# taz.de -- Alternative zum Hochschulranking: Ganz ohne Punkte | |
> CHE-Hochschulranking? Ohne uns, sagen Soziologen und Historiker und | |
> betreiben eine eigene Plattform mit Infos zu ihren Studiengängen. | |
Bild: Studium.org informiert auch über die Sonnentage am Studienort. | |
BERLIN taz | Maja hat gerade Abi gemacht, im Herbst will sie anfangen zu | |
studieren. Vielleicht Geschichte, das Fach hatte sie als Leistungskurs in | |
der Schule belegt und außerdem liest sie gern historische Romane. Noch bis | |
Mitte Juli kann sie sich für besonders nachgefragte Studiengänge mit | |
Zulassungsbeschränkung bewerben. Sie registriert sich also bei der nach | |
eigenen Angaben umfassendsten Datenbank für Studiengänge in Deutschland, | |
dem CHE-Hochschulranking, welches vom Centrum für Hochschulentwicklung und | |
der Wochenzeitung Zeit betrieben wird. | |
Maja gibt in die Suchmaske „Geschichte“ ein und bekommt eine lange Tabelle | |
mit Hochschulen, hinter denen jeweils grüne, gelbe oder blaue Punkte | |
stehen. Grün steht für Spitzengruppe, Gelb für Mittelklasse und Blau für | |
Schlussgruppe. Mit einem Klick kann sie die Liste so anordnen, dass die | |
Unis mit den meisten grünen Punkten ganz oben stehen. So weit, so einfach. | |
Aber als sich Maja genauer informieren will, stößt sie auf eine Mauer des | |
Schweigens: „Dieser Fachbereich liefert keine Daten für das CHE | |
Hochschulranking“, steht als Bemerkung hinter vielen Einträgen. | |
## Die Sache mit den Punkten | |
Daten zu ihren Studiengängen stellen die meisten geschichts- und | |
mittlerweile alle sozialwissenschaftlichen Institute seit einem Jahr auf | |
studium.org ein. Auf dieser Internetplattform, betrieben von der Deutschen | |
Gesellschaft für Soziologie (DGS) und dem Historikerverband, finden | |
angehende Geschichtswissenschaftlerinnen wie Maja und künftige Soziologen | |
Informationen zu fast allen Studiengängen der beiden Fachbereiche. | |
Allerdings ohne grüne, gelbe oder blaue Punkte. „Studium.org hat eine | |
andere Philosophie“, sagt der Vorstandvorsitzende der DGS, Stephan | |
Lessenich, Soziologieprofessor an der Universität München. „Wir setzen | |
nicht auf Rankings, sondern auf Inhalte.“ | |
Während die Studentin Maja fiktiv ist, ist die neue Informationsplattform | |
real. So real wie die Auseinandersetzung, die zu ihrem Start führte. | |
Seit 1998 vergleicht das CHE Studiengänge mit der Ampelmethode. Dazu zählt | |
es zum Beispiel, wie viele Abschlüsse in der Regelstudienzeit erreicht | |
werden, und kombiniert diese Daten mit Befragungen von Studierenden, etwa | |
nach dem Engagement ihrer Dozenten. Je nach erreichter Punktzahl werden die | |
Studiengänge dann in einer Art Bundesligatabelle gerankt – Spitze, | |
Mittelfeld und Schlussgruppe. | |
Die Erhebung sei methodisch fragwürdig, die Ergebnisse seien pauschal und | |
irreführend, so das harsche Urteil der Soziologen, als sie das CHE-Ranking | |
genauer untersuchten. So reichen etwa bei kleineren Fächern schon 15 | |
ausgefüllte Fragebögen von Studierenden, um einen Studiengang als gut | |
studierbar oder unstudierbar einzustufen. Gemeinsam mit dem Verband der | |
Historiker und Historikerinnen entzog sich die DGS ab 2012 den Bewertungen | |
durch das CHE. | |
Ausgerechnet der vom CHE positiv gerankte Fachbereich Soziologie an der | |
Universität Jena unter dem damaligen Lehrstuhlinhaber Lessenich führte die | |
Rebellion an. | |
Auch andere Fächer mäkelten nun am CHE-Ranking herum. Die | |
Fachgesellschaften von Erziehungswissenschaftlern, Publizisten und | |
Kommunikationswissenschaftlern sowie Politologen rieten nun ebenfalls zur | |
Zurückhaltung, ganze Universitäten, wie Hamburg, Köln und Leipzig, stiegen | |
aus. Und das ohne gravierende Konsequenzen: „Die Anzahl der Studienbewerber | |
und das Drittmittelaufkommen sind seitdem immer weiter gestiegen“, teilt | |
der Sprecher der Uni Leipzig auf Nachfrage mit. | |
Das CHE reagierte auf die Kritik an seinem Ranking mit einer zehnseitigen | |
Erklärung und prognostizierte: Die Soziologie werde sich darauf einstellen | |
müssen, dass sie anstelle der „differenzierten CHE-Methode“ nun nach | |
„simplen Erkenntnissen“ anderer Rankings bewertet würden. | |
Dem allerdings kamen die Soziologen zuvor. Mit einem fünfstelligen Betrag – | |
der, so Lessenich, bisher größten Investition in der über hundertjährigen | |
Geschichte der DGS – ließ man das Portal [1][studium.org] entwickeln. Zum | |
kommenden Wintersemester muss es seine erste große Bewährungsprobe | |
bestehen. | |
## David gegen Goliath | |
Kann sich das junge Portal der Fachgesellschaften neben dem etablierten | |
CHE-Ranking behaupten, das von der Zeit im Internet und über den | |
100.000-fach gedruckten Studienführer publizistisch begleitet wird? Zahlen | |
dazu, wie viele Interessierte die Seite von studium.org anklicken, hat die | |
Leiterin der Geschäftsstelle Sonja Schnitzler bisher nicht parat. Die | |
Fachgesellschaften von Soziologen und Historikern finanzieren das Portal | |
aus den Beiträgen ihrer Mitglieder. Damit sich das studium.org finanziell | |
trägt, müssten sich auch andere Fachgesellschaften beteiligen. | |
Zumindest grafisch hat sich die Investition bereits gelohnt. Die historisch | |
interessierte Maja kann auf studium.org einen Geschichtsstudiengang nach | |
ihren Wünschen suchen: Begeistert sie sich eher für Europäische oder | |
Agrargeschichte, wie viel Professuren soll der Studiengang haben. Auch | |
weiche Kriterien können in die Wahl des passenden Studienortes einfließen: | |
der regionale Mietspiegel, die Kinodichte oder die Zahl der Sonnenstunden | |
pro Jahr. | |
Ob das Fach im bundesweiten Vergleich top ist, erschließt sich Majas | |
suchendem Blick jedoch nicht. Ein Nachteil, den die Initiatoren nicht nur | |
billigend, sondern bewusst in Kauf nehmen: „Wir halten Rankings für | |
ungeeignet, um die Qualität von Lehre zu messen“, meint Lessenich. | |
Auch in politischer Hinsicht hält die DGS Rankings für problematisch. Das | |
CHE-Ranking lade Ministerialbürokratien zu extrem simplifizierenden | |
Lesarten ein, auf deren Basis dann folgenschwere Entscheidung zulasten der | |
Soziologie gefällt würden. | |
Dabei war das CHE durchaus bereit, den Kritikern entgegenzukommen: Auf | |
Publikationszählungen und die Höhe der eingeworbenen Drittmittel, Merkmale, | |
die eher dafür sprechen, wie gut sich ein Fach nach außen verkauft, wollten | |
die CHE-Gutachter auf Wunsch verzichten. „Die Kritik hat sehr intensive | |
Diskussionen angeregt, und wir haben einiges verbessert“, meint Sonja | |
Berghoff, die beim CHE verantwortlich ist für die Studierendenerhebung. So | |
finde man im Ranking jetzt deutlich mehr beschreibende Elemente, die | |
Institute dürfen sich und ihre Arbeit in ergänzenden Kästen vorstellen. | |
Nach Gesprächen habe man viele Änderungswünsche umgesetzt, sagt Berghoff. | |
Die Politologen gewann man mit dieser maßgeschneiderten Bewertung wieder | |
zurück: Die Fachgesellschaft sprach im Februar die Empfehlung aus, wieder | |
ins CHE-Ranking einzusteigen. | |
## Beinharte Boykotteure | |
Die Soziologen ließen sich indes nicht überzeugen. Ende April erneuerten | |
sie ihren Boykottaufruf und riefen zur Teilnahme an studium.org auf. Die | |
Publizisten und Kommunikationswissenschafler wollen studium.org Ende des | |
Monats ebenfalls zur Außendarstellung nutzen; die Erziehungswissenschaftler | |
werden Anfang 2016 einsteigen. | |
Dass sich studium.org zur Konkurrenz für das CHE-Ranking entwickeln könnte, | |
glaubt indes nicht einmal Lessenich: „Wir sehen das Portal eher als | |
Ergänzung.“ In diesem Sinne will auch die Vereinigung für | |
Politikwissenschaft auf ihrer Mitgliederversammlung am 23. September über | |
eine ergänzende Teilnahme an studium.org abstimmen. Er hoffe, sagt | |
Lessenich, dass studium.org mittelfristig auch für Geistes-, Natur- und | |
Kulturwissenschaftler attraktiv werde. „Womöglich können sich studium.org | |
und das CHE-Ranking sogar ergänzen.“ | |
Die taz unterstützt studium.org als Medienpartner. | |
17 Jun 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.studium.org/ | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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