# taz.de -- Metal Festival: Die Recken auf dem Acker | |
> Das 18. Metal Open Air in Wacken: Die Fans ließen warmherzig alte und | |
> neue Helden hochleben und fanden in Spiderschwein ihr Totemtier. | |
Bild: Totemtier oder Metal-Fan? | |
Ein norddeutscher Nieselregen verwässert die Ankunftseuphorie, die ohnehin | |
eher moderat ausfällt. Ein einschlägiger Podcast auf der Wacken-Webseite | |
hatte tags zuvor etwas zu ausführlich die problematischen Bodenverhältnisse | |
auf dem Festivalgelände geschildert. Nach all den Jahren - das Wacken Open | |
Air (W.O.A.) findet heuer zum 18. Mal statt - weiß man sich jedoch zu | |
helfen. Ein sehr tief fliegender Hubschrauber hat das stehende Wasser an | |
die Peripherie gewirbelt, und für die übrig gebliebene Matschepampe gibt es | |
ja immer noch die lang erprobte Geheimwaffe: Die ortsansässigen Landwirte | |
unter der Ägide von Großbauer Trede bringen einfach ein paar Scheunen Stroh | |
auf dem Konzertgelände aus, und schon ist es wieder da, dieses anheimelnde | |
Kuhstallambiente, das der W.O.A.-Angefixte kennt und schätzt. | |
Die anwesende Heavy-Metal-Pilgergemeinde hat offenbar in summa den | |
"Simpsons"-Film gesehen und sich als Zusammenhalt stiftendes Totemtier in | |
diesem Jahr das Spiderschwein ausgeguckt. Schon am "Check-in-Point" wird zu | |
allen, in der Regel unpassenden Gelegenheiten diese Filmszene | |
singenderweise zitiert. Man bekommt sie in den folgenden drei Tagen noch | |
häufiger zu hören, und nachmittags sieht man auch bereits die ersten | |
Spiderschwein-T-Shirts. | |
Wer sich für Textil-Art der nicht so sublimen Sorte interessiert, ist hier | |
sowieso richtig. Neben den vielen kunterbunten, martialischen und/oder | |
sexistischen Metal-Motiven findet man aber auch immer wieder kleine | |
Preziosen, die das oft nicht ganz zu Unrecht als dumpf, provinziell, eben | |
unhip verschriene Genre ironisch transzendieren. Eine geballte Faust mit | |
der Unterschrift "Zahnfee" etwa - oder die Konfession auf dem Rücken eines | |
Black-Metal-Hörers: "Ich trage Schwarz, bis es was Dunkleres gibt." | |
Der mehrfach und zu Recht preisgekrönte Dokufilm "Full Metal Village" hat | |
die seit Jahren wachsende Aufmerksamkeit für das Festival wohl noch einmal | |
intensiviert. So soll es anstatt der üblichen 50.000 Besucher diesmal um | |
die 70.000 in das schleswig-holsteinische 1.900-Seelen-Dorf verschlagen | |
haben. Biff, der weißhaarige Frontman der Metal-Veteranen Saxon, macht am | |
späten Abend sogar die 100.000 voll, aber das war wohl doch der | |
Genre-gemäßen Großsprecherei geschuldet. Dass es trotz der deutlichen | |
Ausweitung des Festivalgeländes voller war als in den Jahren zuvor, war | |
jedoch offensichtlich. | |
Kaum ein Durchkommen gab es für den, der sich in den späten Abendstunden | |
des zweiten Tages an der galleschwarzen, bitterbösen Melancholie-Operette | |
von Dimmu Borgir sattgesehen und -gehört hatte und dem | |
Ex-Motörhead-Gitarristen Eddie Clarke und seiner Band Fastway - fast | |
vergessen und für das Festival wiederauferstanden - in der kleinen | |
Zeltbühne noch eine letzte Chance geben wollte. Die der dann allerdings mit | |
einer verzagten Performance schmählich verspielte. | |
Reunions sind ja seit geraumer Zeit ein fester Programmpunkt in Wacken. Man | |
pflegt seine Tradition mit Respekt und Empathie und lässt die Altvordern | |
noch einmal, oft tatsächlich ein letztes Mal, hochleben. In diesem Jahr | |
konnten sich neben Fastway die Death-Metal-Inauguratoren Possessed und die | |
Thrash-Stammväter Sacred Reich an den Ergebenheitsadressen des | |
musikhistorisch gebildeten Publikums erfreuen. Und es war schon schön, mit | |
anzusehen, wie den alten Recken vor Rührung ein dicker Kloß im Hals saß. | |
Das ist vielleicht eines der Erfolgsrezepte des Festivals: Von Anfang an | |
hat man vornehmlich die Addicts angesprochen und sich so ein Publikum mit | |
der nötigen Kennerschaft herangezogen, das auf die ganz großen Namen gut | |
und gerne verzichten kann. Auch in diesem Jahr haben sich die beiden | |
Veranstalter, Holger Hübner und Thomas Jensen, nicht den Mainstream auf den | |
Acker geholt: Es spielen fast ausschließlich Bands aus der zweiten und | |
dritten Reihe und viele, viele junge Talente. Als Headliner zeichnen Blind | |
Guardian, Iced Earth und Saxon. Nur in den Subgenres Black, Death und Folk | |
Metal ist man mit In Flames, Immortal, Dimmu Borgir und Subway To Sally | |
wirklich hochkarätig besetzt. Überhaupt scheint sich erstmals beim Billing | |
der Schwerpunkt vom True Metal, also jener klassischen Spielart, die als | |
New Wave of British Heavy Metal in den frühen Achtzigern gattungsprägend | |
wurde, leicht zugunsten des Black Metal mit all seinen Derivaten verschoben | |
zu haben. | |
Aber letztlich kommt beim W.O.A. doch beinahe jede Untergattung zu ihrem | |
Recht: Der althergebrachte, noch vom Blues angeschmuddelte Hard Rock | |
erfährt durch Rose Tattoo eine probate Interpretation, wird aber von den | |
Jungspunden Gutbucket und The Answer noch einmal richtig hergenommen; wer | |
Musik vornehmlich mit der Stoppuhr beurteilt, hatte viel Freude mit Napalm | |
Death und Cannibal Corpse; Turbonegro brachten, live durchaus immer noch | |
mit einigem Witz, ihre Glam-Rock-Persiflage unters Volk; und für genügend | |
mittelalterlichen oder sonst wie paganen Mummenschanz war auch gesorgt, | |
unter anderem mit Falconer und Schandmaul. Unnötig, zu sagen, dass hier | |
jede Band mit Aufmerksamkeit überschüttet wird und die Connaisseure dem | |
jeweiligen musikalischen Werk mit einer Textsicherheit huldigen, die an | |
religiöse Eiferei grenzt. Sogar die Visual-Kei-Kinder von Dir En Grey, so | |
eine Art Tokio Hotel für deprimierte Gothic-Primaner, fanden vielleicht | |
nicht die Aufmerksamkeit, die sie aus ihrer Heimat Japan gewohnt sind, aber | |
doch ein paar tausend juvenile Spezialisten, die abendländische | |
Gastfreundschaft demonstrierten. | |
Und die ist denn auch die Grundlage für die Attraktivität des Festivals. | |
Die in "Full Metal Village" beschriebene Idylle, dieses friedliche, | |
tolerante und trotz Donner und Doria warmherzige und so gut wie gewaltfreie | |
Nebeneinander entspricht schlicht der Wahrheit. Es ist in dieser Form nur | |
möglich, weil die Dorfbevölkerung die aus aller Welt einfallenden bösen | |
Mädchen und Jungs mit offenen Armen und Herzen empfängt. Tatsächlich. Und, | |
ja, sie verdienen auch etwas daran, na und? Das schmälert die Sache nicht. | |
7 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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