# taz.de -- Autor mit Hang zu schrägen Charakteren: Normal kann jeder | |
> Der norwegische Bestseller-Autor Ingvar Ambjørnsen lebt in Hamburg. Nach | |
> einer Parodie auf den Literaturbetrieb schreibt er einen Elling-Roman | |
Bild: Schreibt seine norwegische Krimis in Hamburg: Ingvar Ambjørnsen. | |
Hamburg taz | Einen Plan B hat Ingvar Ambjørnsen nie gehabt. „Ich wusste | |
mit 14 Jahren, dass ich Schriftsteller werden will, und habe davon gelebt, | |
seit ich Mitte zwanzig bin. Wenn man einen Plan B hat, wird man kein | |
Schriftsteller“, sagt er. Der 60-jährige Norweger wurde Ende der | |
1990er-Jahre mit den Elling-Romanen zum Bestsellerautor, die in der | |
Verfilmung von Petter Næss zur Indie-Kultkomödie avancierten. Die | |
Theaterfassung hatte 2003 im Schmidts Tivoli ihre deutsche Erstaufführung | |
und wurde danach an 50 Theatern gespielt. | |
Der Protagonist Elling, ein psychisch labiler Sonderling, der nach dem Tod | |
seiner Mutter von der Polizei im Schrank gefunden wird und im Rahmen einer | |
Resozialisierungs-WG den Weg in die Selbstständigkeit finden soll, ist eine | |
Schlüsselfigur im Werk Ambjørnsens. Elling ist seltsam, an der Grenze zum | |
Wahnsinn, mit dem funktionalistischen Menschenbild des Kapitalismus | |
überfordert – und dabei von Ambjørnsen absolut liebenswert und | |
verständnisvoll beschrieben. | |
Ambjørnsen kommt selbst aus der „Freak-Szene“, wie er sie nennt, aus der | |
linksalternative Osloer Subkultur, in der er zehn Jahre mit viel Alkohol | |
und Drogen, aber ohne festen Wohnsitz gelebt hat, bevor es ihn 1985 der | |
Liebe wegen nach Hamburg zog. Davor brach er eine Gärtnerlehre ab, | |
versuchte sich als Schriftsetzer und arbeitete in der Psychiatrie. In | |
Norwegen wurde er 1986 mit dem von seiner eigenen Jugend inspirierten Roman | |
„Weiße Nigger“ über drei Freunde aus der Provinz bekannt, die die Drogen, | |
die Liebe und den Ausstieg aus der Gesellschaft entdecken. | |
„Danach war ich in Oslo quasi eine Berühmtheit. Norwegen ist ja eigentlich | |
eine Kleinstadt.“ Ambjørnsen genießt die Freiheit, in Deutschland in Ruhe | |
leben und arbeiten zu können. Als er nach Hamburg kam, fand er die Stadt – | |
man kann es sich heute kaum vorstellen – außerdem so billig, dass er sich | |
wie im Schlaraffenland vorkam: „Als ich nach Hamburg kam, hatte ich drei | |
Bücher veröffentlicht, stand aber ökonomisch noch auf sehr wackeligen | |
Beinen. Und Hamburg war für einen Norweger wahnsinnig billig, der Alkohol, | |
die Wohnungen, alles.“ | |
Mit dem Umzug nach Hamburg kehrte Ruhe und eine enorme Produktivität in das | |
Leben von Ingvar Ambjørnsen ein: „Ich weiß eigentlich gar nichts mehr von | |
den 1980ern, weil ich nur geschrieben habe.“ Seitdem veröffentlicht er im | |
Durchschnitt pro Jahr ein bis zwei Werke, von Romanen über Krimis und | |
Kinderbücher bis hin zu politischen Reiseführern für Norwegen. Außerdem | |
schrieb er fast 35 Jahre für die norwegische Presse. | |
## Ein glühender Nazi | |
Welches Vorbild hat ein Autor bei einem so diversen literarischen Werk? Zu | |
seinem Lieblingsautor, dem norwegischen Nobelpreisträger Knut Hamsun, hat | |
Ambjørnsen ein äußerst ambivalentes Verhältnis. „Der schreibt einfach so | |
verdammt gut, ein genialer Schriftsteller. Leider politisch ein kompletter | |
Idiot.“ Hamsun kritisierte die traditionelle bürgerliche Gesellschaft und | |
deren Werte, propagierte Naturverbundenheit – und war ein glühender Nazi. | |
In Hamburg lebte Ambjørnsen mit seiner Frau, der Übersetzerin Gabriele | |
Haefs, zunächst in St. Georg, seit Anfang der 1990er-Jahre im schickeren | |
Hoheluft. Das Viertel, dem er auf seiner Website eine Hommage gewidmet hat, | |
taucht in seinen Werken immer wieder auf. Dem Innocentiapark hat er 2006 | |
einen ganzen Roman gewidmet, und die Idee zur Figur des Elling ist dem | |
Schriftsteller beim Anblick der Grindelhochhäuser gekommen. | |
## Kleinstadt-Psychopath | |
Elling sollte eigentlich ein sehr unangenehmer Mensch werden. „Wenn ich mit | |
einem Roman anfange, weiß ich immer sehr wenig über die Figur und die | |
Handlung. Das entwickelt sich.“ Elling hatte er sich als | |
Kleinstadt-Psychopath vorgestellt, der Menschen manipuliert. „Aber | |
plötzlich war er so da, wie er jetzt ist: Eigentlich ganz lieb, aber eben | |
schwer krank.“ | |
Ambjørnsen schätzt die Ruhe, die er in Hoheluft und in Deutschland | |
allgemein hat. Auf deutsch schreiben, wollte er aber nie. „Ich bin ein | |
norwegischer Schriftsteller. Natürlich freue ich mich, dass meine Bücher | |
auch ins Deutsche übersetzt werden. Aber mein Publikum ist hauptsächlich in | |
Norwegen, nicht hier.“ | |
Gerade hat Ambjørnsen begonnen, an einem neuen Elling-Roman zu arbeiten. | |
Der letzte Roman der Reihe, „Lieb mich morgen“, erschien 2001. Seither hat | |
Ambjørnsen natürlich neue Figuren entwickelt. Seinen letzten Protagonisten, | |
den fiktiven Bestseller-Krimiautor Alexander Irgens, hat Ambjørnsen im | |
Roman „Aus dem Feuer“ mit für ihn ungewöhnlichem gesellschaftlichen Erfolg | |
gesegnet: Irgens nutzt die gewalttätigen Anfälle seiner Geliebten Vilde, | |
die auf einer Lesereise einen Fan zusammenschlägt, um sein neues Buch zu | |
promoten. Außerdem flirtet er bereitwillig mit den Vertreterinnen der | |
norwegischen Buchhandelsketten, um sich dabei auszumalen, wie er sie im | |
nächsten Roman umbringt, und jammert gelegentlich über seine eigene | |
Selbstreferentialität. | |
Aber auch eine leidlich sympathische Figur wie Alexander Irgens findet | |
Ambjørnsen „ganz okay“. Für ihn ist „Aus dem Feuer“ eine Parodie auf … | |
norwegischen Literaturbetrieb, in dem die großen Verlage eigene Ketten | |
betreiben und die Autoren dafür bezahlen müssen, im Schaufenster prominent | |
platziert zu werden. | |
„Für junge Schriftsteller ist es heute viel schwieriger als bei uns damals. | |
In meiner Zeit gab es zwei große Buchclubs, aber die sind jetzt weg.“ Eine | |
relevante Self-Publishing-Szene gebe es nicht – ohne Plan B zu leben, war | |
in den 1980ern noch einfacher. | |
Die norwegische Presse hängt immer noch an dem Image des saufenden | |
Außenseiters aus der Drogenszene und ist gelegentlich enttäuscht, dass | |
Ambjørnsen in einer Eigentumswohnung in einem bürgerlichen Hamburger | |
Stadtteil wohnt. „Die finden es provozierend, dass ich nicht schlecht lebe. | |
Hier kann man nicht diese typischen Fotos von mir machen, rauchend vor | |
einem Graffiti mit einem Bier in der Hand.“ Immerhin – die Haare sind immer | |
noch lang. | |
Als Ambjørnsens Protagonist Alexander Irgens in der Geschichte gefragt | |
wird, wie autobiografisch seine Werke sind, sagt er: „Ich dehne die Grenzen | |
ein bisschen. Aber nicht sehr.“ So halte es auch die norwegische Presse mit | |
der Wirklichkeit, wenn sie über ihn berichte, sagt Ambjørnsen: „Ich trinke | |
den ganzen Tag Tee, aber wenn ich ein Interview geführt habe, war nachher | |
immer Bier darin.“ | |
Ambjørnsen entzieht sich Erwartungshaltungen: Als linker, sozialkritischer | |
Schriftsteller hat er seine Bücher trotzdem größtenteils im Bokmål, dem | |
konservativen hochnorwegisch verfasst. „In Norwegen kann man an der Sprache | |
hören, ob jemand links oder rechts ist“, sagt Ambjørnsen. „Romane aus dem | |
Drogen- und Kleinkriminellenmilieu wie ‚Weißer Nigger‘ oder ‚Der letzte | |
Deal‘ sind natürlich mit viel Slang geschrieben.“ | |
Besser als Bokmål eigne sich dafür Nynorsk, die Schriftsprache, die der | |
Sprachwissenschaftler Ivar Aasen in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus | |
west- und zentralnorwegischen Dialekten entwickelte. „Aber meistens | |
schreibe ich Bokmål, das verwirrt die Leute.“ Ambjørnsen hat für beide | |
Varianten Sprachpreise bekommen. | |
Noch weiß der Schriftsteller nicht, welche Hindernisse der sogenannten | |
normalen Gesellschaft sein Protagonist Elling dieses Mal überwinden muss. | |
Dass es in dem Roman allzu bürgerlich wird, ist allerdings nicht zu | |
befürchten: „Eine straighte Familiengeschichte interessiert mich überhaupt | |
nicht. Und ganz normale Menschen gibt es sowieso nicht.“ | |
Ingvar Ambjørnsen: Aus dem Feuer. Nautilus 2016, 320 Seiten, 22€ | |
3 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Hanna Klimpe | |
## TAGS | |
Hamburg | |
Krimi | |
Schriftsteller | |
Norwegen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Das späte Glück des kleines Verlages Nautilus: Und plötzlich ein Bestseller | |
Nach "Tannöd" verkauft sich nun auch der neue Kriminalroman "Kalteis" von | |
Andrea Maria Schenkel sehr gut. 200.000 Exemplare wurden diesen Herbst | |
schon umgesetzt. |