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# taz.de -- Das späte Glück des kleines Verlages Nautilus: Und plötzlich ein…
> Nach "Tannöd" verkauft sich nun auch der neue Kriminalroman "Kalteis" von
> Andrea Maria Schenkel sehr gut. 200.000 Exemplare wurden diesen Herbst
> schon umgesetzt.
Bild: Seit mehr als 30 Jahren im Geschäft: Verleger Mittelstädt und Schulenbu…
Zehn Manuskripte gehen im Schnitt bei der Edition Nautilus in Hamburg ein,
sagt Hanna Mittelstädt. Täglich und zumeist unverlangt. Deckel auf, Deckel
zu. Hanna Mittelstädt prüft sie alle. Neben ihrem Partner Lutz Schulenburg
betreibt die Frau mit den hennaroten Haaren die Edition Nautilus nun seit
mehr als dreißig Jahren.
Vor drei Jahren hatte Mittelstädt plötzlich Andrea Maria Schenkel aus
Bayern am Telefon. Schenkel: "Machen Sie auch Krimis?" Mittelstädt: "Ja,
zwei im Jahr. Aber nur wenn sie gut sind."
"Tannöd" war gut. Zumindest gut genug, dachten Schulenburg und Mittelstädt,
um davon 2.000 Exemplare verkaufen zu können. 2.000 verkaufte Exemplare,
das ist für Verleger so in etwa das Minimum, um ein unaufwendig
produziertes Buch zu finanzieren, will man nicht von vornherein ein Minus
einkalkulieren.
Bei neun anderen Verlagshäusern hatte Schenkel zuvor mit ihrem
"Tannöd"-Manuskript angeklopft. Alle hatten dankend abgelehnt. Kurz davor
aufzugeben, fiel ihr Blick auf eine Billie-Holiday-Biografie in ihrem
Buchregal. Ein Band aus der Edition Nautilus, schön gestaltet. Die
45-Jährige aus Niederbayern rief in Hamburg an. Der Rest der Geschichte ist
bekannt. "Tannöd" erschien 2005 bei Nautilus und sollte, wie Schulenburg in
der Programmvorschau für diesen Herbst schrieb, schon bald das
"Verlegerherz ölen".
Schinkels Kriminalroman um einen nie aufgeklärten Mord an einer
Bauersfamilie vor achtzig Jahren stürmte die Charts und hält sich seit
knapp einem Jahr hartnäckig in den obersten Verkaufsrängen. Kehlmann ist
längst verdrängt, nur Harry Potter ist vorne nicht wegzukriegen.
Von Schenkels Erstling hat Nautilus mittlerweile eine halbe Million
Exemplare abgesetzt. Ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. Der zweite
Roman Schenkels, "Kalteis", folgte jetzt im August und bewegt sich nach nur
vier Monaten schon auf die 200.000 ausgelieferten Exemplare zu. Nach
"Tannöd" erneut eine kaum glaubliche Erfolgsgeschichte.
Bisher waren solche Auflagenhöhen im Krimigenre nur von ausländischen
Autoren zu erzielen, mit großen Verlagshäusern und entsprechenden
Werbeetats im Rücken. Die Edition Nautilus hingegen galt als verlegerischer
Zwerg. Beheimatet in Hamburg-Bergedorf, entstand sie 1974 als ein Relikt
der 68er-Bewegung und konnte sich rühmen, die Speerspitze der in
Deutschland eher marginal gebliebenen Situationistischen Internationale
(SI) zu bilden.
Verleger Lutz Schulenburg, oberster Situationist in Deutschland, bemühte
sich nach Kräften. Doch die Schriften von Guy Debord und anderen blieben
einem breiteren Publikum verschlossen. Roberto Ohrts bei Nautilus
erschienenes Standardwerk "Phantom Avantgarde" informiert bis heute
zuverlässig über die SI, dieses künstlerisch-aktivistische Phänomen der
Nachkriegszeit.
Wie historischen Fotografien zu entnehmen, trägt Schulenburg noch die
gleiche Mähne wie vor dreißig Jahren. Etwas grauer sind sie geworden, aber
genauso lang. Der hagere Typ aus dem Norden zählt mit Partnerin Mittelstädt
wohl zu den ausdauernsten Anarchoiden des gegenwärtigen deutschsprachigen
Literaturbetriebs. Sie repräsentieren eine inzwischen vom Aussterben
bedrohte undogmatisch-existenzialistische Verlagsszene, deren Werke im Zuge
der außerparlamentarischen Bewegung einmal für die Revolution gedacht
waren, heute im Minimum für eine radikal bessere Welt stehen sollen.
Früher verbanden sich damit so klangvolle Namen wie Rotbuch, März, Roter
Stern, Karin Kramer, Zweitausendeins oder Wagenbach. Die meisten von ihnen
segneten längst das Zeitliche, wurden veräußert oder haben sich als ganz
normale Adressen des Betriebs etabliert. K. D. Wolfs Roter Stern/Stroemfeld
veröffentlichte einst die Schriften von Nordkoreas Kim Il Sung, um endlich
bei Hölderlin-Gesamtausgaben zu landen.
Kleinere Verlagsgründungen suchen heute unter den veränderten Bedingungen
nach einer inhaltlich oppositionellen Profilierung, die sie von den
Programmen der Großen erst unterscheidet und von der Traditionslinke wie
die Edition Nautilus immer schon ein Übermaß besaßen. Unbeirrbar steuerten
Schulenburg und Mittelstädt auch durchs postmoderne Büchermeer der 80er und
90er. Die Nussschale Nautilus glänzte zuletzt vor allem durch voluminöse,
ferrarirote Biografien mehr oder minder verdienter Revolutionäre (Bakunin,
Durruti, Che Guevara oder Chávez). Sie schienen stärker zur Identifizierung
als zu einer distanzierten Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe der
radikalen Linken zu tendieren.
An der - ohne Zweifel verlegerisch verdienstvollen - Beschäftigung mit dem
deutschen Dada-Aktivisten, Räterevolutionär, Unternehmer und Schriftsteller
Franz Jung wären die Nordlichter dann fast abgesoffen. Nautilus widmete
Jung, dieser vielleicht schillernsten Figur des linken Aktivismus in
Deutschland der 1920er Jahre, eine große und teure Werkausgabe. Nach dem
Ende der DDR mussten sich die Hamburger zu allen Überdruss noch eine
Übernahmeschlacht mit der Ostberliner Dissidenz um die Rechte am Nachlass
Jungs liefern.
Umso unwahrscheinlicher und überraschender ist also nun der Megaerfolg von
Nautilus mit der Kriminalautorin Schenkel. Die Verlagsauslieferung SoVa
(Sozialistische Verlagsauslieferung) mit Sitz in Frankfurt am Main kommt
mit dem Bücherpacken kaum hinterher. Kein Mensch hätte damit gerechnet,
dass Schenkels Romane derart reüssieren. Buchhandelsvertreter rieten noch
auf der Verlagskonferenz von einer Veröffentlichung des
"Tannöd"-Manuskripts ab, berichten Schulenburg und Mittelstädt schmunzelnd.
Unverkäuflich sei Schenkels halbdokumentarischer Schreibstil, der Handlung
fehle die Figur eines Detektivs oder polizeilichen Ermittlers.
Nun dürfen sich alle in der Branche über die schönen Geschäfte mit "Tannöd"
und "Kalteis" freuen. Schulenburg und Mittelstädt scheinen jedoch lange
genug dabei zu sein, um jetzt nicht abzuheben. Der Markt und die Konkurrenz
sind unerbittlich. Schenkel wird sehr wahrscheinlich die Ausnahme in der
Geschichte von Nautilus bleiben.
Doch ganz aus heiterem Himmel kam der Coup mit den Krimis aber auch nicht,
wie die im Understatement geübten Hanseaten jetzt gerne glauben machen. Für
politisch engagierte Verleger agierte Nautilus immer schon relativ
unorthodox und dem Populären gegenüber aufgeschlossen.
Unorthodox war das frühe Interesse für künstlerischen Aktionismus,
Unnützliches und die Beschäftigung mit Techniken der Propaganda. Die
Publikation schwärmerischer und subkultureller Texte von Dada, bis zu den
Satiren und Polemiken Wiglaf Drostes waren sicherlich ein Gegengift zu den
Verobjektivierungstendenzen der zu Humorlosigkeit neigenden linken
"Gegenkultur". Und so gab es neben dem Interesse an revolutionärer
Dissidenz und Negationismus (herausragend hierfür die Übersetzung von
Jacques Mesrines: "Der Todestrieb") immer auch ein gewisses Gespür für
Zeitgeist und Unterhaltung. Vor Schenkel publizierte man bereits Erzähler
wie Franz Dobler, Ingvar Ambjørnsen oder Sean McGuffin und war mit "Dinner
for One" erfolgreich. Jahrelang lebte der Verlag von diesem beliebten
Silvestersketch. Für hochkulturell Orientierte ein Graus, vertreibt
Nautilus von "Dinner for One" inzwischen acht verschiedene Varianten, "op
platt", "off säggssch" oder "schwyzerdütsch", Hörbuch inklusive.
Von "Dinner for One" hätten sie bestimmt 100.000 Stück verkauft, sagt
Mittelstädt im Gespräch. "Nee, mindestens 200.000 Exemplare oder mehr",
korrigiert Schulenburg.
Zur Freude der beiden muss Schenkel von der Konkurrenz nun auch literarisch
Ernst genommen werden. Elke Heidenreich beschrieb "Tannöd" in ihrer Sendung
enthusiastisch: "Der Kommissar sind wir beim Lesen, wir sind die Ermittler.
Ganz zum Schluss erfahren wir, wer der Täter war und sind sehr verblüfft."
Lustigerweise funktioniert nun das nicht minder beliebte "Kalteis" genau
anders als von Heidenreich beim ersten Roman beschrieben: Die Auflösung
steht am Anfang, was der Spannung nicht schadet. Die Perspektive Schenkels
richtet sich in beiden Romanen auf historisch sehr brutale Familien und
Geschlechtshierarchien, auf stumpfe Rohheiten im Alltag "einfacher Leut" in
vordemokratischen Milieus. Diese Mischung aus dokumentarischer Prosa,
Zeitgeschichte, Kriminalhandlung und feministischer Perspektive überzeugt
und unterhält viele.
Und die Autorin hat offenbar genug Rückgrat, um weiterhin bei Nautilus zu
bleiben. Ein dritter Roman sei bereits im Entstehen, sagen Schulenburg und
Mittelstädt.
So konnten im Hause Nautilus nach Jahren des Darbens die Bezüge der fünf,
sechs festen Mitarbeiter angehoben werden. Und auch eine Alterssicherung in
Form einer innerstädtischen Immobilie ist im Visier. Eine "offene
Werkstatt" in Altona wie Mittelstädt betont. Offensichtlich stresst sie die
Aussicht auf den Besitz noch ein wenig, während Schulenburg sich, in guten
wie in schlechten Zeiten, entspannt eine Zigarette dreht.
14 Nov 2007
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Hamburg
Hamburg
Verleger
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