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# taz.de -- Einsatz des Chaos Computer Clubs: Aktivisten wider Willen
> Die Cracks vom Chaos Computer Club machen gegen den Überwachungsstaat
> mobil. Dabei haben sie eigentlich keine Lust auf Lobbyarbeit.
Bild: Gesucht: Gefährder der digitalen Bürgerrechte.
Ameisensäure soll helfen. Wenn man sich die auf die Fingerkuppen schmiere,
dann sähe es aus, als habe man eine fiese Hautkrankheit, erzählt ein
drahtiger sonnengebräunter Mann seinen etwa 300 verdutzten Zuhörern. "Und
wenn dann das Amt die Fingerabdrücke für den neuen Reisepass nehmen will,
dann wird das wohl nicht funktionieren." Es ist kurz still, dann johlt das
Publikum. Der Vortragende lacht und sagt in den Lärm: "Man hat mir
versprochen, dass das alles schmerzfrei ist."
Ein paar seltsame Ideen müssen wohl abfallen wenn der Chaos Computer Club
zum internationalen Treffen der Hacker ruft - um klar zu machen, wie
bedrohlich die angereisten Technikexperten die staatlichen
Überwachungsmaßnahmen inzwischen finden. "Bei der Volkszählung 1983 haben
sich die Leute noch gewehrt aber heute halten sie einfach still", sagt
Starbug einer der bekanntesten Hacker des Chaos Computer Club - kurz CCC.
Er hat die Säure-Anekdote erzählt. Den Namen hinter seinem Pseudonym will
er nicht verraten. Er redet lieber darüber, warum es bei den Vorschlägen
von Innenminister Wolfgang Schäuble nicht den gleichen vehementen Protest
gibt wie 1983: "Bei der Volkszählung konnte man die Überwachung quasi
anfassen, die Zähler sollten schließlich vor die Haustür kommen. Aber heute
läuft das über komplexe Technik und das können sich viele Menschen nicht
vorstellen." Genau das will er ändern. Naja, eigentlich will er das nicht.
Lieber würde Starbug an Computern basteln, experimentieren. Der 30-jährige
Wissenschaftler, der für das Fraunhofer Institut zu optischer
Datenübertragung forscht, steht exemplarisch für die Wandlung, die ein Teil
der Hackerszene derzeit durchmacht: Sie sehen eine wachsende staatliche
Überwachung, die vor allem unter der Großen Koalition bisher ungekannte
Ausmaße angenommen hat: Fingerabdruck im neuen Reisepass, die von der Union
gewünschte heimliche Durchsuchung des privaten Computers, die schon von SPD
und CDU beschlossene sechsmonatige Speicherung der Verbindungsdaten von
Handy, Festnetz und Internet durch die Anbieter. Deshalb mühen sich die
Techniker, Erklärer zu werden.
Diese Veränderung ist auch auf dem alten Flugplatz bei Eberswalde zu
beobachten, den der Club für das diesjährige Camp angemeldet hat. Wie immer
gibt es Vorträge und Seminare, diesmal aber so viele mit politischem Inhalt
wie nie zuvor. Und die sind gut besucht.
In einem alten Flugzeughangar redet ein Universitätsdozent aus Bielefeld
über die gesellschaftlichen Veränderungen die durch Überwachung entstehen.
Seine Stimme hallt unter der massiven Betondecke, die sich wie eine
romanische Kirchenkuppel über den Köpfen wölbt: "Wer weiß, dass er
überwacht wird, passt sein Verhalten an. Er denkt den Überwacher in seinen
Handlungen immer mit."
Oft sind die Seminare noch sehr theoretisch, zu wenig konkret für eine
breite Öffentlichkeit. Der Widerstand, der eine neue Bürgerrechtsbewegung
werden könnte, ist noch auf der Suche. Nach konkreten Zielen und nach einer
Struktur. Es gibt wenige Organisationen und deren Schlagkraft lässt sich
nicht mit denen der Anti-Globalisierungsbewegung oder gar der
Umweltschützer vergleichen.
Selbst der bekanntere CCC wäre nicht in der Lage, eine wirkungsvolle
Kampagne gegen die Überwachungsmaßnahmen zu führen. "Ehrlich gesagt sind
wir oft schon damit überfordert, zu allem, was passiert, eine
Pressemitteilung zu schreiben", sagt Starbug. Dass bei einer bundesweiten
Demonstration Mitte April 2000 Menschen in Frankfurt/Main gegen
Überwachungsmaßnahmen protestierten, war für die entsprechenden Aktivisten
schon ein "Riesenerfolg."
Das liegt auch an der Szene selbst. Zwischen den alten russische Bombern
und Jägern, die auf dem Gelände stehen, weil der Flugplatz heute ein Museum
ist, sind die "Löter und Schrauber" (Starbug) in der Mehrzahl. Die Leute,
die ihre Hängematten zwischen Bäume und bauchige Transportflugzeuge gehängt
haben, sind zumeist gekommen, um sich auszutauschen, gemeinsam Programme zu
schreiben oder ihre Rechner zu tunen: "Ich glaub schon, dass Dein System
besser läuft, aber wenn ich mal hier..."
Aber es tut sich etwas, Netzwerke entstehen und es gibt einige Aktive, die
auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. Es sind die Vermittler
zwsichen der Welt der Bastler und den Menschen, für die RFID-Chip nur ein
unverständlicher Fachterminus ist. Starbug ist einer von ihnen, Markus
Beckedahl und Constanze Kurz sind zwei andere.
Die drei verbindet, dass sie in frühester Kindheit mit Computern zu tun
hatten. Starbugs saß mit sechs Jahren das erste Mal an einem Computer als
sein technikbegeisterter Vater, ein DDR-Staatsbediensteter, für 6.000
Ostmark einen Rechner Marke Robotron kaufte.
An einem ähnlichen Modell machte Constanze Kurz mit 13 Jahren erste
Tippversuche in einem Zentrum der Thälmann-Pioniere, der
DDR-Jugendorganisation. Beckedahl kommt dagegen aus Westdeutschland, sein
Vater arbeitete in der EDV-Branche. "Ich habe am Computer schreiben
gelernt", sagt Beckedahl, "ich wollte spielen, also musste ich die
entsprechenden Befehle eingeben können."
Alle drei sind etwa 30 Jahre alt, und keiner entspricht dem Bild des
schluffigen Hängers, das die Öffentlichkeit von Hackern oftmals noch hat:
Constanze Kurz arbeitet wie starbug als Wissenschaftlerin, sie lehrt
Informatik an der Humbold-Universität Berlin. Beide sind Mitglieder des
CCC. Markus Beckedahl hingegen leitet seine eigene Agentur, die unter
anderem Politikberatung für die Bundestagsverwaltung oder Stiftungen macht.
Daneben betreibt er den Blog Netzpolitik.org, derzeit wohl das
einflussreichste deutsche Internetforum zum Thema Bürgerrechte. Beckedahl
glaubt: "Wir sind heute auf dem Stand der Umweltbewegung in den 70er
Jahren, damals hielten die auch alle noch für Spinner aber das hat sich
dann rasant geändert."
Er glaubt auch, dass die digitalen Bürgerrechtler eigentlich die
"Ochsentour durch die Ortsvereine" der Parteien machen müssten, um dann
langsam einen "Gesinnungswandel von der Basis nach oben in Gang zu setzen."
Das könne man allerdings keinem Hacker zumuten, denen der hierarchische
Aufbau von Parteien meist fremd ist. Daher versuche man es mit Lobbyarbeit
bei Parlamentariern und damit, in die etablierten Medien zu kommen.
Das zumindest klappt derzeit ganz gut. Constanze Kurz war als eine der
SprecherInnen des CCC bereits in allen wichtigen Zeitungen und
Fernsehsendern. Sie weiß, dass viele dieser Anfragen auch deshalb kommen,
weil sie eine der wenigen Frauen unter den Technikbastlern und nicht
unattraktiv ist: "Manchmal nervt diese Rolle, aber solange Herr Schäuble
noch öfter im Fernsehen zu sehen ist, mach ich weiter", sagt sie.
Und das offenbar so erfolgreich, dass auch Grüne und Linke mit der populär
werdenden Hackerszene anzubandeln versuchen. Die Linke schickte ihren
jungen Abgeordneten Jan Korte ins Feld, der auf einem 50-seitigen
Positionspapier nach einer neuen Bürgerrechtsbewegung verlangt.
Die Grünen ließen von der Werbeagentur M&C und Saatchi einen
"Schnüffelschäuble" programmieren. Wenn man sich eine Datei auf den eigenen
Rechner lud, konnte man einen Nase rümpfenden Pixel-Minister über den
Bildschirm ruckeln lassen - als Protest gegen den "Bundestrojaner", ein
Programm, mit dem der Innenminister gerne Computer ausspähen würde. Das
Grünen-Gimmick fiel bei der anvisierten Klientel allerdings gnadenlos
durch: Dass die Idee in vielen Blogs als albern verhöhnt wurde, war noch
das geringere Übel. Viel lauter lachte die Netzwelt darüber, dass die
Grünen ausgerechnet eine exe-Datei gegen den Bundestrojaner ins Feld
schickte - ein Dateiformat, in dem sich Trojaner besonders gut verstecken
lassen.
Zudem sind die Grünen für viele Hacker unglaubwürdig geworden, weil sie in
ihrer Regierungszeit viele Gesetzesverschärfungen des damaligen
SPD-Innenministers Otto Schily mitgetragen haben. "Die erzählen immer, was
sie für tolle Hechte waren aber das liegt leider alles schon lange zurück",
sagt Starbug. Aber auch den Linken schlägt Misstrauen entgegen: "Bei den
Grünen mögen ja ein paar Langweiler dabei sein", sagt Markus Beckedahl,
"aber bei denen weiß ich zumindestens, dass, sie in meinem Alter vor einem
AKW gesessen haben und nicht in der SED-Kreisleitung."
Das größte Problem der Bürgerrechtsarbeit ist aber die Unkenntnis der
entscheidenden Politiker. "Da bestimmen Leute über unseren Kulturraum, die
sich darin überhaupt nicht bewegen können", sagt Beckedahl. Das er nicht
ganz unrecht hat, illustriert ein Beitrag des ARD-Morgenmagazins von Ende
Juli. Kinderreporter fragten Politiker nach ihrem Umgang mit dem Internet.
Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) wußte nicht einmal, dass ein
Browser ein Programm zum Betrachten einer Webseite ist.
Dass die digitalen Bürgerrechtler auch sang- und klanglos scheitern können
ist ihnen klar. Gesetze wie die zur Speicherung von Verbindungsdaten werden
sich kaum noch verhindern lassen. Für diesen Fall ziehen sie sich
wahrscheinlich wieder auf ihre Kernkompetenz zurück: Technik.
Starbug zeigt einen umgebauten Fotoapparat, der mit einem Knipps die Chips,
auf denen künftig in den Reisepässen die Fingerabdrücke gespeichert werden
sollen, röstet - ohne dass es nachzuweisen ist. "Wenn das viele machen
würden, ließe sich auch mit zivilem Ungehorsam was bewegen", sagt er. Und
grinst.
11 Aug 2007
## AUTOREN
Daniel Schulz
Daniel Schulz
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Netzaktivisten
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