# taz.de -- Semlers Wortkunde: Was bedeutet "Volkskrieg" | |
> In der Krise zwischen China und Tibet erlebt der Terminus "Volkskrieg" | |
> eine Renaissance. Nur was bedeutet er? | |
Bild: Vereinbare Symbole? | |
"Führt einen Volkskrieg, um den Separatismus zu bekämpfen und die | |
Stabilität Chinas zu verteidigen, zerrt die widerwärtige Fratze der | |
Dalai-Lama-Clique ans helle Licht des Tages!" So zitiert die | |
Sonntagsausgabe des offiziellen Tibet Daily aus einer Erklärung, die | |
anlässlich eines Treffens von Funktionären der tibetanischen Branche der KP | |
Chinas in Lhasa abgegeben wurde. George Orwell hätte an diesem Zitat seine | |
grimmige Freude gehabt. Denn die Verwendung des Begriffs "Volkskrieg" durch | |
die kommunistischen Funktionäre passt ins Schema der semantischen | |
Umkehrung, die in Orwells "1984" dargestellt wurde: Freiheit = Sklaverei. | |
Ursprünglich war der Begriff des Volkskriegs im chinesischen | |
Befreiungskampf ein Gegenbegriff zur Kriegsführung der japanischen | |
Angreifer und - nach 1945 - zur Kriegsführung der nationalistischen | |
Streitkräfte Tschiang Kai-scheks. Gemeint war damit viererlei: erstens das | |
Primat der Politik bei den kommunistischen Streitkräften, Gleichheit | |
zwischen den Rängen, Verzicht auf brutale Disziplinierungsmaßnahmen; | |
zweitens die Unterstützung durch die Bevölkerung, sei es in Form des | |
Partisanenkampfes oder durch materielle Hilfe; drittens das Verbot, die | |
Zivilbevölkerung zu berauben oder sie zum Kriegsdienst zu pressen; und | |
viertens die Durchführung sozialer und kultureller Programme in den | |
"befreiten Gebieten", also den Territorien, die von den kommunistischen | |
Streitkräften kontrolliert wurden. | |
Dieses Element der sozialen Emanzipation war es vor allem, das die | |
radikalen Studenten Ende der 60er-Jahre in Deutschland "Sieg im Volkskrieg" | |
skandieren ließ - diesmal auf den Befreiungskampf des vietnamesischen | |
Volkes bezogen. | |
Nun ist uns aus dem Sprachgebrauch der westlichen Welt die uferlose | |
Ausweitung des Begriffs "Krieg" bekannt, bis hin zu offensichtlich | |
sinnwidrigen Begriffsbildungen wie "Krieg gegen Aids" oder "Krieg gegen | |
Armut". Diese metaphorische Weiterung hatten augenscheinlich die | |
Funktionäre in Lhasa im Sinn, als sie "Volkskrieg" mit | |
"Massenmobilisierung" identifizierten. Es geht also um die tibetischen | |
"Massen", die den Dalai Lama bekämpfen sollen. Diese Rolle nehmen | |
chinesische Polizei und Soldateska wahr, unterstützt von tibetischen | |
"Wohlgesinnten". Sie sind das eigentliche Volk, das gegen eine bloße | |
Zusammenrottung, eine "zufällige" Volksmenge, also das empirische | |
tibetische Volk, den gerechten Volkskrieg führt. | |
17 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
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