# taz.de -- Musik-Festival in Hamburg: Das Brummen der Stromfelder | |
> Zum zehnten Mal lädt das Hamburger Festival Blurred Edges zur | |
> Entdeckungsreise durch die experimentelle Musikszene der Stadt. | |
Bild: Entdeckungsreise durch Stromfelder: Christina Kubischs „Electrical Walk… | |
Das leise, aber beständige Brummen der Stromkabel. Vor 30 Jahren hat auch | |
Christina Kubisch noch versucht, das störende Geräusch aus den Kopfhörern | |
herauszufiltern. Irgendwann hat die in Bremen geborene Berlinerin den Spieß | |
umgedreht: Mit besonders empfindlichen Kopfhörern macht sich ihr Zyklus | |
„Electrical Walks“ seit zwölf Jahren ganz bewusst auf die Suche nach | |
„ungewollten“ elektrisch erzeugten Klängen, verstärkt die ober- und | |
unterirdischen elektrische Ströme und macht sie hörbar. | |
Immer häufiger sind sie in den letzten 20 Jahren geworden, überall surrt, | |
knarzt, klickt und brummt es: Überwachungskameras, Diebstahlsicherungen vor | |
Geschäften, Handys, Antennen, Bankautomaten, Leuchtreklamen. Es sind | |
komplexe Stromfelder, die den öffentlichen Raum durchziehen, für | |
menschliche Ohren eigentlich unhörbar. | |
Über 50 „Electrical Walks“ hat Kubisch seit 2004 organisiert, in Köln, | |
Oxford, Montreal, Hong-Kong oder Mexico-Stadt. Eine umfassende Kartographie | |
ungewollter elektrischer Klänge ist so entstanden: von Ort zu Ort variiert | |
die Palette an Klangfarben und Lautstärken, jedes Land hat ein eigenes | |
Klangprofil. | |
Zwei Wochen lang lädt Kubisch nun erstmals auch in Hamburg zum Stromhören, | |
im Schanzenviertel und auf St. Pauli. Eine Umgebungskarte markiert mögliche | |
Routen und besonders interessante Stromfelder. Ein erster Spaziergang | |
zusammen mit Kubisch beginnt am Samstagnachmittag um 15 Uhr vor dem | |
Musikladen Hanseplatte. Danach kann man sich zwei Wochen lang zwischen 10 | |
und 18 Uhr allein auf die Abenteuerreise durch die elektromagnetischen | |
Felder machen, Kopfhörer bekommt man gegen Pfand in der Hanseplatte. | |
Ausdrücklich eine „Entdeckungsreise“ durch die Stadt und ihre | |
experimentelle Musikszene ist auch das Festival Blurred Edges selbst, in | |
dessen Rahmen Kubischs Projekt nun zu erleben ist. Zum zehnten Mal findet | |
es seit Freitag statt, zwei Wochen lang präsentiert es an über 40 Orten in | |
der Stadt die ganze Vielfalt experimenteller Musik: Analoges, | |
Elektroakustisches und Elektronisches, Komponiertes und Improvisiertes, | |
Fieldrecordings, Performances und akustische Spaziergänge. Über 130 | |
KünstlerInnen, Projekte und Bands sind da auf 61 Veranstaltungen zu hören. | |
„Das Spannende am Blurred Edges ist, dass man die Stadt entdecken kann, | |
Orte, die man vorher gar nicht kannte“, sagt Gunnar Lettow, der das | |
Festival gemeinsam mit vier anderen für den Verband für aktuelle Musik | |
Hamburg (VAMH) organisiert. Als Avantgarderocker ist Lettow aus Kiel nach | |
Hamburg gekommen, heute ist er vor allem für seine Arbeit mit präpariertem | |
E-Bass bekannt, allein, aber auch in Duos und Trios. Jeden Monat | |
präsentiert er in seiner Konzertreihe „Frequenzgänge“ improvisierte Musik | |
und bringt Ad-hoc-Ensembles zusammen. | |
Sogar einer der Gründer des VAMH, Gregory Büttner, sagt, dass er die ganze | |
Vielfalt der experimentellen Szene der Stadt erst durch die Arbeit im | |
Verband wirklich kennengelernt habe. Seit 15 Jahren macht Büttner | |
Klangkunst und elektroakustische Kompositionen, betreibt ein kleines Label | |
namens 1000füssler, auf dem er Experimentelles in kleiner Auflage | |
veröffentlicht. Vor elf Jahren hat Büttner dann den Verband mitgegründet. | |
„Aus Protest gegen die Kulturpolitik von CDU und Schill-Partei“, erzählt | |
er. „Die damalige Kultursenatorin Dana Horáková hatte viel gestrichen, und | |
wir haben gesagt: Wir müssen uns alle zusammentun, um etwas zu erreichen | |
und zu zeigen, wie viele Leute hier experimentelle Musik machen.“ | |
Um die weitläufige Alltagskultur experimenteller Musik auch nach außen zu | |
präsentieren, die Szene selbst zu vernetzen, aber auch Abgrenzungen und | |
Einkapselungen aufzubrechen, ist dann noch im gleichen Jahr das | |
Blurred-Edges-Festival entstanden. „Wir hatten zwar kein Geld, aber haben | |
gesagt: Wir machen jetzt zwei Wochen und jedem, der etwas macht, geben wir | |
eine Klammer und das ist dann ein Festival“, sagt Büttner. | |
Bis heute ist Blurred Edges basisdemokratisch organisiert, ein | |
Produzentenfestival. Jeder, der mitmacht, kuratiert seine Veranstaltung | |
selbst, der Verband sammelt, stellt einen Rahmen her, druckt ein | |
Programmheft, macht Werbung und wirbt Mittel ein. Auch zum zehnjährigen | |
Jubiläum hält sich das kleine Organisationsteam bewusst zurück, nicht mal | |
eine Eröffnungsveranstaltung gibt es. „Manchmal sind wir deswegen schwer zu | |
greifen“, gibt Büttner zu. Aber das eben sei ausdrücklich gewollt, der Reiz | |
des Festivals sei das Unvorhersehbare. Schließlich geht es um | |
experimentelle Musik: darum, dass einem das Hören wieder zum Abenteuer | |
wird. | |
bis Sa, 20. 6., diverse Orte in Hamburg, Infos und Programm: | |
[1][www.blurrededges.de] Bis heute ist Blurred Edges ein basisdemokratisch | |
organisiertes Produzentenfestival | |
5 Jun 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.blurrededges.de | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
## TAGS | |
Experimentelle Musik | |
Festival | |
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