Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Diskussionen über Rot-Rot-Grün: Patient im Wachkoma
> Regieren ohne Merkel: Nach Gregor Gysis Abschied wird wieder viel über
> ein Linksbündnis im Bund 2017 spekuliert. Aber warum eigentlich?
Bild: Passt da noch eine Wagenknecht daneben?
Die Diskussion über Rot-Rot-Grün gleicht einem Patienten im Wachkoma, um
den drei überforderte Pfleger herumspringen. Sie suggerieren
Betriebsamkeit, doch in Wirklichkeit will keiner von ihnen helfen. Bei SPD,
Grünen und Linkspartei ist es gerade wieder en vogue, über ein linkes
Bündnis zu raunen, das Kanzlerin Angela Merkel 2017 ablösen könnte. Schadet
der Abschied des großen Moderators Gregor Gysi? Nutzt er, weil das Duo
Wagenknecht und Bartsch die Liebe der Linken zur Macht kitzeln kann? Sind
die Neuen in der Lage, zwei verfeindete Parteiflügel in eine Regierung zu
führen?
All das sind interessante Fragen. Aber Rot-Rot-Grün scheitert nicht nur an
der Linkspartei, an ihrer weltfremden Außenpolitik, an ihrem
oppositionsverliebten Fundi-Flügel und an zwei Führungsfiguren, die sich
wenig zu sagen haben. Auch SPD und Grüne arbeiten nicht ernsthaft auf das
Ziel hin, ein Bündnis ohne Merkel vorzubereiten. Deshalb spricht sehr viel
dagegen, dass der Komapatient pünktlich zum Leben erwacht. Das Linksbündnis
fällt aus, so kein Wunder geschieht. Eine Mehrheit in der wählenden
Bevölkerung wird nicht in Politik umgesetzt, und eine ganze
Politikergeneration ist dafür verantwortlich.
Alle Spitzenleute zeigen trotzig auf die anderen, allein das ist
symptomatisch. Sigmar Gabriel findet, die Linke müsse bei
Bundeswehreinsätzen springen (womit er recht hat). Gregor Gysi sagt, die
Sozis seien schuld mit ihrem wirtschaftsfreundlichen Kurs (womit er recht
hat). Und die Grünen nölen, dass SPD und Linke erst mal ihre Feindschaft
klären müssten (womit sie recht haben).
Die Möchtegern-Partner haben sich in dieser Daueranklage bequem
eingerichtet. Ein strategisches Nachdenken über Unterschiede und
Gemeinsamkeiten findet in den Parteispitzen nicht statt. Stattdessen reden
sich Hinterbänkler in Thinktanks die Köpfe heiß, um dann Protokolle zu
schreiben, die keiner liest.
Gabriel sucht den Erfolg in der bürgerlichen Mitte und kippt dafür linke
SPD-Positionen, etwa bei der Vorratsdatenspeicherung, beim
Freihandelsabkommen oder in der Steuerpolitik. Eine konservativ agierende
SPD, die Merkel im Bürgertum attackiert, könnte für Rot-Rot-Grün sogar
hilfreich sein, weil eine Arbeitsteilung der drei Parteien das
Stimmenpotenzial maximiert.
## Widerspruch erkennen und auflösen
Gleichzeitig macht ein solcher Kurs die Annäherung an die Linke
schwieriger. Diesen Widerspruch müssten führende SPDler erkennen und
auflösen. Aber viele von ihnen funken nur ein Signal nach links:
Verachtung. Teile der SPD glauben auch nach zweieinhalb Jahrzehnten noch
daran, dass die Linke wieder von der politischen Bühne verschwindet.
Verachtung aber ist das Schlimmste. Verachtung tötet Vertrauen.
Und die Grünen? Ihre Wähler- und Funktionärsmilieus trennen Welten von
denen der Linken. Bürgerliche Ökohedonisten und Rentner mit DDR-Biografie
und beigefarbenen Jacken haben kaum etwas gemeinsam. Cem Özdemir und Katrin
Göring-Eckardt werden die Linie 2017 bestimmen, beide hegen eine tiefe
Abneigung gegen Rot-Rot-Grün – aus inhaltlichen, habituellen und
biografischen Gründen. Weitaus bequemer ist es ja auch, unter Merkels
Flügel zu kriechen. Zwar tun Spitzengrüne nach wie vor so, als sei
Rot-Rot-Grün neben Schwarz-Grün eine ebenbürtige Option. Diese Erzählung
ist aber eher eine Beruhigungspille für die merkelkritische Basis, sie
folgt nicht echter Überzeugung.
Zum Schluss muss man sich den Bundestagswahlkampf 2017 vor Augen führen.
Hielte sich ein Kanzlerkandidat Gabriel das Bündnis mit den Linken offen,
bräche ein Sturm los. Union, Wirtschaftsverbände und konservative Medien
täten so, als drohe der Kommunismus. Diese Kampagne hat schon 2013
funktioniert, als SPD und Grüne Steuererhöhungen für Reiche vorschlugen.
Diesmal wäre das Gebrüll noch lauter. Und das soll das Quartett infernale –
Gabriel, Özdemir, Göring-Eckardt und Wagenknecht – aushalten? Das glaube,
wer mag.
13 Jun 2015
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Cem Özdemir
Berlin
Sigmar Gabriel
Katrin Göring-Eckardt
Gregor Gysi
Sahra Wagenknecht
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Vorratsdatenspeicherung
Die Linke
Gregor Gysi
Die Linke
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Rot-Rot-Grün: Sportlicher Zeitplan
Wer 2017 Rot-Rot-Grün will, muss jetzt mit Gesprächen beginnen. Die
Reformer der Linkspartei machen das Gegenteil. Zielen sie auf 2021?
SPD und Vorratsdatenspeicherung: Parteikonvent stimmt zu
Trotz Kritik und Protesten: Der SPD-Parteikonvent stimmt mehrheitlich für
den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung von Heiko Maas.
Kommentar Linkspartei: Gemütliche Doppelspitze
Realos und Fundis können gut miteinander die Partei verwalten. Aber für
eine gemeinsame Vision zu streiten, haben sie sich noch nicht getraut.
Kommentar Gysi-Rückzug: Nun erst recht übers Regieren reden
Für die die Linke birgt der Rückzug von Gregor Gysi eine Chance. Die Partei
muss in ernsthafte Diskussionen um ihren Kurs einsteigen.
Parteitag der Linken: Der Abschied des Orakels
Gregor Gysi macht Ernst: Er gibt den Vorsitz der Bundestagsfraktion ab –
und hinterlässt seinen Nachfolgern einen Regierungsauftrag.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.