# taz.de -- Berlins Polizeipräsident: Der Reformer, der Widerstand nicht duldet | |
> Dieter Glietsch hat aus der Polizeitruppe mit Korpsgeist eine moderne | |
> Behörde gemacht. Doch sein Führungsstil ist intern stark umstritten. | |
Bild: Am 1. Mai arbeiten, am 2. Mai feiern: Polizeipräsident Glietsch wird am … | |
Heraus zum 1. Mai. Es ist wieder so weit: Feiern, Flanieren, Demonstrieren | |
- Tausende werden am morgigen Donnerstag auf der Straße sein. Die Polizei | |
hält sich im Hintergrund, für alle Eventualitäten gerüstet, falls die Dinge | |
am Abend in Kreuzberg wieder ein wenig aus dem Ruder laufen. Aber von einem | |
Rückfall in die Zeiten der 80er- und 90er-Jahre, in denen der 1. Mai stets | |
in Straßenschlachten endete, geht niemand aus. | |
Dass sich die Verhältnisse geändert haben, ist nicht nur das Verdienst von | |
Polizeipräsident Dieter Glietsch. "Ich bin auf ein vorbereitetes Feld | |
gestoßen", sagt Glietsch, der die Berliner Polizei seit sechs Jahren führt. | |
Letztlich war es die Kombination von "Myfest", das von Kreuzberger | |
Initiativen veranstaltet wird, und Deeskalationsstrategie der Polizei, die | |
zur Eindämmung der Gewalt geführt hat. Glietsch hat daran großen Anteil, | |
weil er die Polizei trotz Anfeindungen von der CDU strikt auf diesem Kurs | |
hielt. | |
Als er im Sommer 2002 von der rot-roten Regierungskoalition zum | |
Polizeipräsidenten gewählt wurde, war Glietsch in Berlin unbekannt. | |
Vollkommen überraschend hatte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) den | |
früheren Inspekteur der Polizei von Nordrhein-Westfalen als Nachfolger für | |
den aus dem Amt geschiedenen Hagen Saberschinsky aus dem Hut gezaubert. | |
Polizeibehörde und Gewerkschaften sahen es mit Unwillen, ihr Wunschkandidat | |
war Polizeivizepräsident Gerd Neubeck gewesen. | |
In NRW wurde Glietsch wegen seines analytischen Sachverstands - "scharf wie | |
ein Seziermesser" - gepriesen. Bei riskanten Einsätzen gehe er stets auf | |
Nummer sicher, indem er drei Straßenzüge weiter eine Reserve stationiere. | |
Dass er ein Fuchs ist, hatte er in NRW unter Beweis gestellt, als er einen | |
Castor-Transport verfrüht auf die Schiene schickte und damit die | |
Anti-AKW-Bewegung austrickste. Glietsch sei zwar ein trockener Typ, so | |
wurde damals gesagt, aber durchaus kommunikationsfähig. Zumindest an | |
Letzterem haben so manche inzwischen ihre Zweifel. | |
Glietsch politische Bilanz nach sechs Jahren Amtszeit ist fast makellos: | |
Der 1. Mai ist weitestgehend befriedend, die Polizei produziert kaum | |
negative Schlagzeilen, das Vollzugspersonal wurde auf rund 16.000 Beamte | |
reduziert, die Führungsstrukturen wurden verschlankt, eine von sieben | |
Polizeidirektionen aufgelöst, Polizeiabschnitte zusammengelegt. Glietsch | |
hat viele heiße Eisen angefasst. Entsprechend voll des Lobes ist die | |
Politik. "Das ist der beste Polizeipräsident, den wir je hatten", schwärmt | |
SPD-Innenpolitiker Frank Zimmermann. Die Begeisterung reicht sogar bis ins | |
Oppositionslager. Glietsch sei ein "guter Reformer", sagt Volker Ratzmann, | |
Fraktionschef der Grünen. "Er hat der Berliner Polizei ein neues Image | |
verpasst und für Transparenz gesorgt." | |
Man muss in politischen Kreisen eine ganze Weile suchen, um etwas | |
Kritisches zu hören. Und selbst der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank | |
Henkel, zielt auf die rot-rot Koalition, wenn er den Polizeipräsidenten | |
einen "willfährigen Vollstrecker von Senatsbeschlüssen" nennt, mit denen | |
die Berliner Polizei kaputtgespart werde. | |
Für Glietsch ist der 1. Mai noch in anderer Hinsicht etwas Besonderes: Kurz | |
nach Mitternacht, wenn die "Festspiele" überstanden sind, stößt er im | |
Polizeipräsidium mit Innensenator Körting auf seinen Geburtstag an. Diesmal | |
ist es der 61. Eigentlich könnte er im Juni in Pension gehen. Aber Glietsch | |
hat so großen Gefallen an dem Job gefunden, dass er zu einer Verlängerung | |
seiner Amtszeit bereit war - wenn alles klappt sogar bis zum Ende der | |
Legislaturperiode im Jahr 2011. Das hat viel mit dem Verhältnis zu Körting | |
zu tun, der Glietsch freie Hand lässt. Körting lässt auf Anfrage | |
ausrichten, "Herr Glietsch erfüllt alles, was ich von einem | |
Polizeipräsidenten erwarte". Er sei ein Mensch mit überragender | |
Fachkompetenz, der auch in kritischen Situationen seinen Humor behält. Und | |
es sei ihm anzumerken, dass er die Polizei von der Pieke auf gelernt habe. | |
Glietsch beschreibt das so: "Der Innensenator ermöglicht es mir, meine | |
Behörde so zu führen, wie ich und die Führungskräfte es für richtig | |
halten." | |
Die Betonung liegt dabei eher auf dem "Ich" - denn Glietsch gilt nicht als | |
Mannschaftsspieler. Dies verlautet aus vielen, unterschiedlichen Ecken der | |
Polizei. Sein Führungsstil und die Art, wie er mit Menschen umgeht, wird | |
scharf kritisiert. "Glietsch ist der absolute Kontrollmensch", heißt es. | |
Jede Pressemeldung und jeder polizeiinterne Bericht gehe über seinen | |
Schreibtisch, bevor diese das Haus verlassen. | |
Zudem habe eine Kultur des Misstrauens in der Behörde Einzug gehalten. Kaum | |
ein Polizist traue sich noch, unabhängig von Glietsch mit Medien zu | |
sprechen. Der Polizeipräsident sei omnipräsent. | |
Beschrieben wird Glietsch auch als "eiskalter Administrator", dem jegliches | |
Gefühl für Mitarbeiterzuwendung abgehe. "Die Behörde ist nach innen ganz | |
herzlos geworden." Der Präsident halte seine Leute auf Distanz; er | |
verbreite durch die Art, wie er Mitarbeiter bei Führungsrunden kritisiere, | |
ein Klima der Angst. Kaum ein Amts- oder Direktionsleiter wage es noch, | |
Glietsch zu widersprechen - so schlecht sei die Stimmung. Der | |
Polizeipräsident verwahrt sich gegen solche Darstellungen: "Das ist eine | |
sehr einseitige, sehr schiefe Sicht der Dinge", erwidert Glietsch auf die | |
Vorwürfe. "Mir sagt man sehr viel, auch ganz offen. Ich erwarte das auch." | |
Diese Kritik am Umgang mit seinen Mitarbeitern erstaunt vor dem | |
Hintergrund, dass sich Glietsch nicht nur in fachliche Probleme sehr gut | |
einfühlen kann. Schließlich ist die Prävention eines seiner Hauptanliegen. | |
In den Direktionen und Abschnitten hat er sogenannte Präventionsbeamte | |
eingeführt. Seit Glietsch im Amt ist, ist die Polizei bei Problemen in | |
Kiezen an nahezu jedem runden Tisch vertreten. Im Umgang mit jugendlichen | |
Gewalttätern in Wedding, Kreuzberg und Neukölln überzeugt seine Analyse des | |
Problems. Verantwortlich für die seit Jahren unvermindert hohe | |
Jugendgewaltkriminalität sowie die Tatsache, dass jeder zweite | |
Tatverdächtige einen Migrationshintergrund hat, sei mangelnde Integration. | |
Nur durch eine bessere Bildung und Ausbildung und durch berufliche | |
Perspektiven könne das "Übel an der Wurzel gepackt" werden, betont der | |
Polizeipräsident. Solange das nicht der Fall sei, werde die Gesellschaft | |
mit diesem Problem konfrontiert sein. Daran würden auch 1.000 neue Stellen | |
für die Polizei - eine beliebte Wahlkampfforderung von konservativen | |
Politikern - nichts ändern. | |
Auch der Umgang mit Fehlern ist unter Glietsch anders geworden. Zuvor hatte | |
die Polizei diese nie öffentlich eingestanden. "Interne Kritik ja, aber | |
nach außen geben wir das nicht zu", so die Devise. Glietsch bedient sich, | |
um Dinge aufzuklären, im Zweifelsfall auch externen Sachverstands. Dass er | |
Dinge unter den Teppich zu kehren versucht, kann man ihm wahrlich nicht | |
nachsagen. | |
Im scharfen Kontrast dazu steht wiederum Glietschs Umgang mit der Presse. | |
Konkret: sein Verhältnis zur Pressefreiheit. Gegen Medienberichte, die ihm | |
schlichtweg nicht passen, geht der 60-Jährige mithilfe von Anwälten | |
presserechtlich vor. Das hat in Berlin zuvor noch kein Polizeipräsident | |
gewagt. Egal ob Morgenpost, Bayrischer Rundfunk, Focus oder taz - | |
fehlerhafte statistische Angaben über Ermittlungsverfahren gegen Polizisten | |
oder über die Zahl der in Bereitschaft gehaltenen Polizisten - Marginalien | |
also - genügen, um als Medium von Glietsch mit Gegendarstellungs-, | |
Unterlassungs- und Widerrufansprüchen überzogen zu werden. l5 Mal war das | |
seit 2005 der Fall. Tendenz: stark zunehmend. | |
Glietsch habe offensichtlich nicht verstanden, dass die Presse ein | |
Eckpfeiler der Demokratie sei, kommentiert dies der Pressesprecher der | |
Gewerkschaft der Polizei (GdP), Klaus Eisenreich. Glietsch weist das | |
zurück. "Als Behördenleiter habe ich die Pflicht, meine Mitarbeiter vor | |
ansehenschädigenden Tatsachenbehauptungen zu schützen" sagt er. Lange Zeit | |
hat Glietsch die Verfahren gewonnen, er musste also nie die Kosten | |
übernehmen. Im April nun hat er gegen die taz erstmals einen | |
Presserechtsstreit verloren. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, muss die | |
Polizei die Kosten von 12.000 Euro tragen. | |
Denn das Landgericht hat in seinem Urteil unmissverständlich festgestellt, | |
dass der Polizeipräsident als Vertreter einer Landesbehörde nicht ohne | |
weiteres Schadensansprüche gegen die Presse geltend machen könne. | |
Eigentlich müsste dieser Richterspruch genügen, dass Glietsch nicht weiter | |
in solchen Bagatellfällen gegen die Presse vorgeht. Doch daran denkt der | |
Polizeipräsident nicht. Auch die Kosten schrecken ihn nicht: "Dafür gibt es | |
im Haushalt einen Titel, aus dem das bezahlt wird." | |
Dieses Verhalten passt ins Bild. Leute, die ihm widersprechen, verfolge | |
Glietsch "bis ins Brotfach", sagt indes GdP-Sprecher Eisenreich und beruft | |
sich dabei auch auf vertrauliche Berichte von Kollegen an die Gewerkschaft. | |
Das ist die dunkle Seite des Reformers Glietsch. | |
Unter seiner Führung ist aus der Großfamilie Polizei, mit ihrem Korpsgeist, | |
ein zumeist reibungslos funktionierender, unterkühlter Apparat geworden. | |
Damit entsprich er den Anforderungen einer modernen, auf Effizienz | |
getrimmten Polizeibehörde. Gleichzeitig riskiert Glietsch, dass der Unmut | |
vieler seiner Mitarbeiter zunimmt - etwa wenn er wie Anfang dieser Woche | |
seinen Wachschützern mit einer Notdienstverordnung den Streik verbieten | |
möchte und die Gewerkschaft dagegen erfolgreich vor Gericht geht - und auch | |
das überhaupt nicht einsieht. Glietsch: "Es gibt Leute, die ärgert | |
möglicherweise, dass ich meine Behörde führe." Und es gibt Leute, die unter | |
Führung noch etwas anderes verstehen. | |
30 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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