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# taz.de -- Kommentar Odenwaldschule: Neugründung verpasst
> Die Reformschule hätte sich viel eher radikal reformieren und neu gründen
> müssen. Zum ihrem Aus gibt es keine Alternative.
Bild: Die Odenwaldschule schließt zum Schuljahresende.
Die Schließung der Odenwaldschule ist überfällig. Es ist der Leitung nicht
gelungen, die notwendigen Konsequenzen aus den Missbrauchsfällen zu ziehen.
Die Odenwaldschule – liebevoll Oso – genannt, schließt zum Schuljahresende.
Ein Schritt, der schon vor 17 Jahren fällig gewesen wäre.
Als 1998 erstmals ehemalige Schüler öffentlich darüber berichteten, von
ihrem damaligen Schulleiter Gerold Becker in den 70er und 80er Jahren
sexuell missbraucht worden zu sein, hätte die Schule diese Berichte ernst
nehmen und eine unabhängige Untersuchung einleiten müssen. Das Ergebnis
hätte nur eine Radikalreform sein können, das heißt, man hätte die Schule
schließen und von Grund auf neu gründen müssen.
Denn das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule, das ab
2010 ans Licht kam, ging weit über die vereinzelten Tatschereien eines
pädophilen Lehrers hinaus. Über 130 Fälle, die bis in die 90er Jahre
reichen, haben zwei von der Schule beauftragte Juristinnen dokumentiert.
Über 130 Schüler, die von Becker und neun weiteren Lehrern zu sexuellen
Handlungen genötigt wurden. Die Taten sind verjährt – Becker und ein
weiterer Haupttäter starben, ohne dass sie strafrechtlich belangt wurden.
Die Aufarbeitung blieb 1998 aus.
## Schule tat sich mit Konsequenzen schwer
Vor fünf Jahren wäre ein weiterer guter Zeitpunkt gewesen, die Schule zu
schließen und nach einer Schamfrist neu zu gründen. Auch diese Gelegenheit
wurde verpasst. Zwar war es die damalige Schulleiterin Margarita Kaufmann
selbst, die zum 100. Schuljubiläum und aufgrund neuer Medienberichte,
beschlossen hatte, dass die Schule die Vergangenheit durchleuchten und sich
den schmutzigen Details stellen müsse. Doch die Schule tat sich schwer,
notwendige Konsequenzen zu ziehen und ihr pädagogisches Konzept mit seiner
bedenklichen Nähe zum Kind zu überdenken.
Die Gepflogenheit, wonach die Lehrer die Wohngruppen der Internatschüler
als Familienoberhäupter leiten, gab die Schule erst 2014 auf. Obwohl gerade
dieses Familienprinzip als begünstigender Umstand für den sexuellen
Missbrauch von Schutzbefohlenen gilt. Als im gleichen Jahr ein Lehrer
aufflog, der Kinderpornos heruntergeladen hatte, war die Schule im freien
Fall. Der Crash ist hart, überrascht aber nicht.
Was bleibt? Schüler, die eine neue Schule und Lehrer, die einen neuen Job
finden müssen. Eine Reformpädagogik, deren lädierter Ruf auf dem Weg der
Genesung ist. Längst gibt es nämlich andere integrierte Gesamtschulen, die
die pädagogisch wegweisenden Elementen der Oso – das Kursprinzip, die
individuelle Förderung, die Möglichkeit parallel einen Beruf zu erlernen –
übernommen haben. Ohne den Verdacht, sexualisierte Beziehungen zu
praktizieren. Und Menschen, die als Kinder und Jugendliche Traumata
erlebten, von denen sie sich vielleicht nie erholen werden.
17 Jun 2015
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Odenwaldschule
Bildung
sexueller Missbrauch
Insolvenz
Odenwaldschule
Odenwaldschule
sexueller Missbrauch
Reformpädagogik
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