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# taz.de -- Chávez scheitert mit Verfassungsreform: Sozialismus fürs Erste ve…
> Das Ergebnis ist knapp, aber eindeutig: Venezuelas Präsident Chávez ist
> mit seinem Verfassungsreferendum gescheitert. In Caracas feiern seine
> Gegner.
Bild: Dieses kleine Büchlein hätte er gerne umgeschrieben: Hugo Chávez geste…
Venezuela, Sonntagnachmittag, 16 Uhr: Das Referendum ist vorbei, die ersten
Wahllokale schließen. Nur dort, wo noch Wähler anstehen, wird weiter
abgestimmt. Nun wird sich zeigen, ob Präsident Hugo Chávez eine Mehrheit
für eine neue, sozialistische Verfassung erzielt hat.
Caracas, 18 Uhr: Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht von einem
Sieg für Chávez. Regierungsnahe Websites melden, drei Umfrageinstitute
hätten in Wahlnachfragen 53, 54 sowie 56 Prozent für den Präsidenten
ermittelt, Nachrichtenagenturen geben die News an die internationalen
Medien weiter.
Vor dem Präsidentenpalast, 20 Uhr: Rot gekleidete Chavistas versammeln
sich, mit Salsamusik und Bier machen sie sich warm für die Wahlparty.
Startsignal soll die erste Verlautbarung der Wahlbehörde sein. Autos mit
"Sí!"-Aufklebern brausen hupend durch die Innenstadt.
21 Uhr: Der nationale Wahlrat bleibt auf Tauchstation. Das chavistische
Wahlkampfbüro gibt eine Pressekonferenz. Vizepräsident Jorge Rodríguez
räumt ein: "Es wird eng."
Mitternacht: Oppositionspolitiker geben siegesgewisse Statements ab,
fordern die Wahlbehörde auf, sich zu äußern.
Montag, 1.15 Uhr: Tibisay Lucena, die Vorsitzende des Wahlrates, fordert
Sieger und Verlierer zu Besonnenheit auf, bevor sie das Ergebnis bekannt
gibt: 50,7 Prozent haben gegen die von Chávez vorgeschlagenen
Verfassungsänderungen gestimmt. Ausgezählt sind erst 88 Prozent der
Stimmen, doch die Tendenz sei "unumkehrbar", sagt Lucena.
1.25 Uhr: Ein gefasster, ungewohnt behutsam formulierender Hugo Chávez
sagt: "Wir erkennen die Entscheidung des Volkes an. Wir respektieren die
Spielregeln nicht zum ersten Mal. Wir leben in einer Demokratie, hier gibt
es keine Diktatur." Die Opposition müsse verantwortungsvoll mit ihrem Sieg
umgehen. Die Bevölkerung ruft er zur Versöhnung auf: "Hoffentlich lernen
wir, unsere Unterschiede zu respektieren, zusammen zu reden und zu
streiten." Weiter sagt er: "Vorläufig haben wir es nicht geschafft", 49
Prozent für den Sozialismus seien jedoch ein "großer Schritt nach vorne.
Ich erhalte den Vorschlag aufrecht - er ist der fortschrittlichste der
ganzen Welt."
Dann zitiert er sein Idol, den Freiheitskämpfer Simón Bolívar: "Alle
Privatpersonen sind für Fehler und Verführungen anfällig, nicht aber das
Volk, das in ausgeprägtem Grad das Bewusstsein über sein Wohl und das Maß
seiner Unabhängigkeit besitzt." Schließlich gelobt Chávez: "Ich habe die
Stimme des Volkes gehört und werde sie immer hören."
2.00 Uhr: In den bürgerlichen Vierteln von Caracas geht das Freudenfest
weiter. Die Sprecher der oppositionellen Studentenbewegung geben
begeisterte Erklärungen ab. "Das haben wir der tief wurzelnden
demokratischen Kultur der Venezolaner zu verdanken", strahlt Teodoro
Petkoff, der Chefredakteur der liberalen Zeitung Tal Cual. Treffend
analysiert er, wem die immer noch zerstrittenen Bürgerlichen den Sieg vor
allem zu verdanken haben: den Dissidenten des "Chavismo", zum Beispiel den
linken Sozialdemokraten der kleinen Partei Podemos, die der Reform bereits
im Parlament die Zustimmung verweigert hatten, oder dem früheren
Verteidigungsminister Raúl Baduel.
"Der Präsident muss endlich verstehen, dass wir eine andere Stimmung in
Venezuela brauchen", sagte Petkoff. "Die Botschaft an ihn lautet: Schluss
mit den Spaltungen, mit den Beschimpfungen, damit, dass er all jene, die
nicht mit ihm einverstanden sind, als Lakaien des Imperiums, Putschisten,
Würmer oder Schlangen bezeichnet."
Es ist die erste schwere politische Niederlage von Chávez in seiner fast
neunjährigen Amtszeit. 2000 und 2006 war er mit klarer Mehrheit
wiedergewählt worden, 2002 überstand er einen Putsch - auch dank der Hilfe
seines langjährigen Weggefährten Raúl Baduel.
Es ist ein Triumph für den 52-jährigen General a. D., der sich erst vor
vier Wochen gegen Chávez gestellt hatte. Baduel dankt Gott und beschwört
die "Einheit in der Vielfalt": "Ein Teil der Gesellschaft, die den
Präsidenten unterstützt, hat klargemacht, dass es Raum für abweichende
Meinungen gibt."
Im Morgengrauen stehen vor dem Miraflores-Palast immer noch Grüppchen
fassungsloser Chavistas. Vor der Abstimmung hatten viele Aktivisten ihren
Unmut hinter vorgehaltener Hand geäußert, jetzt bricht er heraus: "Chávez
hatte nie ein stimmiges Projekt", sagt Juan Martínez, 48, Mitglied einer
Kooperative von Kakaobauern in der Karibikregion Barlovento. "Entsprechend
widersprüchlich war sein Reformvorschlag. Einerseits wollte Chávez die
Basisgruppen stärken und den Großgrundbesitz abschaffen, andererseits hätte
er noch mehr Macht bei sich selbst konzentriert." Auch die 49 Prozent für
das Ja dürfe man nicht als Mandat für den Sozialismus missverstehen, meint
der Exguerillero: "Die meisten haben einfach für Chávez gestimmt, für den
Sozialismus sind höchstens 25 Prozent." Nach seiner ersten Enttäuschung
darüber, dass die Rechte Oberwasser bekommt, kann Juan Martínez dem
Ergebnis doch noch eine gute Seite abgewinnen: "Es ist eine Ohrfeige für
den Sozialismus von oben. Jetzt muss Chávez umsteuern."
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten begrüßten erwartungsgemäß
den Ausgang der Abstimmung. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner
sagte: "Die Demokratie lebt." Allerdings gebe es in der EU auch die Sorge,
dass nun negative Folgen in der Zusammenarbeit im Energiebereich drohen.
Der Staatssekretär im US-Außenminister, Nicholas Burns, sagte, der Ausgang
des Referendums zeige, dass die Menschen in Venezuela die Demokratie
wollten.
4 Dec 2007
## AUTOREN
Gerhard Dilger
## TAGS
Kakao
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