# taz.de -- Fotoausstellung „Exil“ in Hamburg: Seelenlandschaften des Exils | |
> Der Ur-Urenkel von Richard Wagner nähert sich mit seinen Fotos komplex | |
> biographisch und erfrischend offen dem Thema Migration. | |
Bild: „Exil“-Fotos im Hamburger Museum für Völkerkunde. | |
HAMBURG taz | Migration ist kein Spiel. Sie ist nicht lapidar, und sie ist | |
legitim - egal, wie scharf Politiker das auseinander dividieren. Hartnäckig | |
suchen sie „politische“ von Wirtschaftsflüchtlingen zu trennen. Sie | |
trommeln, Armut sei kein Auswanderungsgrund und die Industrienationen | |
hätten ihren Wohlstand schließlich verdient. | |
Dieser Selbstgefälligkeit stellt sich die aktuelle Fotoausstellung im | |
Hamburger Museum für Völkerkunde mit dem schlichten Titel „Exil“ | |
erfrischend offen entgegen. Dafür wählt sie einen Zugang, der so komplex | |
biographisch ist wie die Lebensgeschichten derjenigen, die sie porträtiert. | |
Fotograf der Schau ist nämlich Antoine Wagner, Ur-Urenkel des Komponisten | |
Richard Wagner. | |
Der lebte von 1849 bis 1858 im Schweizer Exil, weil er in Dresden | |
steckbrieflich als Revolutionär gesucht wurde. In Zürich verfasste Richard | |
Wagner einige seiner wichtigsten kunsttheoretischen Schriften und wichtige | |
Teile der Opern „Tristan und Isolde“ und „Der Ring des Nibelungen“. | |
Nebenbei erwanderte er die Schweizer Berge. | |
Das hat vor ein paar Jahren auch sein Ur-Urenkel Antoine Wagner getan, | |
selbst interkulturell in Großbritannien und Frankreich aufgewachsen, | |
sechssprachig und inzwischen in den USA zuhause. Er wollte dem Großvater | |
näher kommen und spüren, was die gigantischen Gebirgslandschaften in dem | |
Komponisten ausgelöst hatten. | |
## Wurzellos | |
Auch Antoine Wagner Heimat- und Rastlosigkeit vertraut. „Ich habe mich nie | |
irgendwo zuhause gefühlt“, sagt er. „So findet man sich zwar überall | |
schnell zurecht, hat aber auch keine Wurzeln.“ | |
Um mit dieser Empfindung nicht allein zu bleiben und die seelischen | |
Veränderungen beim kulturellen Transit auszuleuchten, hat er Künstler | |
aufgesucht, die in Hamburg im Exil leben. Er hat mit ihnen gesprochen und | |
sie fotografiert, und dabei geht es natürlich auch um Heimat, den Gegenpol | |
von Migration. Das sei etwas sehr Komplexes, sagt Antoine Wagner: „Einige | |
Menschen behalten den schweren Anker ihrer Heimat und fahren dadurch | |
langsam. Andere lassen den Anker los und hören nicht auf zu fahren, wieder | |
andere werfen den Anker und wollen sich nie mehr bewegen.“ | |
Antoine Wagners Anker sind die Bergfotos, mal scharf geschnitten | |
dokumentarisch, mal als im Nebel verschwimmende Silhouette, alten | |
chinesischen Gemälden gleich. Stets ist der Mensch winzig, und dass das ein | |
romantischer Ansatz ist: den Berg als etwas innerlich zu Bearbeitendes, als | |
Symbol für Hürden aller Art, für Sehnsuchtsorte auch zu begreifen – das | |
weiß Antoine Wagner selbst. Auch, dass einige seiner Fotos an die | |
verschwommenen Gemälde William Turners erinnern. | |
Warum sie aber neben Exilanten aus dem Iran, Irak, aus Guatemala, Vietnam, | |
China und Afghanistan hängen: Dieses Rätsel muss der Betrachter selber | |
lösen in dieser Schau, die geschickt zwischen Einzel- und | |
Kollektivschicksal changiert. Lebensgroß hängen die Künstler da, vor | |
neutral grauem Hintergrund wie auf einem offiziellen Pass- oder | |
Einreisefoto. Diese ödgraue Folie ist so heimatlos wie die Menschen, die | |
wie ein verlorenes Puzzleteil nirgendwo hineinpassen und auch in der | |
aalglatten Bürokratie nicht Fuß fassen können. | |
## Authentische Statements | |
Das Ganze ist eine Recherche mit offenen Fragen, und sie gelingt: In | |
kurzen, authentischen, aber nicht larmoyanten Statements zitiert er aus | |
Gesprächen mit den Porträtierten. Da fallen Sätze wie „Ich bin wütend, we… | |
ich im Exil ein großes Stück Freiheit eingebüßt habe“, oder „Es gab | |
Gehübungen, da sollte ich ,deutsch‘ gehen“. Oder auch: „Ich wurde so | |
angeschaut, dass ich dachte, mit mir stimmt etwas nicht. Erst nach fünf | |
Jahren habe ich gespürt: Du musst dich anpassen. Aber vergiss nicht, wer du | |
bist – lass deine Gefühle nicht kolonialisieren.“ | |
Kolonialismus ist überhaupt ein gutes Stichwort für die Schau in einem | |
Völkerkundemuseum, das im 19. Jahrhundert vom Kolonialismus profitierte, | |
allerdings sehr bemüht ist, alle verbliebenen juristischen Zweifelsfälle zu | |
klären. Die Entkolonialisierung in den Köpfen ist schwerer: Ganz | |
unversehens gerät man in dieser Schau in die Unterteilung zwischen „wir“ | |
und „ihr“; in den kolonialen Blick auf die Fremden dort auf den Fotos. | |
Aber sie sind nicht so fern, wie man meint. Sie blicken einem wie aus einem | |
Spiegel entgegen, und wenn der Künstler die „Politischen“ größer | |
porträtiert als die „Wirtschaftsflüchtlinge“, stellt er dem Besucher | |
abermals eine Falle – spontan zu denken: „Ah ja, jetzt kommen noch ein paar | |
Wirtschaftsflüchtlinge, aber die sind ja nicht so wichtig.“ Es ist nur ein | |
kurzer Moment des selbstreflexiven Erschreckens. Aber er wirkt. | |
## Texte von Exilautoren | |
Abgesehen davon thematisiert Wagne, wo man sich befindet: im Land der | |
einstigen Nazi-Diktatur, die Millionen Menschen ermordete, andere ins Exil | |
trieb. An zwei Hörstationen kann man Texten von Exilautoren lauschen, die | |
zwischen 1933 und 1945 entstanden. Carl Zuckmayer, Franz Werfel, Hilde | |
Domin, Rose Ausländer, Walter Benjamin sind darunter. | |
Der polnische Historiker Jan Piskorski wird im Ausstellungstext mit dem | |
Satz zitiert, Migration sei das Salz in der Geschichtssuppe, weil sie | |
Dynamik und gesellschaftliche Veränderungen im Zielland auslöse. „Es | |
hinterlässt unheilbare Wunden, die nicht selten zum Ursprung neuer | |
Schöpfungen werden.“ | |
Manchmal funktioniert das. „Für mich ist das kein Defizit, eher eine | |
Ressource: mich in zwei Denk- und Weltbild-Systemen auszukennen, sie | |
authentisch zu verstehen, auch dort, wo ich nicht derselben Meinung bin“, | |
sagt die 22-jährige Illustratorin Hilal Moshtari, die vor dem Krieg in | |
Afghanistan nach Hamburg floh. „Dafür müssen andere jahrelang studieren.“ | |
„Exil. Photographien von Antoine Wagner“: noch bis 4. Oktober, Hamburg, | |
Museum für Völkerkunde | |
25 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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