| # taz.de -- Der korrekte Girls-Roman über Fußball: Die coolen Kerlinnen | |
| > In Fußballbüchern für Kinder wimmelt es nur so vor starken Mädchen und | |
| > pädagogisch wertvollem Kram. Die taz will da nicht hintanstehen. | |
| Bild: Schülerinnen vom Projekt „Kicking Girls“ in München | |
| Ja, schon klar. Kia war raus aus dem Alter, in dem man einfach zu schreien | |
| anfängt, sich hinschmeißt und mit den Fäusten in einer Intensität auf den | |
| Boden trommelt, als würde man eine Karriere als Drummer in einer | |
| Heavy-Metal-Band anstreben. Sie wusste, dass ihr nichts anderes übrig | |
| blieb, als in dieses verdammte Auto mit den vielen Auspuffrohren | |
| einzusteigen, unter dem ihr Vater beinahe jede Minute seiner Freizeit | |
| verbrachte. | |
| Sie wusste, dass sie sich gegen diese Fahrt nicht würde wehren können. Sie | |
| wollte nicht heulen, aber ihre Tränen stürzten aus ihren Augen, wie das | |
| Wasser an den Niagarafällen, in deren Nähe die besten deutschen | |
| Fußballerinnen sich gerade anschickten, den dritten Stern für ihr Trikot zu | |
| erobern. Sie heulte, weil sie an ihre Großeltern denken musste, die vor | |
| einem Jahr bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren und weil sie | |
| sich immer noch darüber ärgerte, dass sich ihr Vater von ihrer Mutter | |
| getrennt hatte. | |
| Sie heulte auch, weil sie Angst hatte, nun nie wieder ein Spiel der von ihr | |
| so verehrten Helden des SV Werder Bremen im Stadion miterleben zu können. | |
| Vor allem heulte sie, weil sie sich sicher war, dass ihre Karriere als | |
| Fußballerin, die sich gerade so gut angelassen hatte, schon wieder vorbei | |
| war. | |
| Kia war der Star ihrer Mannschaft. Vor einer Woche noch hatte sie diese | |
| eingebildeten Möchtegernsuperkicker, die zu allem Überfluss in Trikots des | |
| FC Bayern München gespielt haben, fast im Alleingang besiegt. Ihre Girls of | |
| Gröpelingen hatten die berüchtigten Osterholzer Holzer mit 8:7 geschlagen. | |
| Sieben Tore hatte Kia beigesteuert und in der Nacht danach davon geträumt, | |
| wie sie sich mit Cristiano Ronaldo in einem schicken Madrider Restaurant | |
| über die schönsten Tore, die sie geschossen haben, unterhalten hat. | |
| Und jetzt – die Tränen liefen immer noch – war ihr von den Girls of | |
| Gröpelingen nichts weiter geblieben als die Mitgliedschaft in der | |
| gemeinsamen WhatsApp-Gruppe. „Alles scheiße!“, postete sie. Und: „Morgen | |
| mehr aus Nürnberg, diesem verdammten Zweitligakaff.“ | |
| ## Seit dem 15. Jahrhundert nichts passiert | |
| Nach zwei Wochen in dieser Stadt, in der die Menschen keine harten | |
| Konsonanten kennen und das R so rollen, wie sie es nur von den Spielern des | |
| spanischen Nationalteams kannte, war Kia immer noch nicht so recht | |
| angekommen in ihrer neuen Heimat. Heimat! Dass sie diese Stadt, in der | |
| nicht mehr viel passiert zu sein schien, seit die Hohenzollern im 15. | |
| Jahrhundert der Stadt den Rücken gekehrt haben, jemals als Heimat | |
| bezeichnen würde, konnte sie sich nicht vorstellen. | |
| Ja, ihre Lehrerin, Frau Führmann, war ganz nett, auch wenn deren | |
| Lippenstift zu rot für ihr Alter war – fast so rot wie der Ferrari von | |
| Mario Gomez. Ihrer neuen Klassenlehrerin war gleich an ihrem ersten | |
| Schultag der Werder-Aufkleber auf ihrem Schulranzen aufgefallen. Doch ihre | |
| Idee, der neuen Schülerin mit einem Referat über ihren Lieblingsklub einen | |
| guten Start zu verschaffen, ging ungefähr so gründlich in die Hose wie die | |
| letzte Saison von Borussia Dortmund. | |
| Statt Anerkennung erntete Kia Gelächter. Ein Mädchen will uns etwas über | |
| Fußball erzählen! Vor allem dieser Aufschneider aus der letzten Reihe, der | |
| doch tatsächlich jeden Tag mit einer neuen Basecap in der Schule auftaucht, | |
| wollte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Und die anderen Jungs lachten | |
| natürlich mit. Und irgendwann haben auch ein paar Mädchen mitgelacht. Und | |
| als beinahe alle lachten, wusste Kia, was nun gleich kommen würde: „Was ist | |
| grün und stinkt nach Fisch …“ | |
| ## Autogrammkarten für Zehnjährigen | |
| Nur Fatma, das schüchterne Mädchen mit dem Kopftuch, das neben ihr saß, | |
| stimmte nicht mit ein in diesen hässlichen Chor. Fatma war es auch, die Kia | |
| erklärte, dass der Kappentyp der vielleicht beste Fußballspieler seines | |
| Alters in der Stadt ist. „Fast alle Mädchen lieben ihn“, meinte sie und | |
| blickte selbst ein wenig verträumt drein. | |
| Kia wusste bald alles über diesen Lukas, der die Klasse gegen sie | |
| aufgewiegelt hatte. Mit seinem Klub, den Kaiserburg Kaiserchiefs, hatte er | |
| noch nie ein Spiel verloren, er schoss die meisten Tore und sein Vater, | |
| einer der reichsten Nürnberger Industriellen, hatte sogar schon | |
| Autogrammkarten für seinen zehnjährigen Sohn drucken lassen. | |
| Kia wusste sofort, was zu tun ist. Sie wollte es den Kaiserchiefs zeigen, | |
| beweisen, dass es jetzt eine bessere Fußballerin in der Stadt gibt, als es | |
| dieser Lukas je werden würde. Sie dachte daran, was ihre Mutter ihr gesagt | |
| hat, als sie sie das letzte Mal in der Entziehungsklinik besucht hatte, wo | |
| sie wieder einmal vergeblich versuchte, ihre Alkoholkrankheit in den Griff | |
| zu bekommen. „Wenn du willst, dass es dir einmal besser geht, sorge dafür, | |
| dass dein Wille nie erlahmt.“ | |
| ## Das coolste Stadion | |
| Und sie machte sich an die Arbeit. Sie machte Fatma, die schnell zu einer | |
| echten Freundin wurde, zu ihrer Assistentin. Deren Großonkel Murat, der | |
| wahrscheinlich türkischer Nationalspieler geworden wäre, wenn er nicht von | |
| seiner Familie zum Arbeiten nach Deutschland geschickt worden wäre, baute | |
| in nur zwei Tagen das coolste Stadion, das Kia je gesehen hatte. Der | |
| gelernte Bautischler, der längst in Rente war, zimmerte zwei Tore und | |
| verankerte sie auf einer Brachfläche, von der niemand gedacht hätte, dass | |
| sie sich so schnell in einen echten Bolzplatz verwandeln ließ. | |
| Ein alter Bauwagen, den Kia und Fatma mit Möbeln vom Sperrmüll | |
| einrichteten, war ihre Kabine. Als Murat den Wagen Kia zuliebe in den | |
| Farben grün und weiß anstrich, schickte die Neu-Nürnbergerin eine Message | |
| an ihre Bremer Girls: „Ihr glaubt es wahrscheinlich nicht, aber es sieht so | |
| aus, als würde ich das Ganze hier doch überleben.“ | |
| Das Posting hatte auch damit zu tun, dass es ihr gelungen war, aus der | |
| schüchternen Lara, die sich am liebsten den ganzen Tag in den Untiefen der | |
| lateinischen Sprache aufhalten würde, eine Torhüterin ohne Furcht und | |
| Schrecken zu machen, die schnell den Spitznamen Panther hatte. | |
| Und es hatte damit zu tun, dass sie die kleine Julia, die so aussah, als | |
| würde sie sich jeden Morgen das halbe Sortiment eines Drogeriemarkts ins | |
| Gesicht schmieren, zur eisenharten Verteidigerin umgeschult hatte. Dass | |
| sich die forsche Frieda, diese Tochter aus besserem Hause, die zum ersten | |
| Training mit Reitstiefeln gekommen war, als wahre Wucht im defensiven | |
| Mittelfeld erwiesen hatte. Und dass ihre Freundin Fatma eine Sturmgöttin | |
| war. | |
| ## Die Caesars Girls | |
| Sie hatte ein Team geformt. Die Jungs hatten zwar geprustet, als die | |
| Mädchen sie herausgefordert haben, doch der Termin stand. Das Spiel würde | |
| steigen. Kia war sich sicher, dass sie mit ihrer neuen Elf gewinnen würde: | |
| den Caesars Girls. Sie fühlte sich unschlagbar. | |
| Am Tag nach dem großen Duell konnte Kia lange nicht einschlafen. Immer | |
| wieder spielte sie in Gedanken ihren Siegtreffer nach: ihren Sololauf, die | |
| Jungs, die mit einem mal nicht viel mehr für sie waren als Slalomstangen, | |
| der finale Tunnel gegen den Oberangeber dieser oberarroganten Oberfuzzis, | |
| am Ende der fein gezirkelte Schuss, wie ihn Zlakto Junuzovic vom SV Werder | |
| nicht besser platzieren könnte und schließlich ihr Torjubel Marke Cristiano | |
| Ronaldo. | |
| Als sie eingeschlafen war, sah sie sich wieder in diesem schicken | |
| Restaurant in Madrid. Der Typ, der ihr gegenüber saß, streichelte ihr | |
| zärtlich über den Handrücken. Was für ein Traum! Doch irgendetwas stimmte | |
| da nicht. Der Typ war ein Kaiserchief. Der Typ war Lukas. | |
| 24 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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