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# taz.de -- SS-Skandalroman "Die Wohlgesinnten": Nazi-Charakter ohne Zentrum
> Ein dickes Buch übers Tätersein: Jonathan Littells Roman "Die
> Wohlgesinnten" erzählt die Geschichte eines SS-Offiziers und verbleibt an
> der Oberfläche der Monstrosität.
Bild: Kathartischer Blick in die Täterseele: Autor Jonathan Littell.
Niemand macht sich ungewappnet an dieses Buch. Das liegt an dem Setting -
schließlich bewegt man sich als Leser bei der Lebensbeichte eines
SS-Offiziers wie auf feindlichem Terrain -, aber nicht nur daran. Auch die
bei diesem Roman, der von heute an nun also tatsächlich in den
Buchhandlungen ausliegt, massiv herangrollende Vorabaufregung kann einen
nicht nur neugierig, sondern auch vorsichtig gemacht haben.
Skandalumwitterter Bestseller in Frankreich; gewaltiger Vorschuss für die
Übersetzungsrechte; die FAZ gibt, wie zuletzt bei so vielen
populärkulturellen Nazithemen, mal wieder alles. Bevor man die deutsche
Übersetzung von Jonathan Littells "Die Wohlgesinnten" überhaupt in Händen
hielt, hatte man bereits einen ganzen Hallraum aus Schlagwörtern und
literarischen Dramaturgien parat, um dieses Ereignis einzuordnen und
abzufedern. Seien es die Pathosformeln vom Bruder Hitler, den gepanzerten
Männerkörpern oder den ganz normalen Männern, seien es die dramaturgischen
Versatzstücke einer Reise ins Herz der Finsternis - man konnte sie schon
vorab alle aufrufen. Was bedeutet: Schon vor der Lektüre kann einem klar
geworden sein, dass der Rahmen für so ein Buch längst bereitliegt. Da wird
kein Tabu gebrochen und nichts Gefährliches angestellt. Zumal einem die
historische Täterforschung Wissen, Bilder und Thesen an die Hand gegeben
hat, um so eine fiktive Schilderung des Judenmords mit den Realien
abgleichen zu können.
Man wird dieses Vorwissen in keiner Sekunde der langen, langen Lektüre los.
Das spricht nicht für dieses Buch. Jonathan Littells Roman schafft es
nicht, sich als literarisches Ereignis eigenen Rechts zu behaupten. Seine
Sprache ist zu statisch, um die Subjektivität der Perspektive beglaubigen
zu können. Georg Klein hat in der SZ moniert, dieser Autor habe keinen Stil
des Bösen. Das stimmt. Ängstigen muss man sich vor diesem Buch nicht.
Stattdessen stellt sich ein anderer Effekt ein: Man rutscht ständig auf die
Metaebene.
Fast schulbuchmäßig läuft beim Lesen permanent eine Spur mit, auf der man
sich fragt, ob man sich nun mit diesem Ich-Erzähler Dr. Maximilian Aue
identifizieren muss und ob einem so ein Hineinschliddern in eine
SS-Karriere auch hätte passieren können. Fast schon fachmännisch
registriert man die Staffage, mit der Littell das Buch ausstattet, die
Cognac-Saufereien und Männerwitze, die magenumdrehenden Schilderungen
Sterbender und die Fressorgien der Privilegierten. Und zwischendurch nimmt
man fast sachlich immer wieder wahr, wie stark Jonathan Littell auf gängige
Muster zurückgreift, um den Leser zu einer Mischung aus Angewidertsein und
klammheimlicher Übertretungslust zu überreden. So gibt es eine diabolische
Figur im Hintergrund, einen rollstuhlfahrenden Industriellen, der gewaltig
furzt. Und die Assistentinnen dieses Dr. Mandelbrod - schön, blond und in
uniformähnlichen Kostümen steckend - scheinen gänzlich dem Figurenarsenal
eines Nazipornos entnommen zu sein.
"Die Wohlgesinnten" funktioniert wie ein Schwamm. In großer Fleißarbeit hat
Jonathan Littell sich angelesen, was man über die Täter des Judenmords
wissen kann, und er hat dieses Buch sich mit diesem Wissen vollsaugen
lassen. Kaum vorstellbar allerdings, dass irgendjemand das alles
tatsächlich eins zu eins als einen historischen Roman liest - oder wenn,
wird er bald aufgeben, entnervt davon, wie Littell Detail an Detail reiht;
das serielle Bauprinzip eines "und dann geschah dies und dann geschah das"
strukturiert das Buch.
Dafür stellt man irgendwann fest, dass man beim Lesen die ganze Zeit eine
Art Literaturdebatte mit sich selber führt. Und zwar eine andere, als man
erwartet hatte. Irgendwo hatte man eben doch gedacht, mit einer Art
literarischem Stahlgewitter konfrontiert zu werden, einem Einblick in den
Hort des Bösen; und hatte man sich nicht wenigstens klammheimlich schon
Argumente zur Frage zurechtgelegt: Darf ein Autor das? (Klar darf er, es
muss eben nur klappen!) Stattdessen beobachtet man sich beim
Seitenumblättern dabei, wie man nebenbei distanziert das Für und Wider von
entgrenzten Gewaltdarstellungen erörtert oder die Frage, wie die
pornografischen Elemente mit der Obszönität der Massenschlächterei in
Verbindung zu bringen seien. Und die Frage, die sich erhebt, lautet:
Interessiert einen das überhaupt wirklich?
Auf dieser Ebene funktionieren "Die Wohlgesinnten" wie ein aus den Fugen
geratener Reflektor: Der Roman spiegelt die eigenen Erwartungshaltungen
zurück. Zum Beispiel auch die eigene Angstlust-Erwartung eines
kathartischen Geschehens, das so ein literarisches Ringen mit einer
Täterseele mit sich bringen soll. Es ist ein heilsamer Aha-Effekt, dass
dieser Roman sie so gar nicht einlöst. Etwas von Heilserwartung und
Kunstreligiosität war ja auch dabei.
Aber als Abkühlung übersteigerter Erwartungshaltungen ist der Roman
natürlich nicht gemeint. Tatsächlich sollen "Die Wohlgesinnten" wie eine
fiktive Lebensbeichte funktionieren - was das Buch neben seiner
Schwammhaftigkeit dabei so dick macht, ist, dass die Erzählbewegung in zwei
Richtungen verläuft. Zum einen soll das Leben des Max Aue erzählt und dabei
wie in einer Tiefenbohrung von der Entstehung eines nationalsozialistischen
Charakters berichtet werden. Zum anderen will der Roman auch ein Panorama
vom Alltag im Nationalsozialismus sein, von Gefühlen, Denkweisen und
Figuren besonders in den Jahren, als der Zweite Weltkrieg fürs Naziregime
in die Niederlage kippte. Stalingrad markiert dann auch eine dramaturgisch
zentrale Stelle in der Mitte des Romans. Vorher wurde über die Praxis des
Judenmords vor allem in der Ukraine berichtet. Hinterher sehen wir Max Aue
bei seinen zynischen Versuchen zu, noch Juden als Zwangsarbeiter für die
deutsche Rüstungsindustrie übrig zu lassen.
Was nicht funktioniert und den Roman damit zentrumslos erscheinen lässt,
ist die Charakterstudie. Als deren Pfeiler bietet Littell die
Parallelisierung von fehlgeleitetem Idealismus und fehlgeschlagener
frühkindlicher Identitätsbildung an. "Auch ich wollte meinen Stein zum
gemeinsamen Werk beitragen, auch ich wollte mich als Teil des Ganzen fühlen
können", sagt der Ich-Erzähler auf Seite 1063 und beschwert sich
gleichzeitig über den so unidealistischen "Mahlstrom von Intrigen an der
Spitze des Staates". Das Problem ist nun nicht, dass dieses
Teil-des-Ganzen-sein-Wollen sehr platt mit einem Wunsch, in den bergenden
Schoß der Mutter zurückzukehren, in Verbindung gebracht wird (Inzest und
Muttermord spielen dann auch eine Rolle). Das Problem ist, dass man nicht
recht weiß, ob man diese Spur wirklich ernst nehmen soll. Letztlich bleibt
es bei einem Nebeneinander der emotionalen Familienkatastrophe und des
Holocaust.
In zwei Episoden weiß der Erzähler aus der Homosexualität Max Aues
wenigstens literarische Funken zu schlagen. Sehr hübsch die Stelle ziemlich
zu Beginn, in der Aue nach einem flüchtigen Analverkehr im Berliner
Tiergarten direkt vom SD eben nicht inhaftiert, sondern engagiert wird.
Dass konkurrierende Nazi-Organisationen viele Chancen für karrierebewusste
junge Menschen boten, wird sehr deutlich. Die zweite Episode spielt auf der
Krim. Um einen Kameraden zum schwulen Sex zu überreden, versteigt sich der
Erzähler zu umfangreichen Erörterungen darüber, dass Homosexualität doch
eigentlich viel besser als Schwulenfeindschaft zur Nazi-Ideologie passen
würde. Dies ist eine der wenigen Stellen - eine auf Augenhöhe geführte
Diskussion mit einem sowjetischen Politoffizier gehört auch dazu -, bei
denen der Roman etwas Waghalsiges und Ungeschütztes bekommt.
Was wenigstens auf einer Kolportageebene funktioniert, ist das Panorama.
Wenn man denn seine Erwartungshaltungen so weit abgesenkt hat, auch
anliterarisiert weitergegebene historische Forschungen zu goutieren,
bekommt man in der zweiten Hälfte des Buches einige Porträts von Nazigrößen
und ihren Querelen untereinander geboten: Skizzen zu Albert Speer, Heinrich
Himmler, Hans Frank, Adolf Eichmann und vielen Tätern mehr rollen vor einem
ab (Adolf Hitler kommt nur einmal, in einem Fiebertraum verzerrt
beschrieben vor). Über weite Strecken bietet das Buch viel Material über
den Wirrwarr an Stimmen, Ambitionen und Führerwort-Interpretationen, der
damals an den führenden Stellen des Regimes geherrscht haben muss.
Gelegentlich steigert sich der Roman sogar zu einer Bürokratiegroteske und
liefert auch noch interessante Einblicke, wie das Leben in Berlin im
beginnenden Bombenkrieg ablief.
Das ist alles nicht schlecht und entschädigt für manches Krude. Das
wirklich Seltsame aber ist: Mit seinen monströsen Seiten, der
Gehirnmasse-und-Sperma-Prosa, kommt man leicht klar. Irritierend bleibt
nach der Lektüre nur, dass man über diesen Max Aue gerne mehr erfahren
hätte. Fast hat man den Eindruck, als habe sich Jonathan Littell mit seiner
Monstrosität selbst zu sehr vor der Beschäftigung mit einem Nazi gewappnet.
22 Feb 2008
## AUTOREN
Dirk Knipphals
Dirk Knipphals
## TAGS
Entnazifizierung
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