# taz.de -- Venzuela vor der Verfassungsreform: "Chávez will mehr Macht" | |
> Wenn Venezuela Chávez Verfassungsreform zustimmt, ist der Weg in die | |
> Diktatur möglich. Bis die Wirtschaft unabhängig vom Öl wird, kann es aber | |
> noch dauern, so die Wirtschaftshistorikerin Dorothea Melcher. | |
Bild: Aufgeblasener Chavez läd in Caracas zur Abstimmung. | |
taz: Frau Melcher, worauf zielt Hugo Chávez mit der Verfassungsreform ab, | |
über die die Venezolaner am Sonntag abstimmen? | |
Dorothea Melcher: Er will mehr Macht, um sein sozialistisches Projekt | |
umzusetzen. Dabei stehen ihm einige Bestimmungen der jetzigen Verfassung im | |
Weg, etwa bestimmte Eigentumsrechte an Grund und Boden, auch wenn der | |
größte Teil der Landesfläche Staatsland ist. Der Großgrundbesitz soll | |
abgeschafft werden. Hinzu kommt die völlige Verstaatlichung der | |
Bodenschätze, von Öl und Gas. | |
Der Ölsektor wurde doch seit 2005 nationalisiert | |
Es geht nicht nur um den staatlichen Ölkonzern PDVSA, sondern auch um die | |
Dienstleister bei Förderung und Transport. | |
Um Verstaatlichung unumkehrbar zu machen, ist eine Verfassungsänderung | |
nötig? | |
Ja. Die Nationalisierung des Ölsektors stört die USA und die einheimische | |
Oberschicht. Das ist kein Wunder, denn die USA, die Konzerne und der IWF | |
haben in den 90er-Jahren massiv Druck gemacht, dass das Öl in Lateinamerika | |
privatisiert wird. Venezuela war damals eine Art Prüfstein. Ab 1998 haben | |
Chávez und seine Leute das systematisch rückgängig gemacht. Die | |
ausländischen Konzerne wurden unter Druck gesetzt und mussten neue Verträge | |
unterschreiben. Die meisten haben eingelenkt und führen jetzt viel mehr an | |
den Staat ab. Doch dies war sehr mühselig. Die letzten Verträge sind erst | |
vor kurzem abgeschlossen worden. | |
Es gibt viel Kritik an der Art,wie Chávez das Referendum vorbereitet hat. | |
Zu Recht ? | |
Ja, es wurde regelrecht durch das Parlament gepeitscht, nur wenige | |
Außenstehende wurden miteinbezogen. Zudem - und das ist die Hauptkritik der | |
Opposition - soll die Struktur von Staat und Gesellschaft geändert werden, | |
und das ist in dieser Form verfassungswidrig. | |
Aber warum riskiert Chávez eine so aufwändige Abstimmung, die zudem der | |
Opposition Aufschwung gibt? | |
Man merkt, es geht Chávez nicht schnell genug, und deswegen will er auch | |
immer wieder gewählt werden können, damit er sein Projekt ab 2012 | |
weiterführen kann. Er will das Tempo forcieren, aber die Frage ist, ob ihm | |
das gelingt. Es ist unklar, ob er genug qualifizierte Leute hat und ob ihm | |
seine Basis folgen wird - oder was passiert, wenn es langsamer vorangeht | |
oder es ganz zum Stillstand kommt. | |
Droht nach einem Sieg der Weg in eine Diktatur? | |
Die Möglichkeit besteht, denn Chávez hätte dann in vielen Bereichen die | |
absolute Verfügungs- und Ernennungsfreiheit. Die Machtbefugnisse | |
verschieben sich von den gewählten Gouverneuren zu den ernannten | |
Vizepräsidenten für die neuen Regionen, in denen die Bundesstaaten | |
zusammengefasst werden. Wer wird die Ausführungsbestimmungen formulieren? | |
Da sind Konflikte vorprogrammiert, auch zwischen den Gemeinderäten und | |
anderen Instanzen. Viele Leute aus seiner Umgebung sind nicht ehrlich bei | |
der Umsetzung der Ziele, die verteilen das Ölgeld wie eh und je. | |
Welche Art von Sozialismus schwebt Chávez vor? | |
Er redet viel von Kooperativen, die er zu fördern versucht. Chávez will die | |
landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung durch die staatliche | |
Finanzierung von Basisprojekten voranbringen. Es gibt auch Staatsbetriebe, | |
aber wie die funktionieren, wird selten klar. | |
Ist diese "nach innen gerichteten Entwicklung" denn ökonomisch effektiv? | |
Nein, die Ergebnisse sind bescheiden. Statt weniger werden immer mehr | |
Lebensmittel importiert. Viele Zuständige in den Ministerien sind | |
ungeeignet für ihre Jobs. Venezuela ist ja immer noch vom | |
Rentenkapitalismus geprägt, von den Einnahmen aus dem Ölexport. Es ist | |
schwierig, diese Mentalität zu ändern. | |
Und der Geldsegen aus dem Ölgeschäft befördert noch immer die Korruption? | |
Ja, es bildet sich eine neue Staatsklasse heraus, die sich schamlos | |
bereichert, Gouverneure, aber auch Militärs. Die Vetternwirtschaft von | |
Christ- und Sozialdemokraten ist von der der "Boli-Bourgeoisie" abgelöst | |
worden. Die neuen Leute haben Gleichgesinnte eingestellt, bei | |
Ausschreibungen spielt Sachkenntnis oft nur eine untergeordnete Rolle. | |
Andererseits ist es beispielsweise bei PDVSA immer noch ein Problem, dass | |
es Angestellte gibt, die gegen die Politik des Konzerns arbeiten. | |
Chávez geißelt ja gelegentlich Korruption und übermäßige Bürokratie. Hat | |
das Folgen? | |
Selten. Manchmal werden Leute abgesetzt, aber meistens gehen sie straflos | |
aus. | |
INTERVIEW: GERHARD DILGER | |
30 Nov 2007 | |
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