# taz.de -- Neue Gesundheitskarte: Der gläserne Patient | |
> Ab Frühjahr 2008 soll es eine elektronische Gesundheitskarte geben. | |
> Darauf gespeichert: Arztbesuche, Rezepte und Krankschreibungen. Über | |
> Chancen und Risiken. | |
Bild: Alle Daten in einer Hand. Nur: Wer hat Zugriff darauf? | |
Wer dieser Tage in Trier zum Arzt geht, legt eine neue kleine Plastikkarte | |
vor. Die Sprechstundehilfen lesen sie ein - und von da an weiß Herr Doktor | |
viel mehr als bisher über seine Patienten. Auch ein Rezept wird bald nicht | |
mehr ausgestellt, der Apotheker liest es direkt von der Chipkarte ab. | |
Insgesamt 10.000 Patienten nehmen an dem letzten Praxistest teil, ehe die | |
Gesundheitskarte 2008 in Deutschland eingeführt wird. | |
Was in Trier getestet wird, ist die Vorstufe einer kleinen Revolution, der | |
elektronischen Gesundheitskarte. Diese kleine Plastikkarte könnte einmal | |
eine Art elektronisches "Sesam öffne dich" für die vollständige | |
Krankengeschichte von jedem der 82 Millionen Menschen in Deutschland | |
werden. Die Karte soll jeden Arztbesuch, jede Untersuchung und jedes | |
Medikament erfassen. Die Fragen sind: Funktioniert das überhaupt? Und wenn | |
ja, wer hat alles Zugriff auf die Vielzahl an Informationen? | |
Die kleine Gesundheitskarte selbst ist nur die Spitze eines Eisberges. Mit | |
der Einführung der E-Card wird eine elektronische Infrastruktur aufgebaut, | |
die 195.000 Ärzte, 20.000 Apotheken, 2.200 Krankenhäuser und 270 | |
Krankenversicherungen vernetzen wird. Schon ab kommendem Jahr etwa könnten | |
elektronische Rezepte die Verwaltungskosten der Krankenkassen senken - wenn | |
Patienten keine Papierrezepte mit sich herumtragen. In einigen Jahren | |
sollen sich Ärzte auf Knopfdruck die Krankengeschichte ihrer Patienten | |
blitzschnell auf den Bildschirm holen. Das würde helfen, | |
Doppeluntersuchungen zu vermeiden - einer der Vorteile, welche die | |
Gesundheitskarte hat. | |
Allein das ist alles Zukunftsmusik. Denn viel funktioniert noch nicht von | |
der schönen neuen Gesundheitswelt. Die Unternehmensberatung Booz Allen | |
Hamilton hat Kosten und Nutzen des Projektes zu ermitteln versucht - und | |
ist zu ernüchternden Ergebnissen gekommen. Die meisten Funktionen der Karte | |
waren Mitte 2006 noch nicht einmal zur Hälfte definiert - geschweige denn | |
erprobt. "Die Tests werden ja durchgeführt, um technische Entscheidungen zu | |
fällen", beruhigt Jan Meincke, Projektleiter für die E-Card-Testregion | |
Flensburg. | |
Dennoch geht es nur mühsam voran. In der vergangenen Woche musste ein | |
Testlauf in Wolfsburg abgeblasen werden - die Lesegeräte in den Arztpraxen | |
erkannten die Karten nicht. Die Liste technischer Macken ist lang. "Die | |
Karte hat zu wenig Speicher und kann nur wenige Rezepte gleichzeitig zu | |
speichern", sagt der IT-Experte Thomas Maus. | |
Maus hält die Karte aber trotzdem für gefährlich. Der | |
Verschlüsselungs-Experte berät seit 15 Jahren große Unternehmen beim Thema | |
IT-Sicherheit, und er findet, dass die Karte schon jetzt erkennbare Lücken | |
beim Schutz der Patientendaten hat. Laut Maus braucht es gar keinen Hacker, | |
um an die Daten heranzukommen. "Im Sozialgesetzbuch ist vorgeschrieben, | |
dass es einen Nachschlüssel für die Patientendaten beim Medizinischen | |
Dienst der Krankenkassen gibt", sagt Maus - und das bedeutet: Das neue | |
System hat prinzipiell eine Lücke, durch die Patientendaten abfließen | |
könnten. Auch andere IT-Experten wie Hans-Jürgen Burger von der Deutschen | |
Vereinigung für Datenschutz bestätigen der taz die Existenz so genannter | |
Nachschlüssel. Die Daten der Patienten würden sogar zentral erfasst - | |
entgegen anderslautenden Beteuerungen: "Laut Planung werden alle Daten | |
bundesweit in zwölf Rechenzentren gesammelt." | |
Man muss kein Paranoiker sein, um hellhörig zu werden. Es tun sich | |
vielerlei Szenarien auf, denn wo es Daten gibt, da gibt es Datenhungrige. | |
So arbeiten einzelne Krankenkassen bereits mit IT-Firmen zusammen, die auf | |
die Auswertung riesiger Mengen personenbezogener Daten spezialisiert sind. | |
Gesundheitsdaten dürften auch für Versicherungen und die Pharmaindustrie | |
interessant sein. Arbeitgeber könnten sich für genetische Belastungen ihrer | |
Mitarbeiter interessieren. All diese Informationen ließen sich aus dem | |
entstehenden Informationspool gewinnen - prinzipiell, wenn die Karte | |
dereinst vollbepackt im Betrieb ist. (Siehe Kasten.) | |
Davon sind die Feldtests wie der in Trier freilich noch weit entfernt. Nur | |
ein Bruchteil der später denkbaren Funktionen wird dort erprobt. Das liegt | |
daran, dass die elektronische Patientenakte oder der elektronische | |
Arztbrief nur als Prototyp existieren. Und dass die Karte noch gar nicht | |
leistungsfähig genug ist, um die gigantische Zahl an Daten aufzunehmen. Das | |
große deutsche Gesundheitssystem passt einfach noch nicht auf den kleinen | |
Speicherchip der Karte. Alle Tests finden bislang "offline" statt, das | |
heißt ohne den geplanten Austausch von Daten über das Internet. | |
Aber wer hat eigentlich Interesse an einer eingeschränkt funktionstüchtigen | |
Gesundheitskarte? Darüber gibt eine interne Studie der eigens gegründeten | |
Entwicklungsgesellschaft Gematik Auskunft. Den größten Vorteil haben die | |
Krankenkassen, die in den ersten fünf Jahren angeblich 2,6 Milliarden Euro | |
an Verwaltungskosten einsparen könnten. Die Ärzte hingegen sollen danach zu | |
den Verlierern gehören: Sie müssen für die Gesundheitskarte rund 2,5 | |
Milliarden Euro in Computer und Software investieren. Durch die neue E-Card | |
fallen zudem 26 Stunden Mehrarbeit an - in jeder Praxis pro Monat. | |
4 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Tarik Ahmia | |
Tarik Ahmia | |
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