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# taz.de -- IS wirbt um Gefolgsleute: „Teil einer großen guten Sache sein“
> Die Propaganda-Maschine des IS könnte sogar versierte PR-Firmen im Westen
> beeindrucken. Aber hinter dem Erfolg steckt mehr als nur eine gute
> Produktion.
Bild: Der IS verwendet die Schahada-Flagge auf schwarzem Grund mit dem islamisc…
Paris ap | Zuerst erklingen ein paar Melodien, dann gibt der Ansager mit
amerikanischem Akzent einen Überblick über „unsere wichtigsten
Schlagzeilen“. Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat haben gerade drei
irakische Städte erobert. Eine Fabrik ist in die Luft gejagt worden, alle
Menschen im Inneren sind tot. IS-Kämpfer haben vier Humvees des Gegners und
ein gepanzertes Fahrzeug zerstört.
Der Ton der Präsentation erinnert an westliche Radio-Nachrichten. Aber das
hier ist Al-Bajan – der Sender des IS, der sich gezielt an Europäer wendet,
um Gefolgsleute für ihre Reihen anzuwerben. So werden denn auch nur
Nachrichten verbreitet, die aus der Sicht der Terrormiliz gut klingen. Es
ist immer so, dass der Feind in Schande vor den IS-Kämpfern flieht oder
getötet wird. Die Sendungen enden mit anschwellender Musik und dem Satz:
„Wir danken unseren Hörern, dass sie eingeschaltet haben.“
Die islamistische Propaganda-Maschine hat sich seit 2012 enorm verbessert
und bietet mittlerweile ausgefeilte Produktion im westlichen Stil. Damals
posierte ein alternder Franzose, Gilles Le Guen, vor einer
Dschihadisten-Fahne und stieß im Namen der Terrorgruppe Al-Kaida im
Islamischen Maghreb Drohungen gegen Frankreich aus. Die Produktion war
simpel, der Film körnig, und ausgestrahlt wurde er auf einer relativ
obskuren regionalen Internetseite. Heute könnte die Art und Weise, wie die
Rekrutierung weiterentwickelt wurde, auch die poliertesten
Public-Relations-Firmen im Westen beeindrucken.
Al-Bajan erreicht durch Links, die in sozialen Netzwerken verbreitet
werden, täglich Tausende Hörer, und das Ergebnis ist aus westlicher Sicht
erschreckend. Die Zahl von Europäern, die sich dem Kampf für den IS
verschreiben, steigt, wird nach Einschätzung von Experten dieses Jahr auf
insgesamt bis zu 10 000 wachsen.
## Vielsprachige Blogs und Twitter
In einer typischen Rekrutierungswoche gibt es verschiedenste Sendungen in
drei Sprachen. Ein an französische Sympathisanten gerichtetes Video zeigt
junge Männer in der Ausbildung, sie springen durch brennende Reifen,
schwingen sich auf Klettergerüsten über Flammen hinweg von Stange zu
Stange. In einem anderen Streifen zur Anwerbung von Ärzten verspricht ein
glatt rasierter blauäugiger Australier im Doktorkittel potenziellen
Rekruten, dass sie Muslimen helfen würden, die unter einem Mangel an
qualifizierter medizinischer Versorgung litten.
In vielsprachigen Blog-Einträgen rufen Dschihadisten dazu auf, sich ihnen
anzuschließen. Hinzu kommt ein rasant wachsendes Ausmaß von
Twitter-Mitteilungen, die Anhänger per Handy von ihren Wohnstuben aus
verschicken.
Nach Le Guens Festnahme im April 2013 sagte Frankreichs
Verteidigungsminister, die Regierung könne die Zahl jener, die wie dieser
Mann an der Seite islamischer Extremisten kämpfen wollten, „an den Fingern
einer Hand abzählen“. Heute gilt die Massenrekrutierung westlicher
islamischer Radikaler als eine der größten Bedrohungen, mit denen es Europa
und die USA zu tun haben.
Und es sind nicht nur hartgesottene potenzielle Kämpfer, auf die es der IS
in seiner Multimedia-Werbekampagne abgesehen hat. Jeder, der sich irgendwie
in den Kriegszonen im Irak und in Syrien engagieren will, ist willkommen.
Jeder kann auch beim Rekrutieren helfen, egal von wo aus. Bei einer
jüngsten Untersuchung stießen zwei Forscher der US-Denkfabrik Brookings
Institution im Zeitraum von zwei Monaten auf mehr als 46 000 aktive
Twitter-Konten zur Unterstützung des IS. Sobald ein Account geschlossen
wird, tauchen mehrere neue auf.
Warnen westliche Regierungen eindringlich vor den Gefahren, die drohen,
wenn man sich der Terrormiliz anschließt, hat das bisher wenig genützt.
Diejenigen, die an der Seite des IS unglücklich waren und den Westen
stützen könnten, machen ihre Erfahrungen nur selten publik – zu groß ist
die Angst vor tödlicher Vergeltung.
## Hochmoderne Technologie und persönliche Verbindungen
Die Angeworbenen sind meistens jung. In Frankreich, der bisher ergiebigsten
Rekrutenquelle für den IS in Europa, liegt das Durchschnittsalter bei Mitte
20, bei Frauen ist es sogar noch niedriger. Was immer diese jungen Leute
suchen, die Extremisten versprechen es ihnen: das Scharia-Gesetz, ein
tieferer Sinn im Leben, Kampf gegen einen Diktator, Einsatz als Helfer,
Umgang mit automatischen Waffen, Anwendung von Gewalt.
Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove führt den Werbeerfolg darauf zurück,
dass der IS verstehe, wonach sich viele junge Menschen sehnten und fähig
sei, sich hochmoderne Technologie und persönliche Verbindungen zunutze zu
machen.
Westliche Rekruten tendieren dazu, sich zusammenzuschließen – wie etwa die
rund 20 jungen Männer aus der französischen Kleinstadt Lunel, die in
Gruppen von zwei oder drei abreisten und dann in Syrien wieder
zusammenkamen oder die drei britischen Schülerinnen, die einer Freundin
folgten.
„Der IS versteht es, herauszufinden, was für diese Leute wichtig ist, was
sie motiviert, und dann bietet er an, dieses Bedürfnis zu stillen, anfangs
durch die sozialen Medien, das Internet“, sagte Breedlove kürzlich. „Und
dann, wenn sie die Leute an Bord gebracht haben, sprechen sie weiter diese
Grundbedürfnisse an, nach Werten, nach einem Lebensziel – das Gefühl, Teil
einer großen guten Sache zu sein.“
Den Regierungen ist es nicht gelungen, diesen maßgeschneiderten Ansätzen
etwas entgegenzusetzen. Grund dafür sei, dass sich westliche Stellen mehr
mit dem Kaliber der Rekruten beschäftigten als mit der verführerischen Art
und Weise, wie sie eingefangen würden, meint Terrorismus-Experte John
Horgan von der University of Massachusetts. „Es ist phänomenal aufregend
für sie, diesem geheimen Club anzugehören. Und wenn das erstmal Wurzeln
geschlagen hat, schlägt diese Begeisterung alles, was wir dem
entgegensetzen können.“
3 Jun 2015
## TAGS
„Islamischer Staat“ (IS)
Propaganda
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