# taz.de -- Reaktionen auf Chinas Tibet-Politik: Olympia-Boykott wäre kontrapr… | |
> Nach der Kritik am brutalen Vorgehen Chinas in Tibet werden Rufe nach | |
> einem Olympia-Boykott lauter. Doch der würde nur die Falschen treffen - | |
> und an Chinas Politik nichts ändern. | |
Bild: Ein Boykott würde vor allem dem mit Olympia verbundenen Geschäft schade… | |
BERLIN taz Der Hollywood-Schauspieler und Tibet-Aktivist Richard Gere | |
fordert einen Boykott der diesjährigen Olympischen Spiele in Peking, sollte | |
China nicht angemessen auf die Proteste in Tibet reagieren. "Es wäre | |
skrupellos, wenn wir so weitermachten, als wäre alles in Ordnung", sagte | |
der bekennende Buddhist und Dalai-Lama-Freund der britischen BBC. Gere | |
drückt aus, was Aktivisten schon lange und jetzt wieder verstärkt fordern, | |
was der Dalai Lama aber auch jetzt nicht gutheißt. | |
Sportfunktionäre wie etwa der deutsche IOC-Vizepräsident Thomas Bach | |
verweisen in Interviews immer wieder darauf, dass frühere Olympiaboykotte | |
ihre Wirkung verfehlt hätten. Zudem könne der Sport nicht Probleme lösen, | |
an denen schon Generationen von Politikern gescheitert seien. Vielmehr | |
hätten Olympische Spiele eine völkerverbindende Funktion, die bei einem | |
Boykott nicht zum Tragen komme. Mit dem Verweis auf diesen angeblichen | |
menschenrechtspolitischen Automatismus und der Ablehnung weitergehender | |
Verantwortung macht es sich das IOC sicher zu einfach. Trotzdem ist an den | |
Argumenten der Funktionäre etwas dran. | |
Auffällig ist, dass anders als bei den Spielen von Moskau 1980 im Vorfeld | |
der Pekinger Spiele keine westliche Regierung je ernsthaft einen Boykott in | |
Erwägung zog. Das liegt nicht nur daran, dass die Boykotte 1980 wegen des | |
sowjetischen Einmarsches in Afghanistan und 1984 bei der Retourkutsche des | |
Ostblocks gegenüber Los Angeles vor allem den Spielen und den Sportlern | |
geschadet haben. Geschadet haben sie auch dem mit Olympia verbundenen | |
Geschäft, das heute noch viel größer ist. Doch zum anderen setzen heute | |
alle westlichen Regierungen auf eine Einbindung Chinas in die | |
internationale Gemeinschaft und das internationale Regelwerk. Da wäre ein | |
Boykott kontraproduktiv, weil er nur eine nationalistische chinesische | |
Abschottungspolitik fördern würde. Somit verwunderte es wenig, dass sich | |
Peking bei der Vergabeentscheidung 2001 schon im zweiten Wahlgang deutlich | |
gegen Paris und Toronto durchsetzte. | |
Offen bleibt bei den Boykottaufrufen, ob sie wirklich ernst gemeint sind | |
oder die Drohungen nicht vielmehr Vehikel sein sollen, um den Druck auf | |
Chinas Regierung zur Änderung ihrer Politik zu erhöhen. Denn ohne Pekinger | |
Spiele gäbe es diesen Hebel nicht. | |
Chinas Regierung versucht ihrerseits diesen Druck abzublocken. Sie betont | |
gebetsmühlenartig, Olympische Spiele seien ein unpolitisches Sportereignis | |
und jeder Versuch der Politisierung sei von vornherein zum Scheitern | |
verurteilt. Dabei nutzt sie selbst das Ereignis zur Stärkung ihrer | |
Herrschaftslegitimation und stellte sogar eine Verbesserung der | |
Menschenrechtssituation mittels der Spiele in Aussicht. Auch versprach sie | |
zum Beispiel eine freie Berichterstattung zumindest der ausländischen | |
Journalisten. Seit vergangenem Jahr wurden denn auch die Vorschriften für | |
ausländische Reporter gelockert - im Gegensatz zur verstärkten Kontrolle | |
chinesischer Journalisten. Doch jetzt zeigen nicht zuletzt die Ereignisse | |
in Tibet, wo Chinas Medien gleichgeschaltet und die Berichte ausländischer | |
TV-Sender plötzlich wieder blockiert werden, wie wenig sich Peking an seine | |
eigenen Versprechen hält. | |
Und ausgerechnet bei Olympiaboykotten zählt China selbst zu den | |
Spitzenreitern, womit es seinem jetzigen Mantra angeblich unpolitischer | |
Spiele selbst am deutlichsten widerspricht. Denn von 1956 (Melbourne) bis | |
1980 (Moskau) hat China selbst wegen der Teilnahme Taiwans alle Spiele | |
boykottiert. 1980 nahm China dann erstmals wieder an den Winterspielen in | |
Lake Placid (USA) teil, weil Taiwan nach einer Peking-freundlichen | |
IOC-Entscheidung seine Spieler abzog. Im gleichen Jahr boykottierte Peking | |
aber wie viele westliche Länder die Moskauer Spiele wegen des sowjetischen | |
Einmarsches in Afghanistan, einem Nachbarn Chinas. | |
17 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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