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# taz.de -- "Die Wohlgesinnten" von Jonathan Littell: Kippe, Whiskey, Künstler…
> Die Sache niedriger hängen: Jonathan Littell hielt sich bei einem
> Gespräch über seinen Holocaust-Roman am Handwerk fest. Und am Zigarillo.
Bild: Viel Wirbel um seinen Roman - Jonathan Littell.
Klaus Theweleit verteidigte Jonathan Littell in der taz mit einem Namen:
Thomas Pynchon. In der Tat können "Die Wohlgesinnten" auf einige
Wunscherfüllungsfantasien treffen. Es wäre eben erschreckend und
faszinierend zugleich, einen Roman zu haben, der auf der literarischen Höhe
von "Gravitys Rainbow" alle Aspekte des Nationalsozialismus enthält,
inklusive Judenmord und Bürokratieanforderungen. Gerade für Vertreter einer
Generation, in deren Jugend der Holocaust nur beredt beschwiegen wurde,
muss die Aussicht auf so einen Roman etwas Strahlendes haben. Es läge ja
auch eine Art Triumph darin, wenn die Literatur den Tätern die Perspektive
der Erzählung letztgültig vorschreiben könnte. Allein, "Die Wohlgesinnten"
sind dieser Roman eben nicht. In manchem hat Littells Buch geradezu die
Anmutung einer vormodernen Chronik. Das festzustellen ist keinesfalls eine
rein literaturtheoretisch fundierte Mäkelei. Das hat Auswirkungen auf die
innere Spannung des Romans. Jonathan Littell hat viel Wissenswertes über
Nationalsozialismus und Holocaust hineingepackt, was eine große Leistung
ist. Aber was in dem Roman vorkommt und was nicht, hat auch etwas
Beliebiges. Und dass die Verteidiger des Romans lieber über den Inhalt
reden als über den Stil, ist kein Zufall. So großartig Jonathan Littells
Recherche auch war, seine Darstellungsmittel bleiben begrenzt. Dass auch
Daniel Cohn-Bendit eine ähnliche sympathetische Einstellung zu Littell hegt
wie Theweleit, konnte man zuletzt in Radiointerviews hören und am
Donnerstag auch in Berlin sehen. Jonathan Littell trat zum einzigen Mal in
Deutschland auf. Großer Andrang am Berliner Ensemble, große Aufregung auch.
Und in der Art, wie Daniel Cohn-Bendit den Schriftsteller befragte, lag
etwas Dringliches. So engagiert und mit so viel spürbarer
Aufnahmebereitschaft befragt man Experten oder Künstler, von denen man
Einblicke in die drängenden Probleme der eigenen Existenz erwartet. Man
spürte, dass Cohn-Bendit zu einem pathetischen Gespräch über die großen
Fragen bereit war: Wie kann man das darstellen? Wie konnte das passieren?
Aber ähnlich wie sich der tatsächliche Roman letztlich den Vorerwartungen
entzieht - er ist eben nicht der "Krieg und Frieden"-Roman des Unternehmens
Barbarossa -, so entzog sich sein Autor Jonathan Littell dem
Gesprächsrahmen Daniel Cohn-Bendits. Littell wollte hier jetzt nicht in
einem emphatischen Sinn den Autor des großen Holocaust-Romans geben. Alles,
was er sagte, zielte darauf, die Sache niedriger zu hängen. Er redete über
das Handwerk des Schreibens: Die Leiche sei eine grammatikalische Form,
sagte er; das sei wie bei Malern, die sich bei grausigen Szenen ja auch vor
allem darauf konzentrieren müssten, welche Farben sie verwenden. Er redete
über die wichtigen Einflüsse auf sein Buch und erwähnte dabei neben Hannah
Arendts Theorem von der Banalität des Bösen auch Klaus Theweleits
"Männerphantasien". Und er antwortete mit einem überraschten Unterton auf
Cohn-Bendits Frage, ob sich seiner Meinung nach in Deutschland genug getan
habe: Es sei doch offensichtlich, so Littell, dass die Deutschen viel für
die Aufarbeitung der Verbrechen getan hätten. Jonathan Littell ist niemand,
der bei öffentlichen Debatten gut rüberkommt. Er wirkt ziemlich linkisch,
wie er da groß und schlank in dem schlichten Stuhl auf der Bühne mehr hängt
als sitzt. Den Zigarillo, den er raucht, und den Whiskey, an dem er nippt,
wertet man bald nicht mehr als Künstlerposen. Offenbar fühlt er sich bei so
einem Gespräch so unwohl, dass er sich an etwas festhalten muss. So mag der
Abend vom Ereigniswert her ziemlich enttäuscht haben. Aber wie es diesem
Autor möglich war, sich so eingehend mit dem grausigen Geschehen des
Holocaust zu beschäftigen, wurde auch immerhin deutlich, wenngleich fast
entgegen den Versuchen Cohn-Bendits, das Thema immer wieder hochzureden:
Jonathan Littell sieht den Holocaust eingebunden in einen universalen
Gewaltzusammenhang. Ohne ihn relativieren zu wollen, begreift er ihn im
Zusammenhang der gewalttätigen Geschichte des Kolonialismus; zum Teil sieht
er den Judenmord als Reimport von kolonialistischen Praktiken zurück nach
Europa, unter dem starken Druck eines Weltkriegs. Und er kommt, wenn es um
Erklärungen für Grausamkeiten geht, auf seine eigenen Erfahrungen als
Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Afrika zu sprechen: Wenn grausames
Verhalten nicht nur möglich, sondern auch alltäglich sei, werde es
begangen. Als herausragendes Beispiel einer universalen menschlichen
Grausamkeitsmöglichkeit interessiert Littell der Holocaust als etwas, das
alle angeht. Aber eben nicht mehr in einem so unmittelbaren Sinn wie bei
der vorangegangenen Generation einen selbst. Noch etwas konnte man von dem
Abend mitnehmen: Es ist nicht mehr die Frage, ob über die Täter des
Holocaust geschrieben wird, sondern wie man über sie schreibt. Die
letztgültige Antwort auf diese Frage sind "Die Wohlgesinnten" keineswegs.
1 Mar 2008
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
Klaus Theweleit
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