# taz.de -- Montagsinterview mit Andrej Holm: "Was für eine Zeitverschwendung!" | |
> Wegen angeblicher Unterstützung von Terroristen war Holm drei Wochen in | |
> Untersuchungshaft. Ein Gespräch über den Einbruch des Verdachts ins | |
> Leben, den Knastalltag und die Solidarität. | |
Bild: Die Polizei ist mit Christopher W. beleidigt | |
taz: Herr Holm, wenn Sie an die drei Wochen Untersuchungshaft zurückdenken, | |
was fühlen Sie da: Trauer? Wut? Genugtuung? | |
Andrej Holm: Eher eine Form von schlechter Laune. Auf der anderen Seite war | |
die Aufhebung des Haftbefehls eine große Erleichterung. Davor war noch die | |
Angst da, wieder in den Knast zu müssen. Manchmal hat ein Polizeifahrzeug | |
auf der Straße ausgereicht, diese Angst auszulösen. Oder das Klingeln an | |
der Tür, wenn man keinen Besuch erwartet. | |
Am 31. Juli hat es bei Ihnen geklingelt. Was passierte genau? | |
Die haben nicht geklingelt. Die haben mit Füßen oder Fäusten gehämmert und | |
riefen: "Polizei! Polizei!" Es war kurz vor sieben am Morgen, ich habe es | |
noch geschafft, mir eine Hose anzuziehen und die Tür zu öffnen, bevor sie | |
eingetreten wurde. Eine Gruppe bewaffneter Männer hat mich dann überrollt, | |
meine Arme wurden mit einer Handschelle auf dem Rücken zusammengebunden. | |
Einer der Beamten kniete auf mir. Die andern sind mit gezogenen Waffen | |
durch die Räume gegangen. | |
Auch in die Zimmer, in denen sich Ihre Lebensgefährtin und Ihre beiden | |
Kleinkinder befanden? | |
Das war denen egal. Sie sind rein, haben gerufen: "Raum eins gesichert. | |
Raum zwei gesichert." Wie man es halt in der Ausbildung lernt. | |
Wussten Sie, weshalb das alles? | |
Überhaupt nicht. Ich fragte mich eher: Was wollen die von mir? Erst nach | |
einer Weile haben sie mich mit dem Vorwurf konfrontiert. Da war ich nicht | |
nur überrascht, sondern auch fassungslos. | |
Was haben Ihnen die Beamten vorgehalten? | |
Es war eine regelrechte Belehrung: "Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen | |
Sie wegen des Vorwurfs, Mitglied einer terroristischen Vereinigung | |
'militante gruppe' zu sein." Völlig absurd. Am liebsten hätte ich | |
losgelacht. Ich hab es mir verkniffen und gedacht: Okay, dann sucht doch | |
mal, ob ihr die militante Gruppe bei mir in der Küche oder unterm Bett | |
findet. | |
Wann wurde Ihnen klar, dass es doch ernst gemeint war? | |
Das hat gedauert. Auch nachdem ich zum LKA an den Tempelhofer Damm gebracht | |
und erkennungsdienstlich behandelt worden war, dachte ich, das wird sich | |
schon auflösen. Dieser Optimismus hielt sogar bis zur Vorstellung beim | |
Haftrichter in Karlsruhe, insbesondere nachdem ich zusammen mit meiner | |
Anwältin die Argumentation der Bundesanwaltschaft gelesen hatte. Auf der | |
anderen Seite waren da die drei Männer, die in weißen Ganzkörperanzügen in | |
den Hubschrauber gebracht wurden. Meine erste Assoziation war Guantánamo | |
und dass irgendwas hier ziemlich ernst gemeint sein muss. | |
Einen dieser Männer sollen Sie unter konspirativen Umständen getroffen | |
haben. | |
So steht es jedenfalls in den Akten. Als konspirativ galt vor allem, dass | |
die Verabredungen über einen anonymen E-Mail-Account vereinbart worden sein | |
sollen und bei den Treffen keine Mobiltelefone geortet werden konnten. Aber | |
die Hauptargumentation war eine andere: Im Antrag zum Haftbefehl stand zu | |
meiner Überraschung, dass gegen mich und drei Freunde schon ein Jahr | |
ermittelt wurde - wegen so schlimmer Dinge wie der "intellektuellen | |
Kapazität, einen Text schreiben zu können" oder "Begriffe wie | |
Prekarisierung oder Gentrification benutzen zu können". Das waren die | |
Indizien für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. | |
Aus dieser Beweislage wurden dann drei Wochen Untersuchungshaft in Moabit. | |
Wie war der Knastalltag? | |
Ich war in einer Einzelzelle untergebracht. Sieben Quadratmeter, die waren | |
vollgestellt mit Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, Waschbecken und Toilette. Man | |
liest ja manchmal, die Gefangenen schritten ihre Zelle ab und zählten die | |
Schritte. Das war gar nicht möglich. Das Einzige, was ging: Den Stuhl aufs | |
Bett stellen und Kniebeugen machen. Dazu kam, dass ich als | |
Terrorismusverdächtiger 23 Stunden in der Einzelzelle war und nur eine | |
Stunde Hofgang hatte. | |
Wären Sie gerne in Gesellschaft gewesen? | |
Aus meinem Fenster konnte ich den Hofgang der anderen beobachten. Ehrlich | |
gesagt, ich hatte wenig Lust, mich da reinzubegeben. Immerhin waren beim | |
Hofgang, den ich hatte, noch zwei andere dabei, von denen einer Deutsch | |
konnte. Das war gut, da mal ein bisschen quatschen zu können oder zu | |
fragen, worin sich die Wärter unterscheiden. | |
Und? Unterscheiden Sie sich? | |
Am deutlichsten die Männer von den Frauen. Die Männer waren schroffer. Bei | |
manchen Frauen hatte ich das Gefühl, dass sie sich für meine Situation | |
interessieren. Die haben auch gefragt, was ein Sozialwissenschaftler so | |
macht: "Das sind ja interessante Sachen, die man da tut. Meine Tochter | |
studiert auch Geografie. Muss die denn jetzt aufpassen, wenn sie eine | |
Hausarbeit schreibt?" Die hatten in der Zeitung von der Festnahme gelesen. | |
Da gab es so was wie einen ganz normalen Dialog, der mit den Männern nicht | |
zustande kam. | |
Also keine Knastschikane. | |
Nein. Alle waren sehr höflich zu mir. "Herr Doktor Holm" habe ich im Knast | |
häufiger gehört als an der Uni. | |
Ihre Verhaftung hat zu einer beispiellosen Solidarität geführt, nicht nur | |
in Berlin und Deutschland, sondern auch im Ausland. Was haben Sie im Knast | |
davon mitbekommen? | |
Zunächst haben die Anwälte von Unterschriftenlisten erzählt und dass es in | |
Fulda bei der Attac-Sommerakademie eine kleine Demo gegeben hat. In Moabit | |
gab es gleich zu Beginn eine Knastdemo, von der ich zwar nichts gehört | |
habe, im Radio aber habe ich in den Verkehrsmeldungen mitbekommen, dass die | |
Straße vor dem Knast gesperrt ist. | |
Dachten Sie auch mal: Von denen will ich lieber keine Unterstützung? | |
Nein. Zwar gab es auch Soliadressen von sehr traditionell orientierten | |
kommunistischen Gruppen. Da dachte ich aber eher: Dass du dich über deren | |
Stellungnahmen freust, hättest du vor einem halben Jahr nicht gedacht. Der | |
Konsens von allen war ja: Einstellung der Verfahren und Freilassung der | |
vier Festgenommenen. | |
Was denkt der linke Soziologe über die "militante gruppe"? | |
Was deren Veröffentlichungen betrifft, bin ich sicher nicht textfest. Ab | |
und an habe ich mal ein Schreiben von denen gelesen, in den Akten wurden | |
auch Texte von denen als Beweismaterial beigelegt. Da gibt es wohl eine | |
starke ideologische Ausrichtung auf die kommunistische Weltgesellschaft. | |
Damit kann ich, damit können auch die meisten meiner Freunde wenig | |
anfangen. Viele von ihren Themen jedoch sind die Themen, die auch sonst in | |
der Linken und bei sozialen Bewegungen diskutiert werden. Aber als | |
zentralen Stichwortgeber für eine linke Politik habe ich sie nie | |
wahrgenommen. Da waren die Aktivitäten gegen den G-8-Gipfel wichtiger. | |
Ein Thema, mit dem Sie sich beschäftigen, ist Gentrification, die | |
Aufwertung von Stadtteilen und die Verdrängung der Bewohner. Ein Begriff, | |
dessen Verwendung Sie in den Augen der Bundesanwaltschaft zum | |
Terrorverdächtigen macht. Sie haben nach der Wende die Initiative "Wir | |
bleiben alle" mitgegründet, waren in der Betroffenenvertretung | |
Helmholtzplatz, haben sich Forderungen wie dem nach Mietboykott | |
angeschlossen. Was ist geblieben? | |
Wenig. Die Schlacht gegen die Aufwertung haben wir ja leider verloren. | |
Was ist Prenzlauer Berg für Sie heute? | |
Ein Stadtteil, in dem ich lange Zeit gewohnt habe. Ein Stück Heimat, an das | |
viele Erinnerungen geknüpft sind. Der Ort in der Stadt, an dem ich | |
Veränderungen am intensivsten wahrnehme, weil ich auch den Ausgangszustand | |
intensiver in Erinnerung habe. Es gibt Traurigkeit und Wehmut, weil den | |
Erinnerungen die Orte genommen wurden. Wenn ich mir das aus der | |
sozialwissenschaftlichen Perspektive anschaue, ist Prenzlauer Berg | |
inzwischen eines der wohlhabendsten Gebiete der Stadt mit einer sehr | |
jungen, karriere-, aber auch familienorientierten Klientel. | |
Was ist schlimmer: eine Veränderung nicht verhindern zu können oder | |
feststellen zu müssen, dass genau diese Veränderung den Bezirk Prenzlauer | |
Berg so attraktiv macht? | |
Als jemand, der sich an den Auseinandersetzungen beteiligt hat, muss ich | |
sagen: Die Niederlage schmerzt. Aber dass es Leute gibt, denen der sanierte | |
Bezirk gefällt, erstaunt nicht. Die Urbanitätsvorstellungen der | |
Mittelklasse sind nun mal der kulturelle Ausgangspunkt einer jeden | |
Aufwertung. | |
Einer, der den Bezirk auch attraktiv findet, ist Ihr Doktorvater Hartmut | |
Häußermann. Er hat sich dort ein Haus gekauft. Gabe es deshalb Kontroversen | |
zwischen Ihnen und Häußermann? | |
Ja. Es ging lange Zeit um die Frage: Gibt es Verdrängung oder nicht? Das | |
haben wir in fachlichen Auseinandersetzungen ausgetragen. Was für einen | |
Mieteraktivisten wie mich eher Verdrängung war, war für Häußermann Ausdruck | |
eines städtischen Wandels. | |
Hat es Sie überrascht, dass Häußermann gleich nach Ihrer Festnahme zu den | |
Initiatoren der Protestbewegung gehörte? | |
Es hat mich sehr gefreut. Ich erinnere mich noch, wie ich im Knast die | |
Abendschau geschaut habe, und Häußermann hat dem Publikum vor laufender | |
Kamera erklärt, was Gentrification ist. | |
Wie war Ihre erste Begegnung nach Ihrer Freilassung? | |
Hochemotional. Häußermann hat mir nach über zehn Jahren Zusammenarbeit | |
spontan das Du angeboten. Das halten wir bis heute so. Sein Engagement hat | |
für mich auch den antiquierten Begriff des Doktorvaters mit Leben gefüllt. | |
Als Sozialwissenschaftler sind Sie nun bekannt wie nie zuvor. Ist das | |
hilfreich oder eher ein Nachteil? | |
Bekannt ist vor allem der Fall Andrej H. Der Wissenschaftler Andrej Holm | |
wird sich neu beweisen müssen. Es würde mich nicht überraschen, wenn das | |
Interesse an meinen Veröffentlichungen und Thesen steigt. Auf der anderen | |
Seite ist der Kontext meiner Popularität bei Bewerbungen an Universitäten | |
oder Instituten sicher nicht förderlich. | |
Hat das alles, rückwirkend betrachtet, auch einen Sinn gehabt? | |
Wenn, dann vielleicht den, dass schon lange nicht mehr so viel über | |
Aufwertung und Verdrängung diskutiert wurde. Ansonsten war das alles eine | |
grandiose Verschwendung von Zeit. | |
Was hat Ihnen nach der Freilassung am meisten geholfen? | |
Die breite Unterstützung von Freunden und auch Kollegen, die ja bis heute | |
einen großen Teil der Soliarbeit stemmen. Und, auch wenn es eine bisschen | |
spießig klingt: das Familienleben. Für die Kinder war ich auf Dienstreise. | |
Nun bin ich wieder zurück. Wenn wir zusammen auf dem Sofa sitzen, ist das | |
die beste Gelegenheit, einfach mal abzuschalten. | |
11 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
Uwe Rada | |
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