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# taz.de -- EU-Gericht kippt VW-Gesetz: Ein Relikt der Nachkriegszeit fällt
> Nationalstaaten können ihre strategischen Interessen wahren. Aber nicht
> so.
Bild: VW-Verwaltungsgebäude in Wolfsburg
FREIBURG taz Das VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen entscheidenden
Einfluss auf den Konzern sicherte, gehört bald der Vergangenheit an. Wie
erwartet beanstandete der Europäische Gerichtshof (EuGH) die aus dem Jahr
1960 stammende Regelung, weil sie gegen das Recht auf freien Kapitalverkehr
verstoße.
Das Gesetz schreibt unter anderem vor, dass kein Anteilseigner mehr als 20
Prozent der Stimmrechte ausüben kann. Zusätzlich sind für bestimmte
Entscheidungen 80 Prozent der Kapitalanteile erforderlich. Damit hat das
Land Niedersachsen, das derzeit etwas über 20 Prozent der VW-Anteile hält,
faktisch ein Veto-Recht.
Auf Klage der EU-Kommission stellte der EuGH gestern fest, dass das
VW-Gesetz gegen den EG-Vertrag verstößt. Das Gesetz sei dazu geeignet,
Investoren aus anderen EU-Staaten von Beteiligungen an VW abzuhalten, weil
es deren möglichen Einfluss beschränke. Ironischerweise nützt das Gesetz
nun aber vor allem einem deutschen Unternehmen, nämlich dem Großaktionär
Porsche, der derzeit 31 Prozent der VW-Anteile hält.
Die Bundesregierung hatte sich darauf berufen, dass das VW-Gesetz einen
historischen Kompromiss darstelle. Das Werk war nach 1945 faktisch
eigentümerlos. Damals erhoben nicht nur der Bund und das Land Niedersachsen
Ansprüche, sondern auch Kleinsparer, die der NS-Diktatur Geld zum Bau eines
"Kraft-durch-Freude-Wagens" geliehen hatten. Außerdem forderten die
Gewerkschaften ihren Anteil, weil das Werk mit geraubten
Gewerkschaftsgeldern gebaut worden war. Und schließlich argumentierten die
Arbeitnehmer, dass sie nach dem Krieg 15 Jahre lang den Aufschwung des
VW-Werks bewirkt hatten.
In einem Kompromiss wurde VW 1960 privatisiert. Ärmere Leute konnten
verbilligt Aktien kaufen. Der Erlös der Privatisierung floss in die
gemeinnützige Volkswagenstiftung. Niedersachsen und der Bund behielten
große Aktienpakete, die mit Sonderstimmrechten versehen wurden. So sollten
die Arbeitnehmer vor einem dominanten Großaktionär geschützt werden. Der
Bund hat seine Aktien längst verkauft. Derzeit nützt das Gesetz nur noch
dem Land Niedersachsen, das so nicht zuletzt regionale Standortinteressen
verteidigt.
Dem EuGH war die Vorgeschichte egal. Entscheidend sei, dass das Gesetz
heute den freien Kapitalverkehr behindere.
Hilfsweise hatte die Bundesregierung vorgebracht, das Gesetz schütze die
Rechte der Arbeitnehmer. Im Ansatz akzeptierte das Gericht durchaus, dass
der Kapitalverkehr mit diesem Ziel beschränkt werden kann. Es sei jedoch
nicht erforderlich, einen öffentlichen Großaktionär zu protegieren, um
Arbeitnehmer zu schützen, diese seien ja selbst im Aufsichtsrat vertreten.
In der Vergangenheit hatte der EuGH mehrfach Regelungen beanstandet, bei
denen sich EU-Staaten mit Hilfe von "goldenen Aktien" maßgeblichen Einfluss
bei Infrastrukturunternehmen sichert. Zwar akzeptiert der EuGH im Prinzip
solche strategischen Interessen der Nationalstaaten, doch die Ausübung der
Rechte müsse klar geregelt und gerichtlich überprüfbar sein. Diesen
Anforderungen genügte bisher nur eine belgische Regelung im Energiesektor.
Auf solche Ausnahmen versuchte sich die Bundesregierung jetzt erst gar
nicht zu berufen. Schließlich muss man sich um die Grundversorgung der
Deutschen mit Autos keine Sorge machen. (Az.: C-112/05)
24 Oct 2007
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Europäischer Gerichtshof
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