# taz.de -- Nigerias neuer Präsident: Einer von ihnen | |
> Muhammadu Buhari kommt aus einer Kleinstadt im Norden des Landes. Geld | |
> und Geschenke will er dort aber nicht verteilen. | |
Bild: Muhammadu Buhari (re.) und sein Vorgänger Goodluck Jonathan im März die… | |
Rechts und links der Straße stehen ein paar Kamele in der Sonne, knabbern | |
an den Ästen der Bäume und suchen nach den letzten grünen Blättern. Viel | |
ist nicht übrig geblieben. Die Regenzeit hätte längst einsetzen müssen, | |
doch im Norden Nigerias ist es Ende Mai noch unerträglich staubig, trocken | |
und heiß. Tagsüber klettert das Thermometer bis auf 40 Grad Celsius, und | |
auch die Nächte bringen keine Abkühlung. Dazu weht einem der heiße Föhnwind | |
ins Gesicht. | |
„Seit ein paar Jahren wird der Regen immer unzuverlässiger“, klagt Umar | |
Dauda Daura. Er ist Farmer, lebt in der Kleinstadt Daura und muss sich in | |
Geduld üben. Das fällt schwer, denn im äußersten Norden kurz vor der Grenze | |
zum Niger ist Landwirtschaft die wichtigste und für viele die einzige | |
Einnahmequelle. In Daura, wo gut 25.000 Menschen leben, gibt es noch ein | |
paar Schulen, ein staatliches College, einige Banken, Geschäfte und einen | |
Markt – mehr aber nicht. | |
Umar Dauda Daura zeigt auf den schmutzigweißen Ventilator an der Decke, der | |
sich keinen Millimeter bewegt. Seit drei Tagen hat er keinen Strom mehr. | |
Wenn es mal „Nepa“ gibt – Nepa ist die alte Abkürzung des staatlichen | |
Energieversorgers –, dann höchstens für ein paar Stunden. Jetzt, am frühen | |
Nachmittag, ist die Hitze erdrückend. Aufgrund der Benzinknappheit, die | |
seit Wochen in Nigeria herrscht, kann er nicht einmal abends seinen | |
Generator anwerfen. Der Diesel ist zu teuer geworden. „Ich bin jetzt 44 | |
Jahre alt, habe aber noch nie vom nigerianischen Reichtum profitiert“, sagt | |
der Farmer. | |
Doch das wird sich bald ändern, ist sich der große, hagere Mann sicher. | |
Denn am 29. Mai wird sein Onkel nigerianischer Präsident. Er wird den | |
Wandel und somit ein besseres Leben mit gerechterer Ressourcenverteilung | |
und weniger Korruption bringen. Wenn er über ihn spricht, nennt er ihn | |
meist General, manchmal auch GMB. In Daura weiß jeder, dass diese Abkürzung | |
für General Muhammadu Buhari steht. Allerdings hat dieser angekündigt, mit | |
der Amtseinführung auf den Titel General verzichten zu wollen. | |
Auf den großen Tag wartet in GMBs Heimatort jeder. Der Neffe will sich die | |
Liveübertragung vom Eagle Square in Abuja im Fernsehen anschauen. Dafür | |
kauft er sogar Diesel für seinen Generator, denn endlich hat der Ort wieder | |
einen „Son of the soil“ – einer von ihnen hat es ganz nach oben geschafft. | |
Dort war Buhari zwar 1984 schon angekommen, aber nicht als gewählter | |
Präsident. Damals gehörte er zu einer Gruppe Putschisten und hielt sich | |
zwanzig Monate an der Macht, bis er am 27. August 1985 von Ibrahim | |
Babangida gestürzt wurde. | |
Damals führte Buhari einen Kampf gegen Disziplinlosigkeit und Korruption. | |
„Genau das fehlt Nigeria heute“, sagt Dauda Daura und spricht vermutlich | |
vielen Nigerianern aus der Seele. Egal, ob Taxifahrer, Marktfrau oder | |
Hochschulabsolvent: Seit Jahren ist es in Nigeria populär, einen starken | |
Mann für die Staatsspitze zu fordern, der hart durchgreifen kann. | |
## Ein friedlicher Machtwechsel | |
Dass Menschenrechtsorganisationen Buharis brutalen Umgang mit | |
Oppositionellen kritisierten, hat Nigeria heute vergessen. Während seiner | |
Herrschaft wurde etwa Afrobeat-Legende Fela Kuti inhaftiert, der in seinen | |
Liedern politische Missstände anprangerte. Heute wird Buharis Triumph | |
gefeiert. Gleich im ersten Wahlgang hat der 72-Jährige den Amtsinhaber | |
Goodluck Jonathan besiegt, der ihm kurz darauf gratulierte. Der friedliche | |
Machtwechsel überraschte. | |
Knapp zwei Monate später ist Daura noch immer beschwingt von diesem Sieg. | |
Wohl deshalb hat sich noch niemand die Mühe gemacht, Buharis Wahlplakate | |
abzunehmen. Mal lächelt er am Straßenrand von einem großen Plakat seiner | |
Partei, dem All Progressives Congress (APC), mal klebt er auf einem | |
Lehmhaus. | |
Auf dem großen Markt am Stadtrand von Daura verkaufen sich die Sticker mit | |
dem Präsidentengesicht gut. Auf selbst gezimmerten Bauchläden liegen sie | |
neben schwarzen Poloponys und der nigerianischen Flagge. Jeden Mittwoch ist | |
Markttag, und Händler aus der ganzen Region und auch aus Niger verkaufen | |
Ziegen, Gemüse, große Tonfässer und Secondhandkleidung aus Europa. Der | |
Markt ist aber vor allem ein wichtiger Treffpunkt, den sich auch Usman | |
Kango nicht entgehen lässt. | |
Zwei große, gelbe Plastiktüten mit Tomaten und roten Chilischoten hat er | |
auf sein schwarzes Moped gepackt. Selbstverständlich ist es mit | |
Buhari-Aufklebern verziert. Als er anhält, scharen sich Dutzende Jungen um | |
ihn. Sie sind alle im schulpflichtigen Alter, doch an diesem Mittwochmorgen | |
drückt niemand die Schulbank. Nigeria hat seit Jahren die höchste Zahl an | |
Kindern, die keine Schule besuchen. Laut Unesco sind es über zehn | |
Millionen. | |
Kango kneift die Augen zusammen und schaut gegen die Sonne. „Wir sind sehr | |
glücklich, dass der neue Präsident aus Daura kommt“, sagt er, setzt ein | |
breites Lächeln auf und hofft, dass endlich das vorangetrieben wird, was | |
die Region am meisten braucht: eine Landwirtschaft weg von der Spitzhacke | |
und hin zu modernen Maschinen. „Dann könnten wir viel höhere Gewinne | |
erzielen“, erklärt er und setzt auf den Sachverstand des neuen Präsidenten. | |
## Der weiße Elefant | |
Dazu gehöre auch die Fertigstellung des Sabkedamms. Als Buhari in den | |
1990er Jahren Chef des Petrolium Trust Fonds (PTF) war, wurde mit dem Bau, | |
der für eine bessere Wasser- und Stromversorgung im Bundesstaat Katsina | |
sorgen sollte, begonnen, doch er wurde nie fertiggestellt. Seitdem gilt der | |
Damm als weißer Elefant – ein Vorhaben, das viel Geld gekostet hat, aber | |
völlig nutzlos war. | |
Egal, mit wem man auf dem Markt in Daura spricht: Die Wünsche klingen | |
bescheiden. Niemand verlangt, etwas von den Ölgeldern aus dem Süden | |
abzubekommen, niemand erwartet eine Autoflotte oder einen Flughafen. Von | |
Bevorteilung scheint Buhari sowieso nichts zu halten. Er selbst sagte vor | |
ein paar Tagen, die Bewohner dürften keine Gefälligkeiten von ihm erwarten. | |
Die habe es schon in den 1980er Jahren nicht gegeben. | |
Bei der Vorstellung, dass jemand glauben könnte, der kleine Sahelort könne | |
sich nun zu einer glitzernden Stadt mausern und sogar einen Flughafen | |
bekommen, muss Umar Dauda Daura kichern. Sein Onkel ist doch einer, der | |
ohnehin viel lieber mit dem Auto von Daura über Kaduna nach Abuja fährt. | |
## Kein Prunkklotz | |
Die Bescheidenheit des Onkels macht ihn stolz und zeigt sich, so findet | |
Dauda Daura, auch im Wohnhaus des neuen Präsidenten, das ein wenig | |
außerhalb der Stadt liegt. Wann immer es geht, zieht sich Buhari hier | |
zurück. Das Haus, von dem jeder in Daura weiß, wo es liegt, hat nicht viel | |
mit den klotzigen Prunkbauten gemeinsam, die in Nigeria bei Politikern und | |
Geschäftsleuten beliebt sind. Stattdessen erinnert es an ein kleines Hotel | |
mit Bungalows und einem großen grünen Garten. | |
Er hat noch ein Haus in Kaduna, dem einstigen politischen Machtzentrum des | |
Nordens. Und in der Hauptstadt Abuja wohnt er nur zur Miete. Buhari sei | |
niemand, der Geld verschwendet, findet sein Neffe: „Und er hat seit | |
Jahrzehnten nur ein Bankkonto.“ | |
So ruhig wie sonst ist es vergangene Woche in Daura aber nicht. Vor Buharis | |
Haus kampieren dutzende Menschen. Auch wenn sie eigentlich nichts von | |
Buhari erwarten sollten, hoffen viele trotzdem auf ein wenig Unterstützung, | |
Lebensmittel etwa oder Kontakte. Rechts und links des Tores stehen ein paar | |
Polizisten, die zwar längst nicht jeden, aber doch viele Besucher auf das | |
Grundstück lassen. Die Nachricht hat sich in Windeseile verbreitet: Der | |
General ist angekommen und will zwei Tage in Daura bleiben. Reserviert ist | |
die Zeit jedoch für Familienbesuche, alte Weggefährten und Gouverneure von | |
drei Bundesstaaten. Es ist aussichtslos, einen spontanen Termin zu | |
bekommen. | |
## Familie verpflichtet | |
Umar Dauda Daura hofft, später am Abend in Ruhe mit seinem Onkel sprechen | |
zu können. Jetzt besucht er lieber jenen Teil der Familie, der noch heute | |
in Buharis Geburtshaus lebt. Das Haus liegt mitten in der Stadt, ein gelber | |
Lehmbau mit offener Kanalisation vor der Haustür, es stinkt. Hier hat kein | |
Gebäude einen Wasseranschluss. Stattdessen quetscht sich ein junger Mann | |
mit Wasserkanistern auf einer Sackkarre durch die Gassen und versorgt so | |
die Haushalte. | |
Dauda Daura kommt gerne hierher, Familienbesuche schweißen zusammen. | |
Außerdem soll er allen Mitgliedern – es sind Dutzende – erklären, was | |
Buhari von ihnen erwartet. „Nach der Wahl hat er uns geraten: Meidet | |
Menschen, die euch Geld geben wollen und dann Gegenleistungen erwarten. Er | |
will keine Korruption.“ Darüber spricht Buhari auch in der Öffentlichkeit. | |
Und noch eine Anordnung gibt es, über die Nigeria derzeit schmunzelt: Jeder | |
aus der Buhari-Familie soll ab sofort an roten Ampeln halten. Schließlich | |
gilt auch für die Verwandtschaft: Er hält nichts von Bevorteilung. | |
28 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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