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# taz.de -- Olympisches: Spiele mit wenig Gegenwind
> Wenn Hamburg 2024 die Olympischen Spiele ausrichten sollte, werden sich
> die Segler in Kiel messen. Doch da ist noch viel zu tun.
Bild: Ein Rest der Olympischen Spiele 1972: der Seglerhafen in Kiel.
KIEL taz | Links zwei graue Hochhäuser mit über einem Dutzend Stockwerken,
rechts eine Siedlung Bungalows: Wer sich aufmacht von der Bushaltestelle
ins Kieler Olympiazentrum, wird von 70er-Jahre-Beton-Architektur willkommen
geheißen. Es könnte auch der Empfang einer Wohnmaschinensiedlung sein, doch
die Lage hier ist exklusiver – die Vergangenheit, vielleicht auch die
Zukunft glamouröser.
Die Häuser sind Teil der Sportgeschichte. Hier, im Stadtteil Schilksee,
fanden die Segelwettbewerbe der Olympischen Spiele 1972 statt. Und wenn es
nach den Plänen deutscher Sportfunktionäre und Politiker geht, dann wird es
hier in neun Jahren auf dem Wasser noch mal um olympische Goldmedaillen
gehen. Kiel ist Teil der Hamburger Bewerbung um Olympia 2024. Doch damit es
wirklich so kommt, muss noch viel passieren: Es fehlen noch die konkreten
Pläne, die Zustimmung der Bürger in Kiel und Hamburg – und schließlich die
Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) für die
deutsche Bewerbung. Im November findet der Bürgerentscheid statt, 2017
entscheidet das IOC.
## Der Reiz der Siedlung erschließt sich nur langsam
Schilksee-Besucher müssen ein wenig laufen, um den Reiz der Siedlung zu
verstehen, das Meeresrauschen zu hören, und das Klirren der Segelmasten im
Wind. Eine kleine Schräge geht es hinauf, dann können sie auch das Gesicht
des Zentrums sehen: Ein 300 Meter langer, dreigliedriger Querriegel in
Terrassenbauweise, den „Fliegenden Holländer“. Zur Fördeseite gibt es im
ersten Stock eine Promenade mit Blick auf den Ostseearm – das Segelrevier –
den Hafen mit seinen fast 900 Liegeplätzen, einen Strand. Im und am Gebäude
befinden sich Geschäfte wie ein kleiner Touristensupermarkt, eine Boutique,
ein Segelmacher-Laden, Restaurants und eine Schwimmhalle.
An der Schräge zum Fliegenden Holländer steht eine Gruppe von sieben
Menschen. Sie haben Pläne dabei, Broschüre und Kameras – es sind Planer der
Stadt Kiel. Unter ihnen ist Felix Schmuck, Projektmanager im Dezernat für
Stadtentwicklung. Seine Leute sollen sich das Terrain angucken, eine Idee
davon bekommen, welche Möglichkeiten es für die Spiele im Jahr 2024 oder
2028 bietet, das Jahr einer möglichen erneuten Hamburger Bewerbung.
Die Planer gehören zu diesem Zeitpunkt zu den wenigen Gästen auf der
Anlage. Sie gehen übers Gelände und fotografieren. Wenn die Menschen nicht
bei Sommerhitze zum Strand strömen oder ein großes Segelereignis die Fans
hinauszieht, ist hier nicht viel los. Auch wenn es hier manches gibt, woran
es in der fast 20 Kilometer entfernten Kieler Kernstadt mangelt: Eiscafés
mit Außensitzplätzen etwa oder Schwimmhallen. Das Ziel der Stadtplaner: Sie
wollen Olympia nutzen, um Schilksee für die Kieler attraktiver zu machen –
und auch diejenigen herlocken, die sich bisher von der Betonburg
abschrecken ließen.
Kiel war eine von vier Städten, die Teil der Hamburger Olympia-Bewerbung
werden wollten. Für diesen deutschlandinternen Auswahlprozess hat Kiel zwei
Grobkonzepte ins Rennen geschickt und sich mit der Weiternutzung von
Schilksee durchgesetzt. Dieser Ort steht bei Seglern nicht nur für
Vergangenheit, sondern auch für Gegenwart: Es ist ein großer Segelstandort,
ein Bundesstützpunkt des Deutschen Seglerverbands. Der Hafen, die
Bootshallen, alles ist quasi seit 1972 weiter im Wettbewerbsbetrieb.
## Die Anlagen sollen zuschauerfreundlicher werden
Doch ganz einfach wiederholen lassen sich die Spiele von 1972 nicht, selbst
wenn die Stadt und das IOC es wollten. Denn das ehemalige olympische Dorf
ist verkauft. Wo damals Sportler und Betreuer wohnten, leben jetzt weit
über 600 Eigentümer in ihren Wohnungen. Nur das einstige Funktionärshotel
steht noch und ist weiter in Betrieb – in einem weiteren Hochhaus. Ein
neues olympisches Dorf muss also her. Außerdem sollen die bestehenden
Anlagen rund um den „Fliegenden Holländer“ zuschauerfreundlicher werden,
ein Besucherzentrum , neue Tribünen, Treppen und ein neues
Hafenmeistergebäude könnten entstehen. So steht es im Grobkonzept.
Nachdem die Konkurrenten ausgestochen worden waren, hatte Kiel daher Ende
Mai auf die Schnelle eine Art Blitz-Beteiligungsverfahren initiiert. Eine
große Gegenbewegung gab es damals noch nicht. Die Stadtverwaltung suchte
die Skeptiker noch vor dem Bürgerentscheid für sich einzunehmen. Zwei
Wochen lang tourte eine Agentur im Auftrag der Stadt durch die Stadtteile
und sammelte Bürgerideen zum Projekt. Sie sollten in der geplanten
Machbarkeitsstudie berücksichtigt werden. Und genau das war der Moment, in
dem Planer Schmuck riet, das Grobkonzept mehr oder weniger zu ignorieren.
„Fix ist das, was da ist“, sagt er. Der Planungsprozess sei ganz offen.
## 1.000 Gespräche in zwei Wochen Beteiligung
Zum Auftakt des Beteiligungsprozesses kamen fast so viele Mitarbeiter der
Stadtverwaltung ins Rathaus wie Bürger. Viele Segelfans waren dabei, aber
kaum Leute, die das Projekt grundsätzlich ablehnten. Die Bilanz der
Beteiligung war gut: 300 ausgefüllte Fragebögen zu Wünschen und Erwartungen
an den Olympiastandort sowie „1.000 Gespräche“. Zum Vergleich: In Kiel
leben 240.000 Menschen.
Auch Ruheständler Reinhard Penner war Ende Mai zum Beteiligungsverfahren
ins Kieler Rathaus gekommen. Er hatte Olympia 1972 mitbekommen und
schwärmte von der Aufbruchstimmung. „Das hat uns sehr geholfen bei der
Infrastruktur“, sagt er. Eine neue Brücke über den Kanal, eine große Stra�…
nach Schilksee, den Autobahnanschluss habe es gegeben. Viele eigene
Anregungen hatte er nicht für die Planer. „Die Leute sind Profis“ fand er.
Und: „Baulich geht in Schilksee nicht viel.“ Dann fiel ihm doch etwas ein:
Ob man nicht mit Schiffen arbeiten könne? Für die Zuschauer oder für das
olympische Dorf?
An einer Infostation stand an diesem Abend Stefan Rodau, Ratsherr der
Linken in Kiel. Er begutachtete, was die Agentur im Namen der Stadt
zusammengetragen hatte. Er lehnt die Kieler Olympia-Bewerbung bis heute ab.
Ihn stören unter anderem die undemokratischen Strukturen des IOC und die
Kosten von Bewerbung und Ausrichtung der Spiele. „Wir streiten sonst um
10.000 Euro für Projekte im Rat“, sagt er. Aber für die Bewerbung würden
800.000 Euro bereitgestellt – allein für die offiziellen Unterlagen und die
Ausrichtung des Bürgerentscheids im November. Auch das Land gibt übrigens
Geld aus für die Bewerbung: Zwei Millionen Euro stellt es für die
Ausrichtung internationaler Segelwettbewerbe in Kiel zur Verfügung.
Doch wie teuer die Ausrichtung für Kiel wäre, ist noch unklar. Sie lässt
sich erst beziffern, wenn man weiß, was genau neu- und umgebaut werden
muss. Kritiker befürchten, dass das Geld dann für Projekte in Stadtteilen
fehlt, in denen nicht so wohlhabende Menschen wohnen. Sie fordern eine
präzise Kostenschätzung – und zwar vor dem Bürgerentscheid.
Im Olympiazentrum Schilksee lebt seit mehr als 30 Jahren Hans-Otto
Schröder. Er hat eine Wohnung im Fliegenden Holländer und ist großer Fan
der neuerlichen Olympia-Bewerbung. Das liegt auch an seiner eigenen
Geschichte: Der Ruheständler hat 1972 im Schilkseer Olympiapostamt
gearbeitet. „Ich habe gesehen, was wir 1972 alles bekommen haben“, sagt er.
Auch er erzählt von den neuen Straßen und modernisierten Plätzen. „Kein
Kieler Bürger hat dafür mehr gezahlt“, behauptet er. Schließlich hätten
Bund und Land die Ausbauten finanziert.
Schröder wirbt auch bei seinen Nachbarn um Zustimmung für das Projekt. Er
ist Beisitzer im Verwaltungsrat der Eigentümerversammlung. Es habe zunächst
einige Aufregung gegeben – wegen des geplanten Bauplatzes für das neue
olympische Dorf direkt hinter dem alten, sagt Schröder. Doch das Problem
scheint vorerst aus der Welt. Jüngsten Skizzen zufolge wollen die Planer
das Olympische Dorf auf einem alten Campingplatz errichten.
12 Jul 2015
## AUTOREN
Daniel Kummetz
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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