |
| > "Bucovina Club Orkestar" und dem neuen Album "Disko Partizani" will er | |
| > endgültig raus aus der Nische und rein in den Pop-Mainstream. | |
| Bild: DJ Shantel haut in die Tasten. | |
| Er kann offensichtlich nicht singen, und seine E-Gitarre baumelt auffällig | |
| nutzlos um seinen Hals. Die meiste Zeit steht er bei seinem Konzert in der | |
| Berliner "Arena" leicht verlegen auf der Bühne herum. Irgendwann öffnet er | |
| mit den Worten "Duty Free Istanbul" eine Flasche Wodka und verteilt sie an | |
| die Zuschauer in den ersten Reihen. Ansonsten aber überlässt er es seiner | |
| Band, für Stimmung zu sorgen; sein Einsatz beschränkt sich auf Zwischenrufe | |
| der Sorte "Hallo Berlino". Ehrlich gesagt: einen "King of Balkan Pop" hätte | |
| man sich doch etwas flamboyanter vorgestellt. | |
| Nein, das mit der Bühnenpräsenz, das muss er noch üben. Die meiste Zeit | |
| seines Lebens war Stefan Hantel, der sich kurz Shantel nennt, bislang eben | |
| als DJ unterwegs, in sicherem Abstand hinter Plattentellern und Mischpult | |
| verbarrikadiert. Erst seit er vor ein paar Jahren die traditionellen Klänge | |
| des Balkans für sich entdeckt hat, ist er aus der Deckung gegangen. Nun | |
| zwängt er sich mit seiner bis zu neunköpfigen Begleitband in den Tourbus, | |
| um auf Konzertreisen zu gehen. Beim morgendlichen Treff in dem kleinen | |
| Berliner Hotel, in dem er die Nacht verbracht hat, wirkt er zwar noch etwas | |
| zerknittert, die blonden Haare wirken etwas zerzaust. Trotzdem ist er mit | |
| seinem Rollenwechsel zufrieden: "Neulich haben wir in Rio zwischen Daft | |
| Punk und den Beastie Boys gespielt. Das ist natürlich eine große | |
| Genugtuung, wenn man sich da durchsetzen kann". | |
| Der Name Shantel ist inzwischen weltweit zum Synonym geworden für | |
| schmissigen Folklore-Pop vom Balkan - ein Genre, das er zwar nicht | |
| erfunden, zu dessen Popularisierung er aber erheblich beigetragen hat. | |
| "King of Balkan Pop" prangt stolz auf dem Cover seines neuen Albums "Disco | |
| Partizani" - dem ersten seit sieben Jahren, das ausschließlich aus | |
| Eigenkompositionen besteht. In seinem ersten Leben machte Shantel als DJ | |
| und Produzent von gediegenen Downbeat- und Dub-Tracks von sich reden. Dann | |
| folgte vor ein paar Jahren der Richtungswechsel gen Osten. In Frankfurt | |
| begründete er Ende der Neunzigerjahre seinen "Bucovina Club" - eine | |
| Partyreihe, zu der er poppige Folklore-Hits vom Balkan und den | |
| Turbo-Blaskapellen-Sound von Zigeunerbands wie der Fanfare Ciocarlia aus | |
| Rumänien auflegte. Zwei Anthologien veröffentlichte er unter dem "Bucovina | |
| Club"-Logo, mit denen er dieser Musik ein ganz neues Publikum erschloss, | |
| das oft erst durch ihn auf den Sound des wilden Ostens aufmerksam wurde. | |
| Außerdem fertigte er Balkan-Remixe an und komponierte eigene Balkan-Tracks | |
| am Computer. Diese musikalische Promenadenmischung machte er zu seinem | |
| Markenzeichen. "Branding" nennt man diese Methode im Werber-Sprech. | |
| Mit der Rolle des erfolgreichen Balkan-Impressarios hätte sich Shantel noch | |
| eine Weile lang zufrieden geben können. Doch er wollte einen Schritt weiter | |
| gehen: den Schritt zum echten Popstar. Deshalb drängt er sich nun mit | |
| seiner Party-Band, dem "Bucovina Club Orkestar, ins Rampenlicht. "Das ist | |
| natürlich ein Risiko", gibt Shantel zu, während er sich in seinem Sessel | |
| aufrichtet. "Manche Experimente haben mich nicht befriedigt: dass man da | |
| etwa so einen Maschinenfuhrpark auf der Bühne hat, und die Band spielt dann | |
| quasi zum vorgegebenen Beat. Es muss schon so eine organische, frische | |
| Konstellation sein, die man nur mit einer richtigen Band hinbekommt". Mit | |
| der serbischen Sängerin Vesna Petkovic, dem heimlichen Star seiner Show, | |
| und erfahrenen Musikern aus dem Dunstkreis des Sandy Lopicic Orkestars aus | |
| dem österreichischen Graz, hat er nun eine Truppe um sich geschart, die | |
| seine Ideen und die Erwartungen des Publikums perfekt zu erfüllen vermag. | |
| Durchgesetzt hat sich Shantel längst auf der ganzen Linie. Seine Remixe | |
| tauchten bislang etwa im Soundtrack des "Borat"-Films auf, zuletzt schrieb | |
| er die Musik zu "Auf der anderen Seite", dem neuen Film von Fatih Akin. Auf | |
| seinem Label "Essay Recordings" präsentiert er Künstler wie die israelische | |
| Surfrock-Band Boom Pam, die Amsterdam Klezmer Band und den österreichischen | |
| Elektro-Liedermacherpop von Binder & Krieglstein; darüber hinaus heimste er | |
| im vergangenen Jahr den "World Music Award" der BBC ein. Doch all das | |
| betrachtet Shantel lediglich als eine Vorstufe für sein eigentliches, | |
| ehrgeiziges Ziel: Nichts weniger als ein neues musikalisches Genre will er | |
| begründen - ein Genre, dem man die regionale Herkunft noch anhört, aber das | |
| dennoch im Mainstream der Popkultur seinen Platz findet: Nennen wir es | |
| "Balkan-Pop". | |
| Nicht, dass er der erste wäre, der sich an einer musikalischen Kreuzung | |
| versucht: Die vielen Fusionen aus Balkan-Folklore und DJ-Elektronica, aber | |
| auch aus Roma-Traditionals udn Punkrock oder gar Rap, sie bilden schon | |
| lange eigenes Genre für sich. Auf Samplern wie "Electric Gipsyland", | |
| "Balkan Beats" oder "Russendisco" kann man die hybriden Bastard-Blüten | |
| solcher Crossover bewundern. Mit seinem Album "Disco Partizani" zielt | |
| Shantel nun aber darauf, den Radio-Mainstream zu entern. Dazu hat er nicht | |
| nur die balkanischen Akkordeon-Melodien und die pumpenden Bläsersätze | |
| seiner Band mit Dance- und HipHop-Beats tiefer gelegt. Manchen | |
| Balkan-Liebhabern mag das etwas glatt gebügelt und auf Massentauglichkeit | |
| getrimmt erscheinen. Und man kann sich streiten über die Qualität von | |
| Zeilen wie "Yabadabaduh, yabadabadey, I wanna be your Disco Boy" - | |
| universal verständlich sind sie allemal. Der englische Sprechgesang, den | |
| Shantel beisteuert, soll dem Hörer von "Disco Partizani" ohnehin nur den | |
| Zugang erleichtern zu dem Kessel Buntes, der ihn erwartet: Zu türkischen | |
| Melodien, griechischen Schlagern, ungeraden Balkan-Rhythmen und | |
| byzantinischen Ornamenten. Und: Für den durchschnittlichen Pop-Konsumenten | |
| ist das nach wie vor ungewohnte Kost. | |
| So versucht Shantel, sich an die Spitze jener Balkan-Welle zu setzen, die | |
| munter vor sich hin durch die Lande schwappt. Roma-Ensembles wie das Boban | |
| Markovic Orkestar oder die Taraf de Haidouks sind schon seit langem gern | |
| gesehene Gäste auf deutschen Bühnen. Und dass Eugene Hütz, Sänger der New | |
| Yorker Balkan-Punk-Kapelle Gogol Bordello, jüngst sogar Madonna bei deren | |
| "Live Earth"-Gig in London begleitete, darf getrost als Signal gewertet | |
| werden, dass der Balkan-Boom den Pop-Kosmos erreicht hat. Doch für Shantel | |
| ist all das bestenfalls ein Anfang. "Ich sehe das immer noch nicht als | |
| wirkliche Welle an" wiegelt er ab: "Im Radio oder in den Massenmedien ist | |
| sie bislang ja noch gar nicht richtig angekommen". Er aber findet, dass den | |
| traditionellen Rhythmen und Melodien Osteuropas eine ähnliche Anerkennung | |
| gebührt, wie sie anderen Stilen wie Soul, Reggae oder Latin-Music zu Teil | |
| wird. Die weisen schließlich auch regionale Wurzeln auf, und zählen doch | |
| zum Kanon der Popkultur. Ein wenig ist das für ihn auch Ausdruck eines | |
| kontinentaleuropäischen Selbstbewusstseins, ein Akzent gegen die | |
| angloamerikanischen Dominanz in der Popkultur. Dass er als DJ und mit dem | |
| Bucovina Club Orkestar mittlerweile regelmäßig in so unterschiedlichen | |
| Metropolen wie Istanbul, Wien oder Athen gastiert, scheint ihm da Recht zu | |
| geben. | |
| Mit "Disko Partizani" soll ihm der Vorstoß in den Pop-Mainstream gelingen. | |
| Dazu bricht Shantel bewusst mit jeder Weltmusik-Ästhetik, die | |
| Ursprünglichkeit oder Authentizität suggeriert. "Ich wollte weg von diesem | |
| Klischee der lustigen Balkan-Bauernhochzeiten à la Emir Kusturica", erklärt | |
| Shantel. "Mir ging es darum, dieser Musik einen gewissen Glamour zurück zu | |
| geben." Dazu muste er nicht unbedingt das Rad der Balkan-Musik neu | |
| erfinden: viele Stücke auf "Disco Partizani" beruhen auf traditionellen | |
| Vorlagen. "Tatsache ist, dass es die meisten Melodien, die wir in diesem | |
| Genre als Hits begreifen, wirklich schon seit 200 oder 300 Jahren gibt. Sie | |
| wurden bloß immer wieder neu arrangiert oder ergänzt", räumt Shantel ein. | |
| Noch heute gibt es deshalb Verbindungen, die auf die Zeit zurück gehen, als | |
| der ganze Balkan unter türkisch-osmanischer Herrschaft stand, wie Shantel | |
| beobachtet hat: "Es gibt immer wieder Fälle, wo jemand sagt: "Siki Siki | |
| Baba", das ist doch mein Lied, das habe ich 1953 geschrieben! Und zwei | |
| andere aus Serbien sagen: Nein, das ist aus einer ganz anderen Zeit. Das | |
| ist schon fast eine sportliche Disziplin". | |
| Davon lässt er sich nicht irritieren - genau so wenig wie von Puristen, die | |
| meinen, diese Musik könne oder dürfe nur von Zigeunern gespielt werden. | |
| "Bei meinen Begegnungen mit Musikern wie Boban Markovic hat es solche | |
| Diskussion aber nie gegeben. Das sind meist eher so selbst ernannte | |
| Gralshüter, die so etwas zum Dogma erheben", verteidigt er sich. Dann wird | |
| er grundsätzlich: "Musik ist zum Glück eine Angelegenheit, wo eine Idee | |
| immer weiter getragen wird. Mozart hat sich bei ungarischen Zigeunern | |
| bedient, Beethoven hat wiederum bei Mozart geklaut. Es ist ein ständiges | |
| Tauschgeschäft". | |
| Um zu verstehen, wie Stefan Hantel alias Shantel überhaupt dazu gekommen | |
| sit, sich der Musik des Balkans zu widmen, muß man wohl ein wenig in seine | |
| Familiengeschichte zurück gehen. Seine Großeltern mütterlicherseits | |
| stammten ursprünglich aus jener Region namens Bukovina, die heute zwischen | |
| Rumänien und der Ukraine aufgeteilt ist. Über Umwege hatte es sie nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg über Umwege nach Deutschland verschlagen. Zu Hause in | |
| Frankfurt wurde bei ihnen deshalb Rumänisch gesprochen, was der kleine | |
| Stefan zwar nicht verstand, aber die Geschichten der Großmutter | |
| faszinierten ihn. Viel später, in den späten Neunzigerjahren, reiste er | |
| dann auf ihren Spuren bis nach Czernovic, "aber da war nichts mehr übrig | |
| vom vergangenen Glanz dieses kulturellen Schmeltiegels". | |
| In seiner "Bucovina Club"-Idee lässt er seine Erinnerungen in gewisser | |
| Weise wieder aufleben. "Meine Großeltern haben immer großen Wert darauf | |
| gelegt, das Beste zu bieten, wenn Gäste kamen: Sei es mit dem Essen, das | |
| man kredenzt, oder dass den Gästen sogar das Schlafzimmer überlassen wurde, | |
| wenn sie über Nacht blieben". Etwas von dieser Großzügigkeit findet er auch | |
| in der Musik, die er propagiert, weil sie diverse Generationen und Szenen | |
| zu verbinden vermag. Und so muß man wohl auch seine Rolle auf der Bühne | |
| verstehen: Als die eines Gastgebers, der zur Seite tritt und es seiner Band | |
| und einer großartigen Musik überlässt, das Publikum von sich zu überzeugen. | |
| 23 Aug 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
| ## TAGS | |
| Serbien | |
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