# taz.de -- Israelische Kritiker über SS-Roman: Ab in die Mülltonne | |
> Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten", die Memoiren des fiktiven | |
> SS-Führers Max Aue, ist nun in Israel erschienen und hat eine heftige | |
> Debatte ausgelöst. | |
Bild: Tor zum ehemaligen KZ Sachsenhausen: Littells Roman ist aus der Perspekti… | |
ISRAEL taz Auf Gleichgültigkeit stieß Jonathan Littell, dessen Roman "Die | |
Wohlgesinnten" gerade in hebräischer Übersetzung erschienen ist, nun | |
wirklich nicht. Israelische Reaktionen auf die Memoiren des fiktiven | |
SS-Obersturmbannführers Max Aue reichen von tiefem Ekel bis hin zu | |
Faszination. Kritiker beider Lager werfen sich abwechselnd "Verlogenheit" | |
oder "Voyeurismus" vor. | |
Zum ersten Mal seit sie das Alphabet erlernt habe, so schrieb Ariana | |
Melamed, sei sie unfähig gewesen, ein Buch bis zur letzten Seite zu lesen. | |
Man hätte diese "unmoralische" Lektüre niemals übersetzen dürfen, schimpft | |
die Literaturkritikerin. "Als er ein dreijähriges Mädchen in der Ukraine | |
danach fragt: ,Wo ist deine Mutter?', wohl wissend, wer für den Mord ihrer | |
Mutter verantwortlich ist und wer für den Mord an dem Mädchen | |
verantwortlich sein wird", konnte Melamed nicht mehr weiterlesen. Sie warf | |
das Buch in die Mülltonne im Kibbuz Farod, wo bis heute "langweilige | |
Opfer", wie sie Littell zynisch zitiert, leben. Die Tonne, so fand sie, | |
"war für meine Ausgabe ein angemessener Bestattungsort". | |
Ariana Melamed schreibt für die auflagenstärkste Tageszeitung Yedioth | |
Ahronot und gehört zu den wichtigsten Kritikern der hebräischen | |
Literaturszene. Kein Autor kommt an ihr vorbei, wenn er sich in Israel | |
einen Namen machen will. Jonathan Littell, so schreibt sie, "demonstriert | |
die moralische Gleichgültigkeit eines erfahrenden Pornografen". Jeder Leser | |
bringt bei der Lektüre seine eigenen Erfahrungen mit, räumt sie ein. Sein | |
Roman ließ sie an Erzählungen ihrer Mutter denken, die in Tschernowitz als | |
16-Jährige zu einem der "langweiligen Opfer" der Nazis wurde. | |
Ohne direkten Bezug auf Melameds Rezension klagt Peer Friedman vom | |
Konkurrenzblatt Maariw dagegen über "Verlogenheit bei der Ablehnung des | |
Buches" , "als würde es gegen sämtliche moralische Regeln verstoßen, als | |
sei es verboten, aus der Perspektive des Mörders zu schreiben, als sei das | |
Recht, die Geschichte zu erzählen, allein den Opfern vorbehalten". Das | |
Problem, so Friedman, liege nicht bei Littell, sondern bei den | |
"scheinheiligen Schönrednern". | |
Ähnlich argumentiert die Holocaustforscherin Nili Keren. Sie | |
veröffentlichte einen Artikel in der letzten Literaturbeilage der liberalen | |
Tageszeitung Haaretz, neben zwei anderen Texten, die auch auf Littells | |
Roman eingingen. Keren schreibt von der "Pflicht, dem Täter zuzuhören", und | |
verdächtigt ihre Gegner, in dem "großen Meinungskrieg unter | |
Intellektuellen", die so "leichtfertig" ablehnten, das Buch überhaupt erst | |
zu lesen, schlicht der "Faulheit". Stattdessen rät sie dringend zur | |
Lektüre. "Die Wohlgesinnten" versuche das Rätsel zu lösen, "was die | |
Deutschen zu den Verbrechen antrieb". | |
Die "930 Seiten kompakter Prosa" resümiert in der gleichen Beilage Omri | |
Herzog, Dozent für Kulturgeschichte an der Universität Tel Aviv, als | |
"Expedition ans Ende der Nacht". Wer das Buch liest, so Herzog, sollte vor | |
"Selbstgerechtigkeit" und "Verlogenheit" geschützt sein. Da gebe es jene, | |
die das Buch für verabscheuungswürdig hielten, ohne es überhaupt gelesen zu | |
haben, andere klagten die literarische Banalisierung des Bösen an. | |
Der Aufruf zum Boykott sei Ausdruck des Wunsches, "sich vor einer seltenen, | |
ernsthaften und ehrlichen Diskussion über die Erinnerung des Traumas und | |
seiner Darstellung zu drücken". Das Lesen in diesem Buch verpflichte gerade | |
auch "die jüdischen Leser, die Opfer", zur moralischen Verantwortung und | |
erlaube keine Ausflüchte mithilfe leerer Phrasen. | |
Avi Garfinkel vom Tel Aviver Wochenmagazin Stadt-Maus nennt "Die | |
Wohlgesinnten" in einem Atemzug mit "Moby Dick" oder "Schuld und Sühne". Er | |
zeigt sich begeistert über Littells Wagemut, seine Detailgenauigkeit und | |
psychologische Tiefgründigkeit. "Wenn Ihr in den nächsten Jahren nur ein | |
Buch lest", lautet Garfinkels Rat, "dann lasst es ,Die Wohlgesinnten' | |
sein." | |
7 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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