# taz.de -- Verfolgte ParlamentarierInnen: Die Abgeordneten von der "Abschuss-L… | |
> Die Bürgerschaft hat die Schicksale ihrer im Nationalsozialismus | |
> verfolgten Mitglieder erforschen lassen. Allerdings bestehen weiterhin | |
> große Wissenslücken. | |
Bild: Ein Großteil der Bremer KPD- und SPD-Abgeordneten kam ins KZ Mißler in … | |
BREMEN taz | Am Ende widerstanden nur die Kommunisten. So schlicht muss man | |
den Prozess der demokratischen Selbstauflösung resümieren, der in Bremen im | |
März 1933 kulminierte. Als einzige stimmten die KPD-ler gegen die von der | |
NSDAP-Fraktion beantragten Selbstauflösung der Bürgerschaft. Welche | |
Schicksale den bisherigen Abgeordneten anschließend im „Dritten Reich“ | |
widerfuhren, ist nun einer Studie von Dieter Fricke zu entnehmen. Im | |
Auftrag der Bürgerschaft recherchierte er die Biographien der Verfolgter | |
unter den damals 120 Bremer ParlamentarierInnen. | |
Darunter finden sich viele Menschen, deren Namen man eventuell von | |
Straßenschildern kennt, ohne aber Weiteres über sie zu wissen. Wie etwa | |
Hermine Berthold: Schon als 16-jährige Arbeiterin war die Hastedterin in | |
der Bremer Jutespinnerei politisch aktiv, 1930 wurde sie für die USPD in | |
die Bürgerschaft gewählt. Statt 1933 in die innere Emigration zu gehen wie | |
viele Vertreter der bürgerlich-liberalen Parteien, „die sich resigniert ins | |
Private zurückzogen“, wie Fricke schreibt, wurde sie illegal aktiv. Ein | |
Einsatz, den sie mit allen der hier vorgestellten weiblichen Abgeordneten | |
teilt. Das sind allerdings nur wenige. | |
Im Vergleich zu dem vor einem Jahr vorgelegten [1][Buch über die | |
NS-Vergangenheit] der Nachkriegs-Abgeordneten ist Frickes Werk ein schmaler | |
Band. Zwar enthüllte das Parlament 2003 eine allgemein formulierte | |
Gedenktafel für ihre verfolgten Mitglieder – die damals in Angriff | |
genommene Recherchearbeit über konkrete Einzelschicksale versandete jedoch | |
über Jahre im Apparat der Bürgerschaft. Die jetzt vorgelegte Arbeit lässt | |
denn auch allerhand Lücken: Von den 40 SPD-Abgeordneten, die 1933 fast | |
ausnahmslos mindestens in „Schutzhaft“ kamen, werden nur 15 vorgestellt. | |
Und von den 12 kommunistischen Parlamentariern konnte Fricke nur zu acht | |
Material finden. | |
Ein erheblicher Teil von ihnen hatte an der letzten Bürgerschafts-Sitzung | |
übrigens gar nicht mehr teilnehmen können, da sie bereits verhaftet waren. | |
„Fehlt entschuldigt“, vermerkt das Sitzungsprotokoll in diesen Fällen. | |
Von der 13-köpfigen Fraktion der Deutschen Volkspartei wird nur ein | |
einziger Vertreter gewürdigt – ob aus Mangel an Material oder an | |
Widerständigkeit bleibt unklar. Dieser eine ist der Fraktions-Vorsitzende | |
Carl Dietz, der die Nationalsozialisten in einer letzten Rede für die | |
Gefährdung der öffentlichen Ordnung verantwortlich machte. Was ihn indes | |
nicht abhielt, danach der Selbstauflösung des Parlaments zuzustimmen. | |
Wenige Tage später musste Dietz den Direktorenstuhl der Oberrealschule in | |
der Dechanatstraße räumen. | |
Fraglich bleibt, ob von den übrigen 33 Abgeordneten der Bürgerlichen bis | |
hin zur Deutschnationalen Volkspartei wirklich keiner als verfolgt gelten | |
kann. Jüdische Abgeordnete gab es in Bremen nicht. Auffällig ist, wie viele | |
der früheren KPD- und SPD-Parlamentarier Unterschlupf in der AG Weser | |
fanden. Deren Direktor Franz Stapelfeldt kam aus einem völlig anderen | |
Milieu, nutzte die kriegswichtige Werft aber als Schutzraum für Verfolgte, | |
die sonst wenig Chancen auf wirtschaftliches Fortbestehen gehabt hätten. | |
Andere, wie der frühere KPD-Abgeordnete Oskar Eichentopf, mussten sich seit | |
1933 buchstäblich durchs Leben betteln. | |
Frickes 76-seitige Veröffentlichung, die ebenso wie die NS-Studie | |
kostenfrei in der Bürgerschaft ausliegt, ist ausdrücklich auf Zuwachs | |
angelegt. Hervorzuheben bleibt, dass Bremen das reichsweit letzte | |
Bundesland war, das sich gleichschaltete. | |
21 May 2015 | |
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## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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