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# taz.de -- Enteignung in Indien: Großprojekte statt Kleinbauern
> Die indische Regierung will den Landerwerb für Investoren vereinfachen.
> Das könnte noch mehr Kleinbauern in die Slums treiben.
Bild: Viele von ihrem Land vertriebene Bauern landen in Slums wie diesem in Bom…
Delhi taz | Indiens Parlament wird bei der am Dienstag begonnen
Monsun-Sitzung, die drei Wochen dauert, auch den umstrittenen Gesetzentwurf
zum Landerwerb für Industrie- und Infrastrukturprojekte beraten. Der seit
Mai 2014 amtierende hindu-nationalistische Ministerpräsident, Narendra
Modi, hatte im Wahlkampf versprochen, Investitionshemmnisse zu beseitigen.
Das alarmierte insbesondere Organisationen von Kleinbauern und
Umweltschützern. Industrieverbände beklagen dagegen seit Jahren
umständliche Genehmigungsverfahren, die Großprojekte und so die
Wirtschaftsentwicklung behinderten.
Bisher kann die Regierung öffentliches wie privates Land für Großprojekte
wie Staudämme, Bergwerke, Flughäfen und Industriezonen enteignen, wenn
daran ein „öffentliches Interesse“ besteht. Grundlage ist das koloniale
„Gesetz zur Landakquirierung“ von 1894, das auch nach der Unabhängigkeit
1947 bestehen blieb. Es räumt den ursprünglichen Landbesitzern, meist
Kleinbauern und indigenen Gemeinschaften, kein Widerspruchsrecht ein und
ist oft Grund für Proteste.
In der Praxis wurde das „öffentliche Interesse“ oft auf Projekte von
Privatfirmen und einflussreichen Politikern ausgedehnt. Die Entschädigung
enteigneter Bauern ist nur vage geregelt und fast nie vollständig umgesetzt
worden. Widerstand wird häufig mit Polizeigewalt gebrochen. Viele
Betroffene rutschen ins Elend ab.
Im Fall des jahrelang von einer Volksbewegung bekämpften Narmada-Staudammes
etwa erhielten bis heute, mehrere Jahre nach Inbetriebnahme des Hauptdammes
in Gujarat, Tausende Betroffenen keine oder nur ungenügende Entschädigung.
Viele Vertriebene leben heute in den Slums der Städte.
## Überlebensfrage Landakquirierung
Mit dem Wirtschaftsboom seit der Jahrtausendwende wurde die
Landakquirierung zur Überlebensfrage für Millionen. Denn Häfen, Kraftwerke,
Landstraße, Bergwerke und Industrieparks benötigen immer mehr Land. Die
Zahl der „Entwicklungsflüchtlinge“ steigt.
Vielerorts regt sich Widerstand wie gegen ein Stahlwerk des koreanischen
Konzerns Posco, eine Bauxitmine im Siedlungsgebiet des indigenen Dongria
Kondh-Volkes, Kohlegruben in der Gangesebene und im Bergland Jharkhand.
Besonders betroffen sind indigene Gemeinschaften, während multinationale
Konzerne oft Nutznießer sind. Immer wieder wurde deshalb eine
Gesetzesreform gefordert.
2013 änderte die damalige Congress-geführte Regierung das Gesetz, doch
Basisgruppen war dies zu schwammig. 2014 änderte die neue Modi-Regierung
das Gesetz wieder in Punkten, die zuvor auf Drängen von Bauernverbänden und
Umweltaktivisten eingeführt worden waren. So wurde die
Sozialverträglichkeitsprüfung für die meisten Großprojekte wieder
abgeschafft, auch müssen Betroffene nicht mehr zustimmen. Die Regierung
änderte dies per Verfügung, weil sie im Oberhaus keine Mehrheit hat. Die
Verfügung wurde schon dreimal verlängert. Jetzt soll das Parlament
entscheiden.
## Modi doch kein Macher?
Basisgruppen kritisieren die Beschneidung der Mitspracherechte der
Betroffenen. Die meisten Oppositionsparteien schließen sich der Kritik an.
Oppositionsführer Rahul Gandhi von der Congress-Partei erklärte: „Wir haben
mehr als zwei Jahre in die Ausarbeitung dieses Gesetzes investiert, und die
Modi-Regierung killt es in wenigen Tagen. Niemand in dieser Regierung sorgt
sich um das Schicksal der Armen und der Bauern.“
Der Minister für Parlamentsaffären, Venkaiah Naidu, entgegnet: „Das Gesetz
ist im Interesse der Bauern und mit den Unionsstaaten abgestimmt.“ Ein
Kompromiss ist nicht in Sicht. Damit droht ein wichtiges Projekt der
Modi-Regierung, das Industrialisierung und Wirtschaftswachstum
beschleunigen soll, ebenso zu scheitern wie Modis Ruf als Macher.
Die umstrittene Verordnung hat bisher zu keinen messbaren Ergebnissen
geführt. Denn für Projekte müssen zahlreiche Genehmigungen eingeholt
werden. Doch hat die Regierung im ersten Halbjahr ihrer Amtszeit 190
Großprojekte genehmigt.
22 Jul 2015
## AUTOREN
Ashok Malik
## TAGS
Indien
Enteignung
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Narendra Modi
Investoren
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Kohle
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