# taz.de -- Unschuldig im Todestrakt: Haarsträubende Verhältnisse | |
> Dewayne Brown ist nun ein freier Mann. Zuvor saß er zwölf Jahre | |
> unschuldig in einer Todeszelle – in Texas, wo viele Hinrichtungen | |
> vollzogen werden. | |
Bild: Schließer im Todestrakt eines US-amerikanischen Gefängnisses. | |
Zwölf Jahre hat Dewayne Brown unschuldig in der Todeszelle im texanischen | |
Harris County gesessen – am Montag kam der 33-Jährige frei. Er ist seit der | |
Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1976 der 154. Todeskandidat, | |
der nach Jahren der Haft als unschuldig entlassen wurde. | |
Brown war schuldig gesprochen worden, im Rahmen eines Überfalls am Morgen | |
des 3. April 2003 einen Polizisten getötet zu haben. Zeugen wollten ihn | |
erkannt haben. Nur: Brown konnte es gar nicht gewesen sein, denn er befand | |
sich zu diesem Zeitpunkt im Apartment seiner damaligen Freundin, rief sie | |
sogar genau zur Tatzeit in ihrem Büro an. Das gaben beide auch an – doch | |
der Vorsitzende der Grand Jury, die über eine Anklage gegen Brown zu | |
entscheiden hatte, setzte Browns Freundin so lange unter Druck und bedrohte | |
sie, bis sie ihre Aussage widerrief und das Gegenteil behauptete. | |
Dieser Vorsitzende war zu dem Zeitpunkt selbst noch Polizist – und hätte in | |
einer Grand Jury, die ja aus zufällig ausgewählten BürgerInnen bestehen, | |
die Hypothesen der Ermittler überprüfen und so die Verdächtigen schützen | |
soll, überhaupt nichts zu suchen gehabt. Erst recht nicht, wenn es um den | |
Vorwurf der Tötung eines Polizisten geht. Wie sich herausstellte, gehörte | |
er regelmäßig verschiedenen Grand Jurys an. | |
In den meisten anderen Bundesstaaten hätten die haarsträubenden | |
Verhältnisse, die überhaupt zur Verurteilung Browns führten, den Gouverneur | |
zu einem vorläufigen Hinrichtungsmoratorium ermuntert. Beispiele dafür gibt | |
es, und immer mehr Bundesstaaten verabschieden sich gänzlich von der | |
grausamen und sinnlosen Todesstrafe. | |
Nicht so Texas, erst recht nicht Harris County. 116 Menschen wurden in | |
dieser Gemeinde seit 1976 hingerichtet – so viele wie in keiner anderen | |
Gemeinde der USA, ja mehr sogar als in irgendeinem Bundesstaat, mit | |
Ausnahme eben von Texas, das mit insgesamt 526 Hingerichteten für mehr als | |
ein Drittel aller 1.409 Exekutionen seit 1976 steht. | |
## 3.000 Gefangene in den Todestrakten | |
Im Fall Dewayne Brown gab es eine Reihe fataler Versäumnisse: Die | |
Aufzeichnung des Gesprächs, das Brown zum Tatzeitpunkt mit seiner Freundin | |
geführt hatte, und das klar sein Alibi hätte bestätigen können, lag den | |
Ermittlungsbehörden vor – sie gaben es aber nicht an die Verteidigung | |
weiter. Zeuge um Zeuge widerrief später seine Brown belastenden Aussagen, | |
die Hinweise auf den wirklichen Täter mehrten sich, doch Polizei und | |
Staatsanwaltschaft gingen dem nicht nach, Brown blieb ihr einziger | |
Schuldiger und saß weiter in der Todeszelle. | |
Erst als die Gesprächsaufzeichnung plötzlich doch noch auftauchte, in der | |
Garage eines damaligen Ermittlers, wurde ein neues Verfahren anberaumt – | |
das stellte die jetzige Staatsanwältin allerdings sofort ein, nachdem sie | |
noch einmal alle Aussagen und Beweise durchgesehen und überhaupt keinen | |
tragfähigen Hinweis auf Browns Täterschaft gefunden hatte. | |
In derzeit noch 31 der 50 US-Bundesstaaten gibt es die Todesstrafe, aber | |
nur in 8 dieser Staaten sind in den letzten zwei Jahren Todesurteile | |
vollstreckt worden – die meisten wiederum in Texas. Insgesamt sitzen in den | |
USA derzeit rund 3.000 Gefangene in den Todestrakten, doch auch die Zahl | |
der Neuverurteilungen sinkt beständig. 2014 wurden 73 Menschen zum Tode | |
verurteilt – 15 Jahre vorher waren es noch über dreimal so viele. Langsam, | |
aber stetig verliert die Todesstrafe an Bedeutung und Akzeptanz – nicht aus | |
prinzipiellen Überlegungen allerdings. Das System ist einfach zu kaputt und | |
zu fehleranfällig. | |
Dewayne Brown immerhin ist frei und konnte am Montagabend vor dem Gefängnis | |
seine Familie in die Arme schließen. | |
10 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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