# taz.de -- Forschungsobjekt Demonstrant: "Viele von uns sind komplett arbeitsl… | |
> AktivistInnen des Mayday fragen die Demonstranten nach ihren | |
> Lebensumständen. Nur wenn man die kenne, könne man Widerstand | |
> organisieren, sagt Hanna Schuster von FelS. | |
Bild: Am 1. Mai arbeiten, am 2. Mai feiern: Polizeipräsident Glietsch wird am … | |
taz: Frau Schuster, die Gruppe FelS als Teil der Mayday-OrganisatorInnen | |
will dieses Mal während der Parade mit Fragebögen herumlaufen. Warum? | |
Hannah Schuster: Die Idee, am 1. Mai mit dem Mayday Prekarisierung zum | |
Thema zu machen, hat ganz viel damit zu tun, unsere eigenen | |
Lebensverhältnisse zu thematisieren. Tatsache ist aber, dass wir gar nicht | |
so genau wissen, wer mit welchen Anliegen zur Mayday-Parade kommt. Mit | |
dieser Umfrage wollen wir mehr darüber erfahren und mit den Leuten ins | |
Gespräch kommen. | |
Der Mayday wird zur wissenschaftlichen Studie? | |
Nein, es gibt einen ganz gravierenden Unterschied. Unsere Umfrage ist eine | |
Selbststudie mit einem konkreten politischen Anliegen: Wir wollen nicht nur | |
wissen, aus was für Leuten wir uns zusammensetzen, sondern wir wollen auf | |
dieser Basis darüber diskutieren, wie wir uns gemeinsam organisieren und | |
für ein schönes Leben kämpfen können. Dafür ist es natürlich wichtig zu | |
wissen: Wie viele Kinder haben die Leute? Wie wohnen sie? Wie würden sie | |
gerne arbeiten? Inwiefern sind sie von Prekarisierung betroffen? Was ist | |
für sie überhaupt ein schönes Leben? | |
Was werden Sie mit diesen Ergebnissen machen? | |
Wir werden die Ergebnisse auf einer Veranstaltung präsentieren, um dann | |
anschließend mit Interessierten zu diskutieren, was sie für uns bedeuten | |
und was sie für weitere Organisierungsprozesse aussagen. | |
Sind die Ergebnisse nicht erwartbar? Es werden typisch linke Studis der | |
sogenannten Generation Praktikum antworten, die ohne Lohn oder fast umsonst | |
ihre Arbeitskräfte anbieten und trotzdem nicht wissen, wie man sich zur | |
Wehr setzt. | |
Das sind sicher die Leute, an die auch wir oft als Erstes denken. Aber | |
vielleicht ist genau das unser Problem. Bestimmte Biografien werden der | |
linken Szene zugeschrieben: studentisch, für eine bestimmte Zeit rebellisch | |
und bürgerlichen Ursprungs. Dabei sind auch viele von uns komplett | |
arbeitslos, andere leiden unter den "normalen" Arbeitsverhältnissen, | |
verdienen aber einigermaßen okay, und wieder andere müssen sich noch über | |
ihre Eltern finanzieren lassen. Unser Eindruck auf den letzten beiden | |
Mayday-Paraden war, dass das Spektrum breiter ist und nicht nur aus Leuten | |
besteht, die normalerweise auf linksradikalen Demos herumspringen. Wenn dem | |
nicht so ist, ist das auch eine wichtige Erkenntnis. Abgesehen davon wollen | |
wir ja nicht nur Sozialdaten wie finanzielle Situation oder Beruf erfassen, | |
sondern interessieren uns besonders dafür, was für die Leute ein schönes | |
Leben ist und wie sie sich dafür organisieren möchten. | |
Der Arbeitgeberverband sieht in Ihrer Kritik auf der Mayday-Parade noch | |
keine konkrete Bedrohung. Wie wollen Sie das ändern? | |
Wenn es tatsächlich Leute gibt, die deswegen enttäuscht sind, wäre das eine | |
maßlose Überschätzung dessen, was wir mit dem Mayday ausrichten können. Es | |
ist zunächst ein wichtiger Schritt, Prekarisierung am 1. Mai überhaupt zum | |
Thema zu machen. Wir sagen immer: Der Mayday ist ein Prozess. Zunächst | |
einmal geht es uns darum, die Leute anzusprechen, die von prekären | |
Lebensbedingungen betroffen sind. Wir wollen deutlich machen: Auch wenn | |
viele von uns vereinzelt globalisiert vor sich hin arbeiten oder sich in | |
Form einer Ich-AG durch die Arbeitswelt durchschlagen - es ist dennoch | |
möglich, sich zusammenzuschließen und kollektiven Protest zu organisieren. | |
Wir wollen Widerstandsmöglichkeiten schaffen in Zeiten des erodierten | |
Normalarbeitsverhältnisses. Erst wenn das gelingt, wird auch der Arbeit- | |
oder Auftraggeber vielleicht mal aufhorchen. | |
INTERVIEW: FELIX LEE | |
30 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlins Polizeipräsident: Der Reformer, der Widerstand nicht duldet | |
Dieter Glietsch hat aus der Polizeitruppe mit Korpsgeist eine moderne | |
Behörde gemacht. Doch sein Führungsstil ist intern stark umstritten. | |
Revolution ohne Randale: 1. Mai wird wieder politisch | |
Dieses Jahr könnte der 1. Mai recht entspannt werden: Statt mit | |
Gewaltritualen beschäftigen sich die Demonstranten mit Kritik an Mediaspree | |
und Gentrifizierung. Die Polizei glaubt nicht an Krawalle. | |
Arbeitsmarkt und Arbeitstag: Berlin macht mächtig Arbeit | |
Am 1. Mai werden die Gewerkschaften mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne | |
fordern. In Berlin darf man darauf kaum hoffen: Die Wirtschaft wächst | |
langsam, der Strukturwandel stockt, Fachkräfte fehlen. |