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# taz.de -- Pro & Contra Olympia-Boykott: Sport oder Moral?
> Die Spannungen zwischen Tibet und China werfen nicht nur politische
> Fragen auf. Auch die Sportwelt steht vor einer Herausforderung: Sollten
> die Olympischen Spiele in Peking boykottiert werden?
Bild: Vereinbare Symbole?
## JA!, sagt Markus Völker
Der Olympismus ist darauf gerichtet, eine Lebensweise herbeizuführen, die
auf [ ] die Achtung fundamentaler und universell gültiger ethischer
Prinzipien gegründet ist." Das steht in der Olympischen Charta, der
Grundsatzerklärung des Internationalen Olympischen Komitees. Das IOC hat
sich Völkerverbindung auf die Fahne geschrieben, Fairness und Frieden. Es
scheint sich nur um hohle Phrasen zu handeln, ist das IOC doch bereit,
allerhand für seinen positiven Olympismus in Kauf zu nehmen: Verschleppung
von chinesischen Oppositionellen, Gewalt in Tibet, die recht willkürliche
Anwendung der Todesstrafe, ein lächerlich breitmaschiges
Dopingkontrollnetz. Das IOC sagt nichts anderes als: Wir fahren nach
Peking, komme, was da wolle. In der aktuellen Presseerklärung beschäftigen
sich die Olympier nicht etwa mit der brisanten Lage in Lhasa, sondern mit
der dicken Luft in Chinas Hauptstadt.
Wenn sich die Industrienationen aus wirtschaftlichen Erwägungen schon nicht
zu einem Boykott der Spiele durchringen wollen, mit einer Boykottdrohung
sollten sie operieren - das würde vor allem im IOC eine dringend nötige
Reform einleiten. Präsident Jacques Rogge und seine Funktionäre wären
gezwungen, Menschenrechtsstandards in ihre Charta aufzunehmen. Die finden
sich ebenso wenig in dem Papier wie klare Positionen gegen Korruption im
Sport.
Das IOC könnte nicht weitermachen wie bisher. Momentan ist davon
auszugehen, dass nur ein Bürgerkrieg, der die Sicherheit der olympischen
Gerontokraten bedrohte, das "Treffen der Weltjugend" unterbinden könnte.
Die jungen Sportler, die eine halbe Ewigkeit auf den sportlichen Höhepunkt
hingearbeitet haben, sollen ja ihr Sportfest feiern. Aber wollen sie das um
jeden Preis? Wollen sie brav den politischen Maulkorb umlegen, den ihnen
nationale Olympische Komitees (Großbritannien und Neuseeland) bereits
verpassen wollten?
Das IOC wird weiterhin von den hehren Zielen und dem großartigen Gefüge der
olympischen Familie fabulieren - und die vergangenen Olympiabilanzen noch
einmal in Augenschein nehmen. Allein der TV-Vertrag garantiert weit über
eine Milliarde Euro. Die Nettowertschöpfung aus Athen 2004 beläuft sich auf
10 Milliarden Euro. Bei den Olympischen Spielen handelt es sich um ein
gigantisches Wirtschafts- und Werbeunternehmen. Dieses ausgerechnet in
einem Land zu stoppen, das sich anschickt, Exportweltmeister zu werden,
verlangt Rückgrat, ja geradezu dissidentischen Mut. Das IOC darf also
sicher sein, dass es weiterhin den Weg des geringen Widerstands gehen darf.
Der Pfad führt Rogge und Co. in eine prosperierende Zukunft. Und der
Boykott bleibt eine reine Utopie.
## Nein!, sagt Sven Hansen
In Washington ist 1980 entschieden worden, dass "der Westen" die
Olympischen Sommerspiele in Moskau wegen des Einmarsches sowjetischer
Truppen in Afghanistan zu boykottieren habe. Die meisten fügten sich dem
amerikanischen Druck und verboten ihren Sportlern die Teilnahme an den
Spielen. Viele Sportler, darunter Freunde und Bekannte von mir, brachte der
Boykott um die Früchte ihrer sportlichen Laufbahn.
Für uns Nachwuchssportler damals, die die sowjetische Aggression am
Hindukusch so verwerflich fanden wie die vorangegangene US-Aggression in
Indochina, war es entmündigend, plötzlich zur Marionette eines
US-Präsidenten degradiert zu werden. Hatte sich nicht die
Entspannungspolitik längst durchgesetzt und der Kalte Krieg sich als Irrweg
erwiesen? Gewiss, beide Systeme benutzten den Sport, um für die
Überlegenheit ihres Systems zu werben. Doch wir Sportler wollten in erster
Linie Sportler sein und uns im fairen Wettkampf messen. Der politisch
interessierte Teil von uns hatte selbstverständlich eine Meinung, mit der
er auch nicht hinter dem Berg hielt. Umso gemeiner fanden wir es, jetzt
ausgerechnet von Politikern mit ganz anderen Meinungen gezwungen zu werden,
auf den sportlichen Höhepunkt der Karriere zu verzichten.
Sport ist im Idealfall gelebte Völkerverständigung, aber in der Realität,
besonders der olympischen, auch sehr viel Kommerz und Politik. Es lässt
sich streiten, inwieweit Letztere dem Sport überhaupt guttun. Abgesehen
davon hat auch der Leistungssport bedenkliche Seiten. Doch Sportler sind in
erster Linie Sportler und eben keine Politiker. Natürlich haben auch sie
eine gesellschaftliche wie politische Verantwortung, wie sie auch
Wirtschaftsmanager haben. Deshalb darf es auch keine Olympischen Spiele um
jeden Preis geben. Doch dafür, dass es bisher versäumt wurde, klare
politische und menschenrechtliche Mindeststandards für Austragungsländer zu
formulieren, sollten nicht Sportler die Zeche zahlen müssen.
Das IOC muss hier noch Hausaufgaben machen. Sportler sollten aber auch
nicht die Leidtragenden dessen sein, dass eine Reform des UN-Systems samt
seinen Menschenrechtsmechanismen nicht vorankommt, die etwa einen
sowjetischen Einmarsch in Afghanistan wie Chinas Repression in Tibet
angemessen sanktionieren kann. Olympische Spiele sollten Sportler nicht zu
Statisten der Propaganda des Veranstalterregimes machen, doch Sportler sind
auch keine Marionetten einer gescheiterten internationalen Politik.
18 Mar 2008
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