| # taz.de -- Abenteuergeschichte im 1. Weltkrieg: Karl May mit Happy End | |
| > Steffen Kopetzkys Roman „Risiko“ erzählt von einer Expedition des | |
| > Deutschen Reichs im Hindukusch. Mit viel Tod, Liebe und Zahnweh. | |
| Bild: Auf Seite 370 geht sie los, die abenteuerliche Afghanistan-Expedition. | |
| Die „Niedermayer-Hentig-Expedition“ sollte zu Beginn des Ersten Weltkrieges | |
| von Persien, Afghanistan und Indien aus einen „Dschihad“, einen heiligen | |
| Krieg, gegen die ungeliebte britische Kolonialmacht provozieren, um den | |
| britischen Kriegsgegner im Orient abzulenken und in Schach zu halten. Diese | |
| Reise bildet das Gerüst für Steffen Kopetzkys 731-Seiten-Roman „Risiko“. | |
| Oskar Niedermayer, der Leiter der Mission, hat die Reise 1925 in „Unter der | |
| Glutsonne Irans“ beschrieben. Das Buch gehört zu den Quellen, von denen | |
| Kopetzky im Nachwort sagt: „… da es eine Fiktion ist, wäre es unsinnig, all | |
| die Bücher, Texte und Dokumente zu nennen, die in den Roman eingeflossen | |
| sind.“ Kopetzky hat viele Details der Expedition fast wörtlich von | |
| Niedermayer übernommen, bis zu Auffälligkeiten wie „süßes Wasser“ für | |
| nichtsalziges Wasser. Das hat wohl noch keine Plagiatsqualität, aber | |
| Kopetzky hätte die Quelle schon nennen können. | |
| Trotz der vielen historischen Details ist es ein Roman, also Fiktion. | |
| Hauptfigur ohne historisches Vorbild ist Sebastian Stichnote, ein junger | |
| Marinefunker, Virtuose an der modernen „Telefunkenanlage“, der aber auch | |
| noch als „Schlagmeister“ mit Brieftauben umgehen kann. Eine Figur ohne | |
| echte Abgründe. Der zunächst als weiterer Protagonist eingeführte, viel | |
| spannendere Schweizer Journalist Adolph Zickler geht leider etwas unter. | |
| Liebe wurde auch untergebracht, so verliebt sich Stichnote im albanischen | |
| Durazzo in die schöne kluge Arjona, die er beim Granatapfelkauf auf dem | |
| Basar kennenlernt: „Sie hatte Lippen wie Obst.“ Eine Frau, wie sie in | |
| keinem Abenteuerfilm, der östlich Wiens spielt, fehlen darf. | |
| ## Dann kommt die Geschichte in Fahrt | |
| Auf der „SMS Breslau“ „in ihrer sechsschornsteinigen Granatenwucht“ erl… | |
| Stichnote den Beginn des Ersten Weltkriegs im Mittelmeer und gelangt | |
| schließlich nach Istanbul. Dort trifft er zufällig Arjona wieder und wird | |
| für die Afghanistan-Expedition angeworben. Auf Seite 370 geht die | |
| Expedition los. Damit kommt auch die Geschichte endlich in Fahrt. | |
| Wir begleiten die immer kleiner werdende Gruppe durch Wüsten und Gebirge, | |
| Durst und Krankheiten, erleben Angriffe von Räuberbanden und feindlichen | |
| Soldaten. Stichnote wird wegen seiner Zahnschmerzen opiumsüchtig und kommt | |
| vorübergehend seinem Trupp abhanden. | |
| Bis zum Aufbruch ist „Risiko“ eine zähe Lektüre. Zehn Jahre habe Kopetzky | |
| an dem Buch gearbeitet, dabei ist eine Flut von Informationen ins Buch | |
| gelangt, die nicht alle zielführend sind. Dazu manch Beschreibungsoverkill | |
| (Schnauzbärte, Mobiliar) und viele Schachtelsatzdesaster. | |
| ## Biene Maja, Brieftauben und Risiko | |
| Andererseits gibt der Autor etliche Hinweise auf Kommendes mit dem | |
| Zaunpfahl. Da staunt etwa Adolph Zickler in einem Krankenhaus über die | |
| moderne „Blutpumpe“, die ihm ein paar Kapitel später das Leben rettet. Den | |
| in die Mission eingeschleusten Spion „Gilbert-Khan“ lernt die Leserin schon | |
| vor der Abreise kennen und wird so um die Spannung betrogen. | |
| Dafür gibt es viele kleine Geschenke an den Leser der Gegenwart: So liest | |
| Stichnote Bonsels „Biene Maja“, ein Vertreter von „Moody’s Investors | |
| Service“ tritt auf und trinkt (ganz neu:) Coca-Cola, ein Fußballspiel | |
| Fenerbahce – Galatasaray findet statt, jemand bestellt per Brieftaube | |
| Bücher nach Isfahan, quasi Internethandel. Schließlich das titelgebende | |
| Spiel „Risiko“: Bei seinem Vorgesetzten, dem jungen Karl Dönitz, lernt | |
| Stichnote „das große Spiel“ kennen, ein Brettspiel, bei dem die Truppen des | |
| Gegners zu besiegen sind. Dönitz und Stichnote machen aus dem Spiel das, | |
| was wir als „Risiko“ kennen. | |
| Dabei ist das Buch stilistisch und in seinem Menschenbild ganz auf der Höhe | |
| der Zeit, in der es spielt: Da gibt es den getreuen Diener Jakob, der – bei | |
| Niedermayer wie bei Kopetzky – nur mit Vornamen genannt wird, die kluge und | |
| schöne Albanerin, „Spießgesellen“, denen „das Straßenräuberhafte im | |
| Gesicht“ anzusehen ist, und allerlei tapfere Kameraden und feinsinnige | |
| Orientalen. | |
| ## Wikipediahafte Beschreibungen | |
| Dazu der stets ergebene osmanische Freund: „Stichnote, bei dem der Mann, | |
| der wohl nur ein paar Jahre älter war als er selbst und doch schon | |
| dreifacher Vater war, stark sympathisierende Gefühle auslöste, versprach, | |
| sich bei der nächsten Gelegenheit für ihn einzusetzen, worauf der Dragoman | |
| noch einmal seine Hand ergriff und ihm mit leiser, ernster Stimme | |
| versprach, dass er sich – was auch geschehe – immer auf Faruk Erdöl werde | |
| verlassen können.“ Die Figuren bleiben trotz umfangreicher Beschreibungen | |
| klischeehaft, der Leser kommt ihnen nicht wirklich nahe. | |
| Nur, was will Kopetzky eigentlich erzählen? Für eine Weltkriegs-Geschichte | |
| sind die eingeflochtenen Berichte von der Front zu wikipediahaft. Das | |
| „Weihnachtswunder“ des ersten Kriegswinters und das französisch-deutsche | |
| Fußballspiel zwischen den Schützengräben sind allgemein bekannt, das | |
| Auftreten des Vaters von Albert Camus als algerisch-französischer Soldat | |
| ist eher Name-Dropping. | |
| Kopetzky baut zwar etliche kleine Brücken von 1914 nach 2015, von deutschen | |
| Waffenlieferungen bis zur Finanzkrise. Es fehlt die große Brücke von der | |
| deutschen Afghanistan-Mission zum heutigen Verhältnis Deutschlands zu den | |
| beteiligten Staaten, die Brücke vom Hof Habibullahs in Kabul zum 11. | |
| September 2001 und dessen Folgen. So bleibt eine sauber recherchierte, gut | |
| ausgeschmückte, aber überladene Abenteuergeschichte, Karl May de luxe, | |
| Happy End inklusive. | |
| 14 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Angela Leinen | |
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